Die DDR als Zirkusnummer

Fritz Rudolf Fries' Roman "Der Roncalli-Effekt"

Von Stephan SonntagRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Sonntag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Verbesserung und Läuterung des Menschen im sozialistischen Sinne als Aufgabengebiet des Staatszircus und der Clown als die zentrale Integrationsfigur zur Verwirklichung dieses Ziels sind die Fundamente der Idee des Roncalli-Effektes.

Hauptperson des Romans von Fritz Rudolf Fries ist der Clown August Augustin, ehemals beschäftigt am Staatszircus der DDR, nun jedoch in Venedig unter Mordverdacht in Haft. Er soll vor Jahren seine Geliebte, die Raubtierdompteurin Clarissa, in der Manege erschossen haben. Dieser Arrest löst bei Augustin den Wunsch aus, über sein Leben nachzudenken und sich seiner Schuld zu stellen. Die Heirat mit Zanetta am Tag des Mauerbaus, die Scheidung in der Woche des Mauerfalls, seine Adoptivkinder, seine Clownsnummern und nicht zuletzt seine Freunde Don Peppone, Direktor des Staatszircus und Retard, der Literaturwissenschaftler, stehen im Mittelpunkt dieses Rückblicks. Umrahmt werden diese Betrachtungen durch die Gespräche des Gefangenen mit seinem Anwalt Tedeschi.

Was ist nun aber unter dem Roncalli-Effekt zu verstehen? Angelo Giuseppe Roncalli lautet der bürgerliche Name von Papst Johannes XXIII, dem Friedens- und Konzilspapst des 20. Jahrhunderts, dem Erneuerer der katholischen Kirche. Denselben Effekt erhofft man sich für den Zirkus, der von einer Unterhaltungsshow zur Kunst aufsteigen soll.

Die Perspektive des Clowns erscheint insgesamt für die philosophischen Betrachtungen über das Leben in der DDR sehr gewagt, denn einerseits wird zwar das vorhandene komische Potential ausgeschöpft, doch andererseits entsteht dadurch auch die Gefahr der Verklärung der Vergangenheit. Dem Autor gelingt es jedoch, auf diesem schmalen Grat zu balancieren, da er immer wieder dem "Mangel, der die Talente fördert", oder "den Lügen, welche die Unzulänglichkeit der Verhältnisse korrigieren", die "Idee, die sich immer dann blamiert, wenn sie mit der Realität zusammentrifft", gegenüberstellt.

Die Frage, die zu beantworten bleibt, lautet, wen dieses metaphorische Selbstbild dieses einst in die Stasi verstrickten Autors überzeugen kann. Der erfundene Lebensweg dieses Clowns, umrahmt von der Kriminalhandlung des Mordfalls, ist jedenfalls keine Bekenntnisform, die sozialistische Zirkusstrategie der DDR kann als Modell nicht überzeugen und ist kein brisanter Themenkomplex. Was bleibt also? Es sind die kleinen versteckten Beobachtungen aus dem Alltagsleben des Clowns, die Staatsbediensteten beim Besuch der Manege, die phantasievoll- kritisch gestalteten Clownsnummern und die wunderbaren Wortjonglagen des Autors.

Titelbild

Fritz R. Fries: Der Roncalli-Effekt. Roman.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999.
240 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3378006242

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