Schaumschläger oder Revolutionär

Ulrich Enzensbergers Biographie über Georg Herweghs „Heldenleben“

Von Thomas KasturaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kastura

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Außer Heine, Büchner und vielleicht noch Börne haben wenige Vormärz-Autoren die Zeit überdauert. Wer heute Anthologien zu dieser Epoche sucht, wird vor allem in Bibliotheken fündig. Dort stehen einige wenige Bände mit sogenannter Freiheitslyrik, erschienen in der DDR der 50er oder in der BRD der späten 70er Jahre. Gemeinsam sind diesen Nachhilfekursen in Revolutionsgeschichte außergewöhnlich umfangreiche Kommentare, die sich manchmal wie Beipackzettel für Potenzmittel lesen. Tatsächlich ist der Giftschrank des Jungen Deutschland bestückt mit jeder Menge engagierter und enthusiasmierter, aber auch haßerfüllter, geradezu blutrünstiger Agitation. Der Schwabe Georg Herwegh (1817-1875) hat dazu ein Erkleckliches beigetragen. Werk und Leben von „Deutschlands erstem politischen Dichter“ (Verlagswerbung), dienen zwar dem Verständnis der deutschen Demokratiebewegung. Literarisch wertvoll sind die Gesänge der „eisernen Lerche“ (Heine) aber nicht.

Ulrich Enzensberger, der schon Georg Forster von den Einbalsamierungstüchern der DDR-Germanistik befreit hat, wendet sich nun diesem ungleich erklärungsbedürftigeren Fall zu. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Herwegh desertiert von der württembergischen Armee, um in der Schweiz das Leben eines freien Schriftstellers zu führen. Dort erscheinen 1841 die vollmundigen, überaus erfolgreichen „Gedichte eines Lebendigen“, die ihn zum Star der deutschen „Censur-Flüchtlinge“ machen. Auf diesem Lorbeer ruht sich der Dichter zeitlebens aus. Außer vereinzelten Gedichten, Liedern und Übersetzungen bringt er so gut wie nichts mehr zustande. Seine blauäugige politische Karriere endet schon 1848, als Herwegh mit einem Häuflein fröhlicher Revolutionäre von Paris nach Baden zieht und dort geschlagen wird.

Der einstige Bürgerschreck und Selbstdarsteller, von Liszt als Schaumschläger tituliert, wird zum resiginierten Snob. Leisten kann sich Herwegh die Bohème-Allüren aufgrund seiner Ehe mit einer Kaufmannstochter, die ihn zeitlebens vergöttert. Als die jährlichen Wechsel vom Schwiegervater dürftiger ausfallen, verlegt er sich auf Pump und Bettelbriefe. 1863 dichtet er noch das berühmte „Bundeslied“ („Mann der Arbeit, aufgewacht“) für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, kann beruflich aber nicht Fuß fassen. Das „Heldenleben“, so der ironische Untertitel der Biographie, klingt in der Casino-Stadt Baden-Baden aus.

Enzensberger hat für sein Buch viel Material zusammengetragen und eine schillernde Geschichte geschrieben. Darin kommt das Milieu der ausgebürgerten Revoluzzer, die aus sicherer Entfernung konspirieren, räsonieren und rauschende Feste feiern, denkbar schlecht weg. Bei der Bewertung von Herweghs Werk vertritt er eine gewagte These: Die „Gedichte eines Lebendigen“ hätten den „Tanz in den Wilhelminismus“ eingeläutet. „Nie durften sie fehlen, nie wurden sie krank, die waffenstarrende Germania und die Söhne Teuts, die Philister und Minister und die in den Staub gezwungenen Tyrannen.“ Auf den ersten Blick mag es verwundern, daß ein ultra-radikaler Tendenzlyriker, der mit Marx, Bakunin und Lasalle verkehrte, Wegbereiter eines aggressiven Nationalismus gewesen sein soll. Doch Herwegh hat jene Mischung aus Verbitterung und Verbiestertheit, aus Großsprechertum und Gewaltbereitschaft in sich getragen, die von der „Eisen und Blut“-Rhetorik Bismarcks und dem Säbelrasseln Wilhelms II. gar nicht so weit entfernt ist. „Benutzte er nicht die gleichen Reime, die gleichen abgedroschenen Bilder und pathetisch-scheppernden Vergleiche wie seine angeblichen Todfeinde?“

Eine andere These des Buches steht allerdings auf wackligen Füßen: mit Herwegh als pars pro toto beerdigt Enzensberger die gesamte politische Dichtung. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs hätten „Solschenizyn, Jewtuschenko, Havel“ ausgedient. Ein pauschales Urteil. Nur weil sich Herwegh in der Rolle des heilsbringenden Propheten gefällt, der die Freiheit mit dem Schwert über den Erdkreis verbreitet sehen will, nur weil er wie sein väterlicher Freund Richard Wagner den nahenden Weltenbrand herbeisehnt und nicht so recht weiß, was danach kommen soll, muß das noch lange nicht auf das „politisch‘ Lied“ seiner Kollegen zutreffen. Die Freiheit läßt sich auch mit leiseren, weiseren Tönen besingen. Herwegh stößt in die Fanfare und fordert die deutschen Dichter auf: „Laßt die Harfen uns zertrümmern!“ Syntax war seine Sache nicht.

Titelbild

Ulrich Enzensberger: Herwegh.
Eichborn Verlag, Berlin 1999.
330 Seiten, 23,80 EUR.
ISBN-10: 3821841737

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