Einen Schritt vor oder zwei zurück?

"Das Argument" will dem Feminismus den Weg weisen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Feminismus, quo vadis?" - diese Frage zu beantworten und den Reisenden den rechten Weg zu weisen unternimmt die 241. Ausgabe der unter dem Titel "Das Argument" bekannten "Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften". Es gelte "Bilanz" zu ziehen, "was Feminismus war und heute ist", und das "Problem des Verhältnisses von Dekonstruktion und kritischer Gesellschaftstheorie" zu erörtern, heißt es im von Catharina Schmalstieg verfassten Editorial. Insbesondere soll die Frage erörtert werden, wie der Marxismus "weiterhin Bezugspunkt kritischer feministischer Theoriebildung und Praxis sein" könne. Weder scheint bemerkt worden zu sein, dass er das schon seit geraumer Zeit kaum mehr ist, noch scheint für Schmalstieg infrage zu stehen, ob er es überhaupt sein sollte. Eine weitere der zu erörternden Fragestellungen, nämlich ob "Queer Theory bloßer Aktionismus" sei, überrascht insofern, als der Aktionismusverdacht gegenüber einer Theorie ein durchaus origineller Einfall ist.

An drei etwas ausführlichere Aufsätze von Marlies Krüger, Sylvia Pritsch sowie Jutta Meyer-Siebert und Catharina Schmalstieg zur Situation und den Perspektiven feministischer Theorien schließt sich eine "Diskussion" mit kurzen Stellungnahmen zu einzelnen Fragen an. Erörtert wird hier etwa "der männliche Geist in gesellschaftlicher Krise", der "Ost-/West-Feminismus" oder eine "Fata Morgana in feministischer Wüste".

Als Erste denkt Marlis Krüger "mit Marx" über den "Feminismus um die Jahrtausendwende" nach und bekennt sich zu der Auffassung, dass "Ideologiekritik und Dekonstruktion einander ergänzende Methoden feministischer Analyse" seien. Schnell wird deutlich, dass Krüger jedoch von dem, "was sich heutzutage feministisches Denken nennt", nicht eben erbaut ist. Selbst die "Standpunkttheoretikerinnen", die - was unerwähnt bleibt - bekanntlich das vom Marxisten propagierte Erkenntnisprivileg des Proletariats kurzerhand den Frauen zusprechen, hätten, so klagt Krüger, die "marxsche Methodologie vereinfacht", und ruft die "drei Schritte" der Marx'schen "Methode" in Erinnerung: "immanente Interpretation" und "Kritik logischer Widersprüche", die "Prüfung", ob eine Theorie die "gesellschaftlichen Oberflächenphänomene adäquat widerspiegelt" und schließlich eine auf "Kapitalismusanalysen und -kritik" fußende "Analyse des 'Wesens' der gesellschaftlichen Erscheinungen", mit der die "(ideologie-)kritische Bewertung" von "Gesellschaft" und "Ideensysteme[n]" einhergehen müsse. Hiermit hat sie im Wesentlichen das Organon beisammen, das sie feministischen Kopfarbeiterinnen in die Hände drücken möchte.

Worin besteht nun aber die gegenseitige Ergänzung von marxistischer Ideologiekritik und Dekonstruktion? Bevor diese Frage beantwortet wird, liefert Krüger eine kaum holzschnittartig zu nennende Darstellung von Poststrukturalismus und Dekonstruktion, die gelegentlich schon einmal die Grenze zur Karikatur überschreitet, so etwa, wenn sie darlegt, das "Hauptanliegen der Dekonstruktion" sei "nicht ausschließend zu denken" und "binäre Oppositionen [...] nicht zu gebrauchen", oder wenn sie meint: "zu unterminieren und zu zerstören, d.h. zu dekonstruieren". Der unfreiwillig komische Effekt wird auch dadurch nicht gemildert, dass hier nur von den "herrschenden binären Bedeutungen" die Rede ist. Über die Quellen, aus denen sie solche Kenntnisse schöpft, lässt Krüger die Lesenden im Unklaren. Die Leistung der Dekonstruktion besteht der Autorin zufolge nun darin, den Finger auf die "Tendenzen in marxistisch inspirierten Ideologiekritiken" gelegt zu haben, die "geschichtsphilosophisch abschlusshaften Deutungen" und "positiven Setzungen selbstidentischer Subjekte emanzipatorischer Bewegungen" Vorschub leisten. Allerdings habe auf diese Punkte in ähnlicher Weise auch schon Ulrich Sonnemanns "Negative Anthropologie" aufmerksam gemacht.

Da nun aber das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt, steckt Krüger in altmarxistischer Manier Handlungsspielraum und -möglichkeiten der Dekonstruktion ab: Dekonstruktion bleibt für sie an "objektive gesellschaftliche Hintergründe und deren widersprüchliche und/oder ambivalente Erfahrungen und Verarbeitungen gebunden" und kann daher nur innerhalb des gegebenen "sozio-ökonomisch strukturierte[n] und durch politische Machtkonstellationen definiert[en] Feld[es]" wirken.

Sylvia Pritschs Darstellung von "Dekonstruktion und différance" ist immerhin fundierter als diejenige Krügers, die den Begriff différance nicht einmal erwähnt. Pritsch konstatiert in ihrem Beitrag "Zu Konflikten feministischer Theorie und Kritik" zu Recht, dass Butler "jeglichen Befreiungsversprechen von Macht bzw. Herrschaft eine Absage" erteilt hat - Versprechen, wie sie ja auch nur trügerische geschichtsphilosophische Konstrukte wie das marxistische geben zu können glaubten. Dass Butlers Absage die Möglichkeit emanzipatorischen Handelns nicht mitmeint, bleibt bei Pritsch allerdings stark unterbelichtet.

Aus guten Gründen kritisiert die Autorin des Weiteren die disziplinären Abgrenzungen und Hierarchisierungsversuche, die trotz aller Rede von Inter- und Transdisziplinarität sowohl von Seiten feministischer Kultur- als auch SozialwissenschaftlerInnen unternommen werden. Zur Verständigung über differente "disziplinäre und methodische Anliegen", so moniert sie, trage "eine solche Polarisierung gerade nicht bei". Zweifellos, allerdings reduziert sie die nicht gerade unbedeutende Unterscheidung zwischen Trans- und Interdisziplinarität auf einen modischen, "neu-feministisch[en]" Sprachgebrauch.

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Frigga Haug / Wolfgang Fritz Haug (Hg.): Das Argument 241. Feminismus, quo vadis? Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaft.
Argument Verlag, Hamburg 2001.
Seiten 288-424, 9,20 EUR.
ISSN: 00041157

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