Unverbrauchbare Wahrheiten

Ingeborg Bachmann für Schule und Studium

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der bekannten Reclam-Reihe "Literaturwissen für Schule und Studium" liegt nun endlich auch ein Band zu Ingeborg Bachmann vor. Peter Beicken, Bachmann-Forscher und Professor of German an der University of Maryland, hat ihn verfasst. Wie die Konventionen der Reihe vorgeben, setzt das Buch mit einer auf das Notwendigste beschränkten Zeittafel zu Autorin und Werk ein, gefolgt von einer allgemeinen Charakterisierung und literaturhistorischen Einordnung sowie Inhaltsangaben und Interpretationen der wichtigsten Werke. Abgeschlossen wird der Band mit Literaturhinweisen.

Innerhalb dieser Vorgaben hat der Autor allerdings den Freiraum zur eigenen Gewichtung genutzt, und hier erstaunt zunächst das Ungleichgewicht der Darstellungen und Interpretationen von Bachmanns Lyrik (70 Seiten) gegenüber ihrem "Todesarten"-Projekt (gerade mal 8 Seiten). Und dies, obwohl auch Beicken hervorhebt, dass die "Todesarten" Bachmann "die längste Zeit ihres künstlerischen Schreibens beschäftigt" haben.

Die Interpretationen selbst sind geeignet, Schülern und Studierenden die Werke Bachmanns näher zu bringen - trotz des gelegentlich befremdlichen Pathos, wie es sich etwa in der Formel der "unverbrauchbare[n] Wahrheiten ihres Werkes" ausdrückt. Darüber hinaus weisen sich die Kommentare durch gelegentlich innovative Lesarten aus, wie etwa diejenige der Erzählung "Das Lächeln der Sphinx". Beicken setzt den Text nicht, wie Sigrid Weigel, mit der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno in Beziehung, sondern mit Kafkas "Schweigen der Sirenen".

Die Rezeptionsgeschichte der Werke Bachmanns wird vom Autor prägnant auf den Punkt gebracht: In den 50er Jahren sei Bachmann von einer "vorwiegend männlichen Kritik" als "Starlyrikerin" gefeiert worden, wohingegen sie von derselben Klientel für ihre späte Prosa "Belehrungen und Abschätziges" habe erfahren müssen. Erst die durch die "feministische Kritik herbeigeführte Neuorientierung der Rezeption der achtziger Jahre" habe die "Thematik der Zerstörung weiblicher Subjektivität" ins Zentrum gestellt. Schließlich habe sich in den 90er Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass Bachmanns Texte "umfassender von der Gefährdung der Gesellschaft und im Geschichtsprozess" handelten. Worin - nicht womit! - die feministische Kritik aufgehoben ist. Wie berechtigt nämlich die 'feministische Lesart' ist, machen auch Beickens Analysen deutlich. So hebt er hervor, dass Bachmann "schon früh eine kritische Sicht patriarchalischer Verhältnisse und Machtstrukturen entwickelt und später in ihren 'Todesarten' vollendet" habe. Zentrales Thema des Werkes sei die Problematik der "Identität in den Geschlechterbeziehungen" und der "Krieg im Zwischenmenschlichen", wie sie etwa in "Malina" mit der "physische[n] und psychische[n] Zerstörung der weiblichen Identität durch das männliche Prinzip" deutlich werden.

Wenn der Autor jedoch resümiert, die "Todesarten" seien "eine großangelegte Passionsprosa", die von den "vielfältigen Mächten" handle, "die Menschen um ihr Leben bringen", verwischt Beicken die Geschlechtergrenze zwischen Mördern und Ermordeten. Bei Bachmann sind es schon die Männer, die die Frauen umbringen, und nicht umgekehrt. Und ein Blick in die Statistik belehrt, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit dem genau entspricht.

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Peter Beicken: Literaturwissen: Ingeborg Bachmann.
Reclam Verlag, Stuttgart 2001.
168 Seiten, 4,10 EUR.
ISBN-10: 3150152259

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