Ich bin ein Kind dieser Stadt

Michael Weins Debütroman "Goldener Reiter"

Von Gustav MechlenburgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gustav Mechlenburg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michael Weins ist kein unbeschriebenes Blatt, hat er doch schon so manches Blatt beschrieben, von dem er meist nächtens einem in der Mehrzahl jüngeren Publikum zu lesen bemüht war. 1996 gründete er mit Alexander Posch den Literaturclub LAOLAclub! 1998 war er Mit-Initiator und Protagonist der Liv Ullmann Show und schließlich Gründungsmitglied von Macht e. V., eine Literaturveranstaltung, die aus Hamburg kaum noch wegzudenken ist. Bekannte Autoren lesen im überfüllten Mojo-Club auf der Reeperbahn neben Lokalmatadoren und Amateuren. Eine skurrile Mischung, die durch Anmoderation, Showeinlagen und Jägermeisterschaft eine nicht immer ganz stilsichere Stillosigkeit erreicht.

Dass es bei derlei Umfeld um den richtigen Schmiss und gute Pointen geht, will man das Publikum bei Laune halten oder gar den Jägermeisterschaftspreis in Form eines Bademantels mit nach Hause nehmen, ist selbstverständlich. Auch, dass das den literarischen Ergüssen nicht immer gut tut.

Sozusagen als Beweis, dass die vorgetragenen Geschichten nicht nur an einem verrauchten Abend funktionieren, veröffentlichte Weins letztes Jahr den Erzählband "Feucht", bezeichnenderweise im Schwamm-Verlag, der einiges Lesenswerte damit aufsaugte. So ließ sich das Können des Autors zu Hause und in Ruhe genießen.

Jetzt hat er seinen ersten Roman geschrieben, doch man hätte ihn davon abhalten müssen. Was in kürzeren Texten gelingt - die stimmige und mitunter amüsante Beschreibung eines popkulturellen Archivs der Achtzigerjahre sowie phänomenologische Innen- und Außenansichten der erzählenden Person -, ist auch hierin angelegt, zieht sich über 200 Seiten unangenehm dahin. Das ist schade. Gibt es doch ganz wunderbare Stellen. Beispielsweise, wie Jonas Fink, der 8-jährige Ich-Erzähler, zusammen mit seiner Mutter im Wartezimmer sitzt und sich nicht nur darüber wundert, dass diese bei der Lektüre eines Donald-Duck-Hefts in Lachen ausbricht - hat der Junge selbst doch nie über Donald Duck lachen können -, sondern die Mutter ihm dabei sogar peinlich ist. "Meine Mutter ist nicht meine Mutter. Ich kenne diese Frau nicht ... sie soll sich wie eine Mutter verhalten." Solche Szenen zeugen von einem feinen psychologischen Gespür und wären im vom Autor bekannten Format auch der Erzählung wert.

Doch Weins wollte mehr, und es ist ihm missglückt. Der Titel deutet bereits an, dass es um die Tragödie der Schizophrenie geht. Das Lied von Joachim Witt "Der Goldene Reiter", ein Gassenhauer der Neuen Deutschen Welle, stellte die Krankheit als einen gesellschaftskritischen Aufschrei der verletzten Kreatur dar, auf den die Umwelt nur unangemessen reagiert: "Neue Behandlungszentren bekämpfen die wirkliche Ursache nie."

In dem Roman geht es allerdings gar nicht so sehr um die Erkrankung der Mutter. Beschrieben wird aus der Perspektive des Kindes, dem seine Kindheit gestohlen wird. "Ich muss auf meine Mutter aufpassen", sagt sich Jonas bei einem Schulausflug, bei dem sie wieder zu laut lacht und bereits verstörte Blicke der anderen Eltern erntet. Als die für die Krankheit Schizophrenie üblichen Symptome wie Wahrnehmungsstörungen, akustische Halluzinationen und Verfolgungswahn immer stärker werden, wird die Mutter in die Psychiatrie eingeliefert. Die Entfremdung schreitet fort: "Ich kenne diesen Blick nicht. Ich habe mich verlaufen. Gleich kommt ein Erwachsener und ruft zu Hause bei meiner Mutter an, damit sie mich abholt. Ich stehe da und weiß nicht weiter", denkt sich Jonas, beim ersten Besuch der Mutter in der Psychiatrie.

Das ist teils rührend, teils wirklich tragisch. Doch so gekonnt authentisch-kindlich die Sprache ist, die Weins dem Ich-Erzähler in den Mund legt, so aussichtslos auch eine literarische Ebene, die es vermag, die Geschichte wirklich zu reflektieren. Spätestens wenn Jonas, nachdem seine Mutter wieder zu Hause ist, selbst in schizophrene Phasen gerät, fehlt dem Leser jeglicher Anhaltspunkt. Das mag beabsichtigt sein, eher aber wohl dem Stil des Autors zuzurechnen, der unter anderem in einem Dogma-Aufruf gegen die Form des auktorialen Erzählers plädierte. Somit ist letztlich nicht mehr aus dem Roman geworden als ein Problembuch für den Religions- und Ethikunterricht der Mittelstufe.

Titelbild

Michael Weins: Goldener Reiter. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.
220 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3499231980

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