Männliche Schlösser und weibliche Brücken

Eine Gedenkschrift über Geschlechterkonstruktionen in Sprache, Literatur und Gesellschaft ehrt Gisela Schoenthal

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Andenken der im Jahre 1998 verstorbenen Freiburger Linguistin Gisela Schoenthal ist ein von Elisabeth Cheauré, Ortrud Gutjahr und Claudia Schmidt herausgegebener Sammelband zu Geschlechterkonstruktionen in Sprache, Literatur und Gesellschaft gewidmet. Das Buch wird mit der Grabrede von Anne Betten, Abschiedsworten von Uwe Pörksen und einem Beitrag zu Schoenthals postumer Würdigung mit dem Frauenförderpreis der Universität Freiburg eingeleitet. Anliegen der AutorInnen ist es, "Denkanstöße" zur "sprachlichen Formierung von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen" zu geben. Doch außer explizit sprach- und literaturwissenschaftlichen Themen, wie etwa "Maskerade und Geschlechtertausch in der mittelalterlichen Literatur", "Geschlechterdifferenz bei entstehendem Sprachbewußtsein" oder der "Geschlechtsbezogene[n] sprachliche[n] Varianz bei Schimpfwörtern des süddeutschen Sprachraums" werden auch die "Befindlichkeit und Lebensqualität der Angehörigen von Schlaganfallpatienten im Geschlechtervergleich" oder "Gender-Konzepte in James Camerons Film 'Titanic'" erörtert.

Von den fast ausnahmslos auf hohem Niveau angesiedelten Beiträgen verdienen diejenigen von Astrid Lange-Kirchheim und Jürgen Dittmann eine besondere Erwähnung. "Von der sprachlichen Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Wissenschaftstexten sind wir mit Sicherheit weit entfernt", stellt Dittmann in seiner Untersuchung zur "opake[n] Geschlechtsreferenz in Wissenschaftstexten" fest. Dieser Umstand sei nicht nur aus Gründen der "Fairness" inakzeptabel, sondern auch weil es durch sexistischen Sprachgebrauch zu "uneindeutigen oder falschen referenziellen Bezügen" kommt, also zu Aussagen, "die dem wissenschaftlichen Standart nicht gerecht werden", wie er an einer Reihe von Beispielen nachweist. Daher sei die Vermeidung eines sexistischen Sprachgebrauchs in wissenschaftlichen Texten weder eine "modische Spielerei" noch ein bloßes "Gebot der 'political correctness'".

In ihrem Beitrag über "Raum und Geschlecht in Franz Kafkas Romanfragment 'Das Schloss'" legt Lange-Kirchheim dar, dass es sich bei dem von Elisabeth Boa für den Roman aufgestellten "Gegensatzpaar Patriarchat:Matriarchat" um einen "Scheingegensatz" handelt. Denn so wie in Kafkas Roman "alles zum Gericht gehört" (Zitat Kafka), gehe hier "alles [...] vom Schloss aus" (ebenfalls Kafka). Das Gegensatzpaar werde also durch das auch von Boa als "phallisches Emblem" aufgefasste Schloss "übergriffen". Somit setze sich "die dem Geschlechterdualismus inhärente Priorisierung des männlichen Pols" durch. Hiervon ausgehend unternimmt es Lange-Kirchheim nachzuweisen, wie Kafka "mittels der Raumentwürfe von Schloss und Dorf und der sie verbindenden Wege, wie Brücke und Landstraße", Weiblichkeits- und Männlichkeitskonzepte "zur Debatte stellt" und "entlarvend exponiert". Weiblichkeit und Räumlichkeit seien in dem Romanfragment "ein und dasselbe". Somit sei ein männlicher Raum eine contradictio in adjecto. Mit seinen Raumkonzeptionen breche Kafka jedoch "die in ihnen petrifizierte dichotomische Geschlechterdifferenz" auf.

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Elisabeth Cheuré / Ortrud Gutjahr / Claudia Schmidt (Hg.): Geschlechterkonstruktionen in Sprache, Literatur und Gesellschaft. Gedenkschrift für Gisela Schoenthal.
Rombach Verlag, Freiburg 2002.
340 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3793092917

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