They say it's your birthday

Paul McCartney wurde am 18. Juni 60 Jahre alt

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Paul McCartney eines Morgens vor vielen, vielen Jahren aus harmonischen Träumen erwachte, hatte er eine Melodie auf den Lippen, die heute vermutlich 99 Prozent der radiobeschallten Weltbevölkerung nachpfeifen könnte. Nachdem er einige Tage mit dieser Melodie schwanger gegangen und zu der Überzeugung gelangt war, niemand zuvor habe bisher Ähnliches erdacht, schrieb er passend zur Melodie und in wehmütiger Erinnