Der Mann, der Mann sein wollte

Michael Kleebergs Roman "Der König von Korsika"

Von Mark RitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mark Ritz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lang, lang ist's her, da sangen die Lovin' Spoonful "I´m lost in a daydream". Aber Oldies sind Goldies, wie man so schön sagt, und seinen Tagträumen hängt doch auch rund dreißig Jahre später jeder noch gern nach. Da bilden der Protagonist, Baron Theodor von Neuhoff, und sein Autor, Michael Kleeberg, keine Ausnahmen: Der eine wäre gern König von Korsika, der andere gäbe sich schon mit Thomas Mann zufrieden. Doch Träume sind (fast immer) Schäume, wie jeder weiß.

In seiner Kindheit im ausgehenden 17. Jahrhundert fände der Spross eines verarmten Barons, Theodor von Neuhoff, eine gute Unterkunft und eine kräftige Mahlzeit weitaus besser als den Thron einer Mittelmeerinsel. Aber die verwitwete Frau Mama ernährt ihre Kinder lieber mit Standesdünkel und Halbwissen als mit Suppe und Brot. Als die blaublütige Familie kurz vor dem Verhungern steht, erscheint der wohltätige Graf Mortagne auf der Bildfläche und versorgt sie mit Geld und Hauslehrern - undmit noch mehr adeliger Denkweise. Er ist es auch, der den jungen Herrn Baron in die höfische Gesellschaft in Versailles einführt. Dort beginnt für den schöngeistigen und oberflächlichen Glücksritter Neuhoff eine europäische Odyssee als Geheimagent, Diplomat und Alchimist, die ihn schließlich auf den wackeligen Thron Korsikas führt und von mehr oder minder illustren Gestalten der Geschichte gesäumt ist. Aber was für den Kaiser Napoleon I. die Heimat war, wird für den Blender Theodor I. zum Waterloo.

Michael Kleebergs "König von Korsika" stellt in erster Linie eine moderne Variante des klassischen Bildungsromans dar. Episodenhaft schildert das Buch den Lebensweg des antiheldenhaften "Königs eines Sommers", der - was jeder Rezensent zu berichten weiß, deshalb darf es auch hier nicht fehlen - tatsächlich 1736 Korsika regierte: Eine interessante Fußnote der Geschichte, von Michael Kleeberg unterhaltsam auf Romanumfang vergrößert, die im zweiten Teil an Rudyard Kiplings "Mann, der König sein wollte" erinnert. So weit, so gut, wenn da nicht "die Erneuerung der deutschen Literatur aus dem Geist des Erzählens" (Tilman Krause) wäre: Kleebergs Schreibweise. Der Geist des Erzählens muss ein sehr altes Gespenst sein, denn es hat bereits Thomas Mann heimgesucht. So fühlt man sich, sei es im verschachtelten Kunstsatz, sei es im preziösen Fremdwortgebrauch, permanent an den Norddeutschen erinnert. Pech für Michael Kleeberg: Mann ist auf seinem Gebiet nach wie vor unschlagbar. Glück für den "König von Korsika": Das Buch hat gerade deswegen seine erzählerischen Qualitäten.

Wer von Stuckrad-Barre und Konsorten auf der einen und von Tanja Kinkel und Co. auf der anderen Seite die Nase voll hat, mag den Historienroman durchaus einmal beschnuppern, Freunde klassischer Erzählkunst sowieso. Nur, wer meint, hier die Erneuerung der deutschen Literatur zu wittern, hat definitiv den falschen Riecher.

Titelbild

Michael Kleeberg: Der König von Korsika. Roman.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2001.
380 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3421054487

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch