Nicht allein die Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Gerhard Richters Landschaften

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines der größten Probleme für die Kunstkritik hinsichtlich Gerhard Richter scheint dessen vermeintlich fehlender Stil zu sein, der aus Vielseitigkeit oder Beliebigkeit resultiert; die zahlreichen Artikel und Berichte anlässlich der Retrospektive im Museum of Modern Art in New York und Richters 70. Geburtstag belegen dies eindrucksvoll. In dem Katalog "Landschaften", der zuerst für die Ausstellung im Sprengel Museum Hannover zusammengestellt wurde, versucht sich Oskar Bätschmann dennoch an einer Auslegung Richters zwischen naivem Anspruch, Verweigerung und Anpassung an Kunstmarkt und -mode, und dem reflektierten Umgang mit der Tradition.

In Richters Schaffen spielte das Sujet der Landschaft stets eine tragende Rolle. Dietmar Elger fasst in seinem Aufsatz "Landschaft als Modell" einige Fakten zusammen, die die Schwierigkeiten der Kunstkritik nachvollziehbar machen. Der Künstler malt seit über 35 Jahren Bilder mit landschaftlichen Motiven. Eine bestimmte Periode oder Phase lässt sich also nicht festmachen. Parallel entstehen abstrakte Bilder, andere "verschwommene", gegenständliche Bilder, Farbtafeln, Zeichnungen und Unmengen von Photographien, die wiederum als Vorlage für die Gemälde dienen. Richter selbst bekennt, er wolle eigentlich nicht die Photos imitieren, er wolle "Photos machen. Und wenn ich mich darüber hinwegsetze, daß man unter Photographie ein Stück belichtetes Papier versteht, dann mache ich Photos mit anderen Mitteln, nicht Bilder, die was von einem Photo haben." Richters zuweilen berückend schöne Landschaftsbilder beruhen stets auf photographischen Vorlagen, auf zufällig entdeckten Amateuraufnahmen, Zeitungsbildern und eigenen Reiseeindrücken. Die Vorlagen werden aber in der Tat nicht imitiert, sondern vielfach verfremdet. Das betrifft nicht allein die Technik der Malerei, wie sie bei den Verwischungen der Farbe oder der Übermalung zu Tage tritt, sondern auch die phantasievolle Fiktionalisierung und Montage der Bildmotive. So oszilliert die Wahrnehmung der "Seestücke" mehrfach zwischen Abstraktion und Illusionismus, wie Elger hervorhebt. Richter hat etwa die Motive von Wasseroberfläche und bewölktem Himmel aus zwei selbständigen Photographien kombiniert und in dem "Seestück (See-See)" den Himmel durch eine um 180° gedrehte Wasseroberfläche ersetzt. Zwei Teyde-Landschaften von 1971 liegen wiederum Photographien einer Ansammlung kleiner Grasbüschel zugrunde. Eingefügte Figuren vervollkommnen schließlich die Vorspiegelung eines landschaftlichen Panoramas.

Vielleicht sind es diese Raffinessen, die Bätschmann dazu ermuntern, Richters "Lust, etwas Schönes zu malen", mit einer "subversiven Absicht, schöne Bilder zu malen", zu verbinden. Ziel des Künstlers ist es, das Schöne als attraktiv und heuchlerisch zugleich darzustellen: "Meine Landschaften sind ja nicht nur schön oder nostalgisch, romantisch oder klassisch anmutend wie verlorene Paradiese, sondern vor allem ,verlogen' [...], und mit ,verlogen' meine ich die Verklärung, mit der wir die Natur ansehen, die Natur, die in all ihren Formen stets gegen uns ist, weil sie nicht Sinn, noch Gnade, noch Mitgefühl kennt, weil sie nichts kennt, absolut geistlos, das totale Gegenteil von uns ist, absolut unmenschlich ist." Die dabei stets vorhandene Unschärfe belegt, wie Richter meint, das "Anderssein" des Bildes gegenüber der Realität, wie sie sich im Photo nur augenblickshaft fixieren lässt. Das Bild gewinnt dabei an Materialität, die den Betrachter außerdem zur Skepsis gegenüber dem Idyll zwingt. Zugleich werden viele Motive allein schon durch ihre Auswahl hervorgehoben, und mit einer quasi zeitlosen Bedeutung aufgeladen. Die vordergründig verklärte Schönheit der Landschaft fordert so zum genauen Hinsehen auf und verweigert sich doch dem ausgeprägten Scharfsinn.

Titelbild

Dietmar Elger (Hg.): Gerhard Richter: Landschaften. Mit Texten von Oskar Bätschmann und Dietmar Elger.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2002.
128 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3775791051

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