Tanzen, solange die Musik spielt

Haruki Murakami erzählt vom "Tanz mit dem Schafsmann"

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zur Diskussion stand "Gefährliche Geliebte", der neue Roman des japanischen Erfolgsautors Haruki Murakami, und man konnte sich wieder einmal nicht einigen: War dies nun "literarisches Fastfood", wie Sigrid Löffler meinte, oder nicht vielleicht doch ein Roman "von ungewöhnlicher Zartheit und großer Intensität", wie Reich-Ranicki ihr entgegenhielt? Dieser Disput (der schließlich zum Bruch des "Literarischen Quartetts" führte), hätte sich allerdings auch an jedem anderen Roman Murakamis entzünden können, da die raffinierte Einfachheit seiner Erzählungen es dem Leser leicht und dem Kritiker schwer macht. Besonders die Sujets und die leichte Lesbarkeit der Texte sind es dabei wohl, die das Misstrauen der Kritik erregen. Doch gerade in dieser Leichtigkeit und Anschaulichkeit des Erzählens liegt die Qualität der traurigen Liebesgeschichten von Murakami, denen es gelingt, eine ähnlich suggestive Kraft wie gelungene Popmusik zu entwickeln. Bezeichnenderweise ist einer seiner Romane "Norwegian Wood" ("Naokos Lächeln") betitelt, benannt nach einem frühen Song der Beatles, der melancholisch und sarkastisch die Geschichte einer gescheiterten Liebesnacht erzählt.

"Tanz mit dem Schafsmann", in Japan bereits 1988 publiziert und soeben bei DuMont auf deutsch erschienen, ist ein weiterer dieser Glücksfälle für den Leser, an dem sich der lakonische Stil Murakamis, seine Themen und Motive gleichsam exemplarisch beobachten lassen. Wie in den anderen Romanen steht auch hier ein urbaner Einzelgänger Anfang Dreißig im Mittelpunkt. Nach einer Reihe der typischen Lebensniederlagen, einer ernüchternden Scheidung, dem Tod eines Freundes und nachdem ihn eine Frau ohne Erklärung verlassen hat, versucht er sich nun quasi als Mann ohne Eigenschaften diskret in das gesellschaftliche System einzupassen. Im Tokio der späten achtziger Jahre führt er ein unscheinbares Leben als Verfasser von Gebrauchstexten für PR-Magazine, die niemand braucht.

Diese unauffällige, fast leblose Existenz gerät durch wiederkehrende Träume und die Erinnerung an eine ehemalige Geliebte in Bewegung, die einst auf unerklärliche Weise verschwunden war. Irritiert und neugierig reist der Erzähler dem Ursprung dieser Träume nach, zum Delphin Hotel nach Sapporo, wo damals "alles begonnen hatte". In diesem Hotel, das fast über Nacht von einer schäbigen Absteige zu einem imposanten Luxushotel mutiert ist, begegnet er dem titelgebenden Schafsmann, einem surrealen, mystischen Wesen aus einer Parallelwirklichkeit. Diese Gestalt scheint nur auf den Helden gewartet zu haben, um ihm wie ein Deus ex machina den Weg zu weisen, der ihn wieder mit dem Leben verbinden wird. Seine Anweisung ist dabei rätselhaft und simpel zugleich: "Tanzen, sagte der Schafsmann. Immer weitertanzen, solange die Musik spielt."

Und genau dies versucht der Erzähler auf der Suche nach einem neuen Leben. In der Folgezeit überschlagen sich die Ereignisse in einer furiosen, mit surrealistischen Sequenzen versetzten Genremixtur aus Großstadtroman, Thriller und Liebesgeschichte. Er nimmt Kontakt zu einem ehemaligen Schulfreund auf, der inzwischen ein Kinostar geworden ist und ein Verhältnis mit der verschwundenen Geliebten hatte. Er schläft mit Luxuscallgirls, wird in einen rätselhaften Mordfall hineingezogen und tagelang verhört, und er avanciert zum Beschützer von Yuki, einem dreizehnjährigen Mädchen - eine zart gezeichnete, anrührende Beziehung, die die Erinnerung an das ungleiche Paar in Luc Bessons "Leon, der Profi" aufruft.

Gewarnt seien allerdings all diejenigen, die hier ein fremdartiges Sittenbild des heutigen Japan erwarten. Tatsächlich merkt der Leser nur an den Namen der Protagonisten und der Städte, dass er sich nicht in irgendeiner amerikanischen Metropole, sondern in Tokio oder Sapporo befindet. Murakami, der in einem Interview mit der "Zeit" einmal sagte, dass er die japanische Literatur hasse, hat sich ganz der westlichen Kultur verschrieben. Vor allem ist es die Popmusik der sechziger und siebziger Jahre, sind es die Songs der Beach Boys, von Sly and the Family Stone, von Steely Dan und vielen mehr, deren Klang den Roman erfüllt. Zudem hat er namentlich von den amerikanischen Autoren viel gelernt, die er ins Japanische übersetzt hat. So erinnert etwa die Handlungsfülle von "Tanz mit dem Schafsmann" nicht von ungefähr an die opulenten, vielsträngigen Werke John Irvings, so wie die knappe Präzision der Verhörszene sich kaum anders als eine gelungene Hommage an Raymond Chandler verstehen lässt.

All diese Einflüsse und Elemente vernetzt Murakami zu einem bewegenden Roman über die großen Themen, über Liebe, Tod, Freundschaft und Erinnerung, der in seinem Verlauf zunehmend an Dynamik gewinnt und daher wohl kaum einen Leser vor der letzten Seite loslassen wird. Also doch Fastfood? Vielleicht lässt sich der eingangs zitierte Streit um Kitsch oder Kunst ganz einfach mit einem Apercu von Lilo Wanders beantworten. Einmal gefragt, ob man denn nun Mann oder Frau vor sich habe, lautete die knappe Antwort: "Ja."

Titelbild

Haruki Murakami: Tanz mit dem Schafsmann. Roman.
Übersetzt aus dem Japanischen von Sabine Mangold.
DuMont Buchverlag, Köln 2002.
460 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3832155333

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