Experimentier-Apporte in der Kunststudenten-Bohème

Ferdinand Schmatz' "Portierisch"

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man könnte den Roman auch auf Seite 19 beginnen, wo den Erzähler seine Schreibe-Stimme (bzw. Schriftart) "Courier" an den einmal aufgeschnappten Satz: "das Wort ist der Ort" erinnert. Zwar schüttelt die vorsichtige Vernunfts-Person darüber gleichsam den Kopf, doch hat ihr Begleiter "Courier" mittels eines zum richtigen Zeitpunkt geworfenen ("Wort"-)Hölzels seinen Herrn aufgerüttelt. Gemeinsam nehmen sie die Fährte auf, den "Ort" abzustecken, wo das Erkannte gilt.

Das ungleiche Paar wird eingangs als eine Art Zweckgemeinschaft zweier Spaziergänger vorgestellt, in "grünmärkischen" Revieren wandernd. Der Erzähler heißt Ferdinand Kiss, Courier ist Amerikaner, darum verfügt er über einige (weil fremd-)sprachliche Naivität. Seine nur leicht danebentreffenden Definitionen ermuntern den Weggefährten zum Weiter-Ausschreiten am Denk-Pfad des Ich-Erzählers, denn der "Schriftschütze" trifft in seiner sprachlichen Unvoreingenommenheit den manchmal unsicheren Kiss "sicher ins Herz".

Die Selbstzweifel des Letzteren rühren aus seiner "portierischen" Herkunft. Kiss ist der Sohn von Zugereisten, die in der Hauptstadt Hausmeisterdienste versahen. Im erzählten Refugium seiner mittleren Dichterjahre bewegt er sich allerdings in illustren Kreisen aus lässigem Landadel und Kunststudenten-Bohème. Die mischen sich im Forst des Geschehens auf Symposien und gräflichen Jagden mit skurrilen Dorfbewohnern, Sommerfrischlern und extravaganten Zaungästen.

Orts- und Kollegennamen sind leicht als Schmatz' biografische Stationen entschlüsselbar und gäben wohl ein Fressen für Germanisten her. Die Fichten des bewanderten Waldes beispielsweise, noch heute von Schmatz' Mitstreiter Franz Josef Czernin bewohnt, wurden in dessen viel beachteter "Kunst des Sonetts" zu einem Kranz verschlungen.

Obwohl nicht ganz deutlich wird, wie dem Ich-Erzähler seine Stagnation bewusst wird, bringt eine frische Verliebtheit ihn so in Fahrt, dass er aus dem Waldort aufbricht. Er tauscht das mit "Komponierhäuschen" ausgestattete Domizil neben dem grundherrlichen Forsthaus und die langjährige Gefährtin Belinda - dass der gemeinsame Kater Stani das Zeitliche segnet, tut das Seine zu dem Schritt - gegen die zweifelhafte Kirtagslandschaft "Hinter den Burgen" an Seite des neuen, yogakundigen Mädchens.

Während morgendlicher Yoga-Übungen in seiner Stadt-Wohnung finden Kiss' Erinnerungs-Exerzitien an im Walde gehabte Zwiesprachen mit "Courier" statt -Reminiszenzen aus den Jahren als Portierssohn und der Zeit mit Belinda fließen mit ein. Der Alleingang des "Portierischen" in Richtung seines ursprünglichen Hinterland-Milieus ist der klassische Läuterungsprozess des Helden: Für das Schild "Portier" neben der elterlichen Wohnung hat sich der junge Kiss einst geniert - nicht ohne Scham angesichts seiner liebevollen Eltern.

Doch mehr als den psychobiografischen Hintergrund bezeichnet das "Portierische" den Sinn seines Trägers für alle Arten von Toren, die er zum Ortswechsel bzw. sein "Courier" zur Verfolgung aufgespürter Worte verwendet. Schon in Schmatz' ausgezeichneter Bibel-Bearbeitung "das grosse babel,n" hatte der Begriff des Tores, wodurch ein- und ausgezogen wird, eine wichtige Funktion.

Der Gedanke an den Tod als die Tür nach allen durchschrittenen Toren kehrt darum immer wieder; doch nicht beim seinem Wesen nach unsterblichen "Courier", sondern bei Kiss, dessen gleichförmig laufende Existenz beim Verlust des Schwiegervaters ins Wanken gerät.

Verglichen mit Schmatz' vorherigem Buch und bisherigem Hauptwerk, dem Langgedicht "das grosse babel,n", ist "Portierisch" kurzweilige Prosa. Seinen erkenntnispoetischen Ambitionen wird der Dichter im ersten "Roman" nicht untreu. Je weniger arglos man "Portierisch" liest, desto mehr tritt die poetische Stringenz hervor. Sukzessive baut Schmatz die anfängliche Vorstellung ab, "Courier" begleite Kiss auf Spazierwegen, um den vermeintlichen Amerikaner - im Gegensatz zum gestorbenen Hauskater mit Belinda - eine Wildkatze zu heißen, die ihrer anderen Hälfte ap"portier"t, d. h. ausgeworfene Beute verschafft: Dieser "Löwe" führt zu den Orten, die es zu erforschen gilt - und dem Dichter die richtigen Worte zu.

Der Aufbruch des Helden kommt einer Emanzipation von "Courier" gleich: Ein Dialog-Spiel braucht der Dichter letzten Endes nicht mehr, wenn er uns, hoffentlich, "Hinter den Burgen" bald neues Lesefutter heranschafft.

Titelbild

Ferdinand Schmatz: Portierisch.
Haymon Verlag, Innsbruck 2001.
158 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3852183626

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