Duell und Kindsmord als Ehrenrettung

Michael Ott über Ehre und Geschlechterdifferenz in der deutschen Literatur um 1800

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwar waren "Felder der Ehre" um 1800 "großteils Felder männlicher Ehre", das 'Feld der Unehre' hingegen gehörte ganz dem 'anderen Geschlecht', bildeten doch ausschließlich Frauen "das 'ehrlose Gewerbe' schlechthin: die Prostituierten".

Den geschlechtsspezifischen Zuordnungen von Ehre in der deutschen Literatur zwischen Aufklärung und Romantik widmet sich Michael Ott in seiner 2001 veröffentlichten Dissertation mit dem Titel "Das ungeschriebene Gesetz". Bevor er sich der Frage nach der "Ehre in der Literatur" zuwendet, fragt er zunächst nach der Konstruktion sozialer Identität im Diskurs der Ehre und nach der theoretischen Konzeption, in der die "Beziehung literarischer Texte zur Ehre erfasst werden kann".

In den geschlechtsspezifischen Ehrencodes um 1800 transformiert sich, so der Autor, die "Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses": Denn "weibliche Ehre", die in die "Reinheit" der Frauen gelegt wurde, war nicht "aus sich heraus" definiert, sondern vielmehr stets in Beziehung zur familialen oder männlichen Ehre gesetzt. War die "Reinheit" einer Tochter oder einer Ehefrau infrage gestellt, so war die Ehre der Familie oder des Gatten zumindest ebenso betroffen, wie die der Frau selbst. Infrage gestellt war nämlich die männliche Verfügungsgewalt des Vaters beziehungsweise des Gatten über den weiblichen Körper und dessen Sexualität. Weibliche Ehre war also ausschließlich sexuell codiert und zunächst als gegeben unterstellt. Männliche Ehre hingegen war ökonomisch codiert und konnte sich stets infrage gestellt sehen. Anders als die Ehre der Frau - die einmal verloren für immer verloren war - konnte sie wieder erlangt und - durch ein Duell - sogar vergrößert werden. Die männliche Ehre wurde dabei nicht etwa durch die "'Vergeltung' einer erlittenen Beleidigung" wieder hergestellt, sondern durch die Demonstration, "daß man den Tod einem Leben 'in Schande' vorzieht". Auch 100 Jahre nach dem von Ott untersuchten Zeitraum ist es noch immer genau dieses Motiv, das zum Duell fordern lässt. Ganz ähnlich wird der Ehrenfall auch literarisiert, etwa in Fontanes "Effi Briest" oder in Schnitzlers "Leutnant Gustl". Es ist wohl nicht verwunderlich, dass es gerade eine Frau es ist, die dieses Motiv durchbricht: Franziska zu Reventlow mit ihrer Erzählung "Herr Fischötter".

Neben den geschlechtsspezifischen Codizes der Ehre weist Ott auch auf deren Gemeinsamkeiten hin, wie etwa diejenige, dass sowohl Frauen als auch Männer Suizid "aus verlorener Ehre" begingen. Besonders beeindruckt die Untersuchung durch den Aufweis von Gemeinsamkeiten des männlichen Duells als Unternehmen zur Wiederherstellung der Ehre und des weiblichen Kindsmordes als Versuch zur Beibehaltung der Ehre, insofern mit ihm nach verheimlichter Schwangerschaft der 'Fehltritt' unentdeckt bleiben sollte. Beide, Duell und Kindsmord, waren gesetzlich verboten, zugleich aber, so Ott, "von einer anderen Art Gesetz geboten", nämlich vom "sozialen Gesetz der Ehre" und in beiden Fällen ist es das Ziel, "die andernfalls drohende unerträgliche Schande abzuwenden, sei es die der unehelichen Mutterschaft und Geburt, sei es die eines Lebens mit dem Makel 'befleckter' männlicher Ehre". Der Nachweis hierfür gelingt dem Autor sowohl bezüglich der gesellschaftlichen Realität um 1800 als auch für deren Literarisierung etwa bei Goethe - Schiller - Lessing, Reinhold Lenz, Friedrich Schlegel, Achim von Arnim und Clemens von Bretano, aber auch bei - heute - so unbekannten Autoren wie Heinrich Leopold Wagner und seinem Drama "Die Kindsmörderin".

Titelbild

Michael Ott: Ehre und Geschlechterdifferenz in der deutschen Literatur um 1800?
Rombach Verlag, Freiberg 2001.
300 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3793092615

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