Schaumbad mit Zusätzen

Maskotts zweiter Roman offenbart, wie Menschen und Geschichten platzen

Von Johanna BackesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johanna Backes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer genießt diese Momente nicht? Allein in der Badewanne liegen, je nach Vorliebe nur umgeben von lauwarmem bis heißem Wasser. Die Seife gibt einen wohltuenden Geruch ab, bildet Blasen und Schaum. Die Haut entpannt sich, wird porentief rein. Für manche Leute ist ein solches Vollbad jedoch kein angenehmer Genuß. Für sie wird die Reinigung zur Sucht, zum Zwang.

Schon in seiner Kindheit zwingt das christliche Umfeld den kleinen Johannes, der "doppelt so reif war, wie es ihm geziemte" und den "seine Körpersäfte" und sein "in Panik" eregierter Penis zur Onanie, zur "Todsünde" drängen, in eine Waschsucht. "Damals schon, im zarten Knabenalter, er war erst neun, musste er sich, einem inneren Zwang gehorchend, mindestes fünfmal am Tag die Hände gründlich mit Seife waschen." Später, im Mannesalter, nach weiterer aufgeladener Schuld, verbringt er ganze Tage im Vollbad: einer guten und "mit der Keuschheit übereinstimmenden" Art der Säuberung.

In "Schatilah" wird die Geschichte von Astrid Astor und Lazarus Johannes Maria Deprez erzählt. Sie handelt "von Liebesglück", wird aber "durch einen verhängnisvollen und obendrein wahrscheinlich nur phantasierten Mord zu einer Geschichte tiefer Verzweiflung". Während des Erzählens verschwimmt die Grenze zwischen Äußerem und Innerem: Johannes sammelt unzählige aber exquisite Sorten an Seife: Mandelölseife, Avocado-Creme, Marenzi-Seife, die gängigen Pariser Zusätze ... Aber die äußerliche Säuberung reicht nicht zur inneren Reinigung aus. Schuld und Zwang nehmen zu, der Seifenkonsum steigt. Das Leben von Johannes bildet sich verzerrt in Seifenblasen ab.

Vielleicht ist der Erzähler dieses Textes, der abwechselnd von Johannes und in der Ich-Form spricht, durch soviel glitschige Natronlauge ins Rutschen und Schleudern geraten. Vielleicht hat das Einatmen der unterschiedlichen ätherischen Öle seine Wahrnehmung beeinträchtigt. Seine Geschichte rutscht ihm jedenfalls durch die Finger hindurch.

Anfangs baut der unter dem Pseudonym "Maskott" schreibende Autor Klaus Servene noch durch Andeutungen auf das blutige und fleischhagelnde Geheimnis des zentralen Charakters Spannung auf. Nach der raschen Offenlegung einer in einem Mord gipfelnden Dreiecksbeziehung verliert seine Geschichte jedoch ihre inhaltliche Konsistenz. Die weitere Entwicklung der Hauptfigur Johannes wird durch das Wiederkäuen von Biographien und Zitaten unnötig gestreckt. Servene verbindet die in den neunziger Jahren spielende Gegenwartshandlung mit Rückblicken in die Geschichte. Allzu detailliert datiert er Ereignisse und Lebensdaten. Die hinter dieser Biographiensammlung stehenden Personen erklärt der Protagonisten zu Identifikationsfiguren. Er sammelt ihre Daten wie ihre Namen. So ist ein Vorbild für die Figur Johannes der als Schinderhannes bekannt gewordene Johannes Bückler.

So wie Johannes auf des Leben anderer verweist, verweist der Autor von "Schatilah" permanent auf die Erzeugnisse und die Produktivität fremder Provenienz. Sein Erzählstoff, seine eigene Geschichte und seine Sprache gewinnen erst durch die Suggestionskraft anderer an Format.

Dabei setzt sich Mascott keinem eben geringen Anspruch aus. In seinem "Nachspiele" betitelten Epilog träumt "der ganz normale Mann", der "zufälligerweise ein Deutscher" ist, von der Aussöhnung des Franzosen Houellebecq mit dem Brasilianer Coelho. Durch diesen sehr direkten Rekurs auf zwei sehr gegensätzliche, nicht eben unbekannte Autoren, durch den sich eine Reflexion über das eigene Schreiben anschließt, wird der Leser zu Vergleichen genötigt, bei denen Klaus Servene nicht gut abschneiden kann.

Titelbild

Maskott: Schatilah. Roman.
AndiamoVerlag, Mannheim 2002.
160 Seiten, 13,50 EUR.
ISBN-10: 3831107564

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