Über die Architektur einer Liebe

Gregor Hens Debüt "Himmelssturz"

Von Sabrina HeuwinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabrina Heuwinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Drei Dinge, fing er an, sind bei einem Gebäude zu beachten: dass es am rechten Fleck stehe, dass es wohlgegründet, dass es vollkommen sei." Nicht geringer als "vollkommen" soll es sein, das Haus, das der berühmte Architekt Antonin für Syke und Farald baut.

In seinem Roman "Himmelssturz" beschreibt Gregor Hens die Geschichte einer scheinbar idealen Ehe. Als geschätzter und beliebter Professor an einer bekannten amerikanischen Universität führt Farald mit seiner Frau ein angenehmes Leben. Die intelligente und schöne Skye ist beruflich höchst erfolgreich und legt sich eine Kunstsammlung an, die sie mit sicherem Gespür immer wieder durch neue Gemälde erweitert. Zu ihrem vollkommenen Glück fehlt dem Paar nur noch das maßgeschneiderte Haus. Antonin, Architekt, und besonderer Freund der Familie, beginnt mit der Planung des idealen auf beide abgestimmten Lebensraumes.

"Wir beugten uns zum Bildschirm hinunter. Und während Antonin redete, immer weiter redete, nicht zu bremsen war, während er von Neigungen sprach und von Trägern und Achsen, von Hebeln und Überhängen, starrten wir auf das Haus, wie es sich langsam und lautlos drehte, schwebend auf dem weißen, leeren Hintergrund. Und Antonin simulierte einen Sonnenuntergang, sagte um soundsoviel Uhr an Skyes Geburtstag, wenn die Sonne hinter dem westlichsten Apachenausläufer untergeht, dann fällt noch ein letzter Streifen Licht hierher. Siehst du, hier."

Alles läuft nach Plan, doch während der Bauarbeiten tritt eine Veränderung in Faralds Leben ein. Er wird das fertige Haus nie mit Skye beziehen.

Der 1965 in Köln geborene und heute als Professor für Germanistik an der Ohio State University in Columbus lehrende Autor versteht sich in seinem ersten Roman meisterhaft darin, mit wenigen Worten viel zu sagen. Ebenso wie das architektonische Meisterwerk nach den exakt ausgearbeiteten, bis ins kleinste Detail perfektionierten Plänen langsam die Form des Hauses annimmt, das es einmal werden soll, gewinnen die Charaktere mit jeder Seite des Romans an Gestalt.

In den engeren gemeinsamen Freundeskreis des Paares, zu dem der exzentrische Architekt Antonin gehört, findet die angehende Kulturwissenschaftlerin Helen Eingang. Die junge deutschstämmige Studentin weckt in Farald Erinnerungen an die Alte Welt. "Als sie zehn war, beschloß ein Ärzteteam, ihre untere Wirbelsäule zu richten und mit einer Schiene aus sterilem, rostfreiem Stahl zu fixieren". So beginnt eine der Erzählungen Helens aus ihrer Kindheit. Der ebenfalls in Deutschland aufgewachsene Akademiker lauscht betört den lebhaften, episch langen Geschichten, die ihm die "offensichtlich erzählsüchtige" Frau mit dem "klaren hellen Blick" erzählt. Besonders eindringlich beschreibt die junge Frau die folgende Begebenheit. Sie erzählt wie der Bruder eines Tages aufgeregt in ihr Zimmer stürmt und atemlos von einem Brand in der Nachbarschaft berichtet. Schließlich trägt er die durch die Operation ans Bett gefesselte Helen wider Willen zu dem bereits durch Feuerwehr und Polizei gesicherten flammenschlagenden Ort des Spektakels. Kurze, in die Handlung eingeflochtene Erzählungen wie diese, sorgen für Spannung und verleihen den im Roman agierenden Figuren glaubhafte Schwere.

In seiner Faszination für Helen und mit der baldigen Fertigstellung des Hauses findet sich Farald plötzlich vor einem "Himmelssturz". Er wird sich der langsam heranschleichenden, stetig stärker werdenden Verfremdung seiner Frau gewahr - und sein Leben stürzt ein wie ein Kartenhaus.

Gregor Hens' Roman trägt authentische Züge, schließlich ist er ebenso wie der Protagonist seines Buches Farald ein deutscher Akademiker in Amerika. Daher vermag es Hens auch, den Standort der Handlung, das Amerika der gehobenen Mittelklasse, in überzeugender Weise darzustellen. "Himmelssturz" ist keine "typische Dreiecksgeschichte" in dem Sinne sondern ein aus Gedanken, Gesprächen und Geschichten interessant verschachteltes Konstrukt, das sich wie ein architektonisches Gebilde von vielen verschiedenen Seiten betrachten läßt.

Titelbild

Gregor Hens: Himmelssturz. Roman.
Goldmann Verlag, München 2002.
220 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3442750814

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