Rollende Geschlechterrollen

Ein Symposiumsband zu Findungen und Erfindungen des Anderen im Zitat

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekanntlich sind bestimmte Ausgaben klassischer Texte zitierfähiger als andere. So werden nicht nur für GermanistInnen sondern etwa auch PhilosophInnen nach der maßgeblichen Ausgabe der Werke Schillers, der National-Ausgabe, greifen, und nicht zu irgendeinem Reclam-Bändchen - wohingegen PhilosophInnen zu ihrem Erstaunen und Missvergnügen allerdings immer wieder feststellen müssen, dass es für GermanistInnen alles andere als selbstverständlich ist, Kant nach der Akademie-Ausgabe zu zitieren. Und Nietzsche wird von Nicht-PhilosophInnen gar gelegentlich immer noch nach der Ausgabe von Karl Schlechta zitiert. Aber natürlich gibt es auch in der an IndividualistInnen nicht armen Gilde der Philosophen den einen oder die andere, die für Zitierfähigkeit wenig übrig hat. Adorno war sogar geradezu dafür bekannt, dass er nicht die gängigen und maßgeblichen Ausgaben zu zitieren pflegte, sondern lieber zu einem Exemplar seiner Privatbibliothek griff, die oft ausgesprochen abgelegene und entsprechend schwer zugängliche Ausgaben beherbergte.

Neben der gängigen, auf bestimmte Text-Ausgaben bezogenen Bedeutung von Zitierfähigkeit gibt es aber zumindest noch zwei weitere. Ihnen galten die Vorträge auf dem 1999 vom Münchener Graduiertenkolleg "Geschlechterdifferenz & Literatur" ausgerichteten Symposion "Zitier-Fähigkeit", das nicht umsonst den Bindestrich im namensstiftenden Begriff führt. Hier meinte der Begriff zum einen "Fähigkeit des Zitierens" und zum anderen die "Fähigkeit, zitiert zu werden", also einerseits den Status, "den sich ein Subjekt aufgrund einer Autoritätsperson oder aufgrund von persönlichem Prestige aneignen oder der ihm zugesprochen werden kann" und andererseits eine "Eigenschaft von Objekten", die diese zitierbar werden lässt. Zitier-Fähigkeit kennzeichnet darüber hinaus nicht nur ein "literarisches Verfahren", sondern auch eine "politische Praxis", wie Andrea Gutenberg und Ralph J. Poole, die HerausgeberInnen des nunmehr erschienen Symposiumsbandes, betonen. Denn die Praxis des Zitierens, erläutern sie, bildet Herrschafts- und Autoritätsstrukturen aus. Absicht der in dem Buch versammelten Beiträge ist es, nach den Geschlechtsspezifika der "mit dem Zitat und im Zitat" ausgebildeten "Macht- und Autoritätsstrukturen" zu fragen. Hierbei ist für die meisten Beitragenden Judith Butler mit ihrem "Modell der citiationality" eine der wichtigsten Bezugspersonen.

Die Beiträge des Bandes sind in drei Rubriken unterteilt: "Originalität und Autorschaft", "Macht und Autorität" sowie "Textualität und Kultur". In den ersten beiden Bereichen werden Zitations-Praxen literarischer, wissenschaftlicher und philosophischer Texte behandelt. Dort untersucht Stefanie Tegeler das "Schwankrecycling im 16. Jahrhundert" und Carola Blod-Reigl widmet sich der "Zitierunfähigkeit" und dem "verweigerte[n] Zitat bei Theodor Fontane". Heide Volkening befasst sich mit Rahel Varnhagens "Ghostwriter" Hanna Arendt und deren "Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik", wobei sie von Varnhagen - vermutlich unreflektiert - als Rahel spricht, die Philosophin jedoch stets beim Nachnamen nennt. Was Arendt als "Ghostwriter der Autobiographie Rachels" vom "Ghostwriter im üblichen Sinn" unterscheidet, sei, so Volkening, dass sie wörtlich zitiert, nicht aber die Lebensgeschichte als solche "in Form eines fiktiven Zitats" erzählt. In einem anderen Beitrag interpretiert Claudia Hauser "Hedwig Dohms anmaßendes Zitieren verschriftlichter und kultureller Texte" als "zentrale literarische Strategie" die eine Praxis vorweggenommen habe, die strukturell "ähnlich gelagert" sei wie Judith Butlers "subversive Resignifikation". Da Dohm die Protagonistin ihrer Novelle "Werde, die du bist" aus dem "performativen Zitieren des Gesetzes" herausfallen lasse, sie "falsch" und " anmaßend", zitieren lasse, könne man ihren Umgang mit dem Zitat als "frühe Form feministischen Handelns" interpretieren. So erhellend Hausers Beitrag ist, unterlaufen ihr in einigen randständigen Fragen doch einige Unschärfen. So wird das ebenso bekannte wie interpretierbare von Nietzsche einer alten Frau in den Mund gelegte Wort kurzerhand zu "Nietzsches markige[m] Spruch mit der Peitsche, die beim Gang zum Weibe nicht fehlen dürfe". Auch scheint der Schopenhauers Willensmetaphysik entlehnte Begriff principium individuationis wenig geeignet, um die am Ende des 19. Jahrhunderts virulente Abgrenzung der Frau von der Diskussion um die "Krise des Subjekts" zu kennzeichnen. Und wenn die Autorin schließlich feststellt, dass Dohms Novelle "die Zwangslage der (schreibenden) Frau um 1900" beschreibe, die sich nur zitierend in die zeitgenössischen Diskurse "einschreiben" könne, da sie selbst nur aus Zitaten zusammengesetzt sei und nur im "subversivem Umgang mit dem Zitat" Neues entstehen könne, so mag das zutreffend sein, ist allerdings gemäß Butlers Theorie der Resignifikation und Performativität nicht Fin-de-siècle-spezifisch.

