Auf den Spuren von Dietrich Eckart

Tanja Langers neuer Roman "Der Morphinist oder Die Barbarin bin ich"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein Name: Dietrich Eckart. Sein Kennzeichen: In der nationalsozialistischen Geschichtsschreibung wird ihm die Rolle des Vordenkers und die Funktion eines ersten Propagandisten antisemitischer Ideologie zugewiesen.

Bereits im Titel von Tanja Langers neuem Roman "Der Morphinist oder Die Barbarin bin ich" wird die symbolische Beziehung der beiden Hauptfiguren des Buches angesprochen. Die Ich-Erzählerin, Mutter von drei Kindern, Partnerin von Leo, sitzt allabendlich in der Berliner Staatsbibliothek und verfolgt die Lebensspuren eines Mannes, der 1923 gestorben ist.

Die Frage nach dem Warum beantwortet die Ich-Erzählerin mit dem Hinweis darauf, dass ihr diese historische Figur jeweils zum Ende ihrer drei Schwangerschaften erschienen sei. Sie fühlt sich getrieben, dieser Erscheinung auf die Schliche zu kommen. Die Erzählerin will wissen, wieso ein Mensch, der Heine-Gedichte liebt, sich selbst als Dichter versteht und sich um die Jahrhundertwende als Verfasser von Theaterstücken und Kritiken mehr schlecht als recht verdingt, der nach einem Aufenthalt in einer Klinik und einer Behandlung mit Morphium dem Rausch der Droge erliegt und sein väterliches Erbe mit Künstlern und Intellektuellen verprasst, sich später mit dem Geld seiner Frau eine Zeitung k, inder er antisemitische Hetzkampagnen publiziert und schließlich in Adolf Hitler den kommenden Führer des deutschen Staates sieht - wie ein solcher Mensch zum Antisemiten wird, zum Verfechter nationalsozialistischer Ideologie.

Diese Thematik ist der Autorin nicht neu. Tanja Langer sagt in einem Gespräch mit der Journalistin Wiebke Eden, sie sei damit sozialisiert worden, sich in der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität auf Nationalsozialismus und Holocaust zu beziehen. Vergangenheit schreibe sich in die Generationen ein und müsse zur kritischen und offenen Auseinandersetzung führen. Nur so könne ein gutes Verhältnis zu Gegenwart und Zukunft aufgebaut werden. Ein gesellschaftskritischer Ansatz, der im vorliegenden Buch die Geschichte des Dietrich Eckhart mit der Geschichte einer jungen Frau der Gegenwart verknüpft.

In einem einführenden ersten Teil - der Roman besteht insgesamt aus fünf unterschiedlich gestalteten Teilen - verfolgt die Ich-Erzählerin die Familiengeschichte von Dietrich Eckart, Mutter und Vater. Familienstrukturen werden fiktionalisiert. Parallel erfährt der Leser einiges über die Familiengeschichte der Erzählerin, der Suchenden, deren Kindheit und Jugend, die frühen und prägenden Erfahrungen von Herrschaft und Macht.

Die "Ballade des Morphinisten", so die Überschrift des zweiten Kapitels, führt Dietrich Eckart in Berlin vor. Lange innere Monologe, fiktive Gespräche mit dem Generalintendanten Hülsen-Haeseler, ein Dramolett mit Originalzitaten aus Kritiken zu Eckarts Stück "Der Froschkönig", das durchsetzt ist mit Sentenzen von Max Reinhardt und schließlich Eckarts durch Obdachlosigkeit bedingte nächtliche Aufenthalte im Tierpark zeigen einen Zerrissenen, der die Schuld für seine Misere bei anderen sucht, die Verantwortung überträgt auf die anderen, in diesem Fall die Kritiker, von denen viele jüdischer Abstammung sind.

Der folgende Einschub zeigt die Präsenz des Antisemiten im inneren und äußeren Leben der Erzählerin, die ihn - nach dieser intensiven Spurensuche - nun an den Platz stellen will, der ihm gebührt. Was sie an Ähnlichkeiten aufgespürt hat in der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Kindheit und den Erfahrungen, die ihre Überzeugungen geprägt haben, hat spätestens hier ein Ende. Ihr zeigt sich, dass Herrschaftsdenken und Machtkampf vor allem aus mangelnder Selbstachtung, mangelndem Selbstwertgefühl hervorgehen können, die Verachtung für sich selbst überträgt sich auf andere.

In den nächsten beiden Kapiteln wird die Lebensgeschichte Dietrich Eckarts weiter erzählt. Während seiner Zeit als Inhaber des "Völkischen Beobachters" schreibt er antisemitische Artikel und propagiert ein germanisches Reich. Er lernt Alfred Rosenberg kennen, der nach seinem Tod eine Biographie über ihn schreibt, und begegnet Adolf Hitler, den er fördert und unterstützt. 1923, im Alter von 55 Jahren, stirbt Dietrich Eckart.

Der Versuch der Ich-Erzählerin, Eckarts innere Geschichte nachzuvollziehen, sich an ihr zu reiben, gelingt nur manchmal überzeugend. Es bleibt unklar, warum sie sich selbst als Barbarin bezeichnet. Die Selbstanalyse verliert sich in Gedanken an sexuelle Untreue. Auch wenn dem Buch die Stringenz einer Romanhandlung fehlt, was nicht zuletzt mit der collagehaften Montagetechnik zu tun hat, liest es sich in Teilen spannend.

Titelbild

Tanja Langer: Der Morphinist Oder die Barbarin bin ich. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2002.
381 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3630871151

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