Schmetterlinge, zur Sonne, zur Freiheit

Marco Alcántara belegt mit seiner Cuba-Anthologie die literarische Vielfalt der Insel

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine enge Welt, die Senel Paz in seiner Erzählung "Sag ihr nicht, dass du sie liebst", der ersten der Anthologie "Erzählungen aus Cuba", beschreibt: Hin- und hergerissen zwischen der ersten großen Liebe und dem engen Reglement der Partei versucht der Ich-Erzähler David beidem gerecht zu werden und scheitert zunächst. Während seine Freunde, die wie er eng in die Partei eingebunden sind, ihm einbläuen, der von ihm angebeteten Vivian niemals seine Liebe zu gestehen, bereitet sich David auf die erste Liebesnacht mit Vivian in einem Stundenhotel vor - seine erste Liebesnacht überhaupt. Deutlich wird dabei vor allem, wie weit das politische Leben Kubas in das private Leben der Menschen eingreift. David zeigt glühendes Engagement in der Partei, bis Vivian eines Tages in seiner Schule auftaucht und er fortan nur noch von ihr träumt. Vivian ihrerseits träumt von "dem Che", wie sie ihn nennt, und kann nicht entscheiden, ob sie die Beatles oder den lateinamerikanischen Liedermacher Silvio Rodríguez besser finden soll. Als Che umgebracht wird, tröstet David Vivian nur zu gerne - und sagt ihr nach der gemeinsam verbrachten Nacht allen Ratschlägen der Freude zum Trotz doch, dass er sie liebt.

Marco Alcántara hat in der zweisprachigen, deutsch-spanischen Anthologie "Erzählungen aus Cuba" dreizehn herausragende, bekannte und weniger bekannte kubanische Autoren vereint, die zwischen 1914 und 1968 geboren wurden und teils noch auf der Insel, teils im Exil leben. Alcántara belegt damit auf wunderbare Weise die ganze Bandbreite und Qualität kubanischer Literatur. Die Autoren, darunter so bekannte Namen wie Reinaldo Arenas und Jesús Díaz, erzählen von Sehnsucht, Träumen, Drogen, Sex und Gewalt, schreiben über Enttäuschung und Hoffnung, Sozialismus und Freiheit.

Gemeinsam ist ihnen dabei vor allem die Sehnsucht nach amerikanischen Idolen wie Charlie Chaplin und Elvis Presley. In Miguel Mejides Erzählung "Meine Cousine Amanda" tanzt besagte Cousine des Ich-Erzählers jeden Nachmittag mit ihren Freundinnen zur Musik von Elvis Presley. Der Ich-Erzähler darf dabei zwar zusehen, darf den Mädchen unter die schwingenden Röcke schauen, darf aber nicht mittanzen, um den Zauber nicht zu zerstören. Dank ihrer Vorstellungskraft tanzt Amanda nämlich jeden Nachmittag mit Elvis selbst. Jahre später, sieht der Ich-Erzähler die Cousine wieder und muss feststellen, dass sie nicht nur die Vorstellungskraft ihrer Jugend, sondern auch ihren Lebenselan verloren hat.

Auch Anna Lidia Vegas Erzählung "Collage mit Fotos und Tanz" ist die Geschichte einer Sehnsucht. Jeden Abend verbringt die Ich-Erzählerin mit ihren Freunden im LSD-Rausch. Während sie von der großen Liebe und einem Leben als Tänzerin träumt, sehnen sich die Freunde nach einem Leben in Freiheit. Da ihnen dies verwehrt bleibt, flüchten sie immer tiefer in ihre bunte LSD-Welt und übersehen bei einem nächtlichen Einbruch in einen Theaterfundus, dass eine von ihnen besonders weit in die Welt hinaus will: Illiana schlüpft in ihrem Rausch in ein Ballerina-Kostüm und fliegt als vermeintlicher Schmetterling vom Balkon des Theaters in die endgültige Freiheit.

Titelbild

Marco Alcantara (Hg.): Cuentos hispanoamericanos: Cuba. Erzählungen aus Cuba. Spanisch/deutsch.
Übersetzt aus dem kubanischen Spanisch von Isabel Alcantara und Susanne Lange.
dtv Verlag, München 2001.
216 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3423093951

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