Zu den Aufsätzen, die ihr Augenmerk weniger auf literarische Texte, sonder eher auf literaturwissenschaftliche Fragestellungen richten gehört Bettine Menkes Beitrag "Zitieren als Exzitation", in dem sie zwischen Zitierbarkeit, die sich darauf bezieht, "wie, wodurch und als was etwas zitierbar wird" und "Zitierfähigkeit", die auf die AutorIn oder SprecherIn zielt.

In den vergangenen Jahrzehnten, so stellen die HerausgeberInnen fest, hat eine "radikale Erweiterung des Textbegriffs" stattgefunden, der nunmehr auch auf Geschlecht, Film, Mode, Musik u. a. m. angewandt wird, so dass das "Spektrum des code- und medienüberschreitenden Zitierens" erheblich angewachsen ist. Dem tragen die Beitragenden der abschließenden Rubrik Rechnung, in der Wilhelm Trapp moderne Uniformmoden in schwulen Subkulturen untersucht und Inge Baxman Körperzitate bei Cindy Sherman aufzeigt. Ausgehend von der 1972 erschienenen ersten LP der Gruppe "Roxy Music" und dem das Album eröffnenden Stück "Re-make / Re-model" widmet sich Eckhard Schumacher Fragen des Zitats und der Performativität im Pop-Diskurs. Geht man davon aus, so der Autor, dass sowohl die Lesbarkeit von Zitaten als auch die Konsequenzen des Zitierens nicht gänzlich intentional sind, so wird die Aufmerksamkeit auf die Kontextualität von Zitat und Zitieren zu einer "Voraussetzung für 'Zitierfähigkeit'". Hierzu gehöre aber auch die Einsicht, dass jeder Akt des Zitierens Modellen folge, die zitierend zwar reproduziert, aber zugleich "verschoben und verstellt" werden. Auch im Pop-Diskurs zeichnen sich also "Konstellationen" ab, die sich mit Hilfe von Judith Butlers Performativitäts-Theorie beschreiben lassen. Wie der Autor zeigt, adressiert "Re-make / Re-model" diese Problematik "auf mehrfache Weise". Es sind diese "Verschiebungen und Transformationen", die den Akt des Zitierens auf vielfache Weise bestimmen. Das gelte sowohl für die Musik, die Bühnenpräsentation, die Covergestaltung von Schallplatten und CDs als auch für die "gezielte Konstruktion" der Images von Musikern. Im gleichen Sinn sind natürlich auch die Song-Texte "mit Zitaten durchsetzt". So wurden die Geschlechterrollen "ins Rollen" gebracht, wie Schumann formuliert. Doch von alldem blieb bei Roxy Music im 'wirklichen Leben' eine "strikte Rollentrennung" unberührt: die der "Frauen als Models" und der "Männer als Musiker" - allenfalls, dass bei Live-Auftritten mal zwei Backgroundsängerinnen die Bühne schmücken durften.

Titelbild

Andrea Gutenberg / Ralph J. Poole: Zitier-Fähigkeit. Findungen und Erfindungen des Anderen.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2002.
328 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3503061207

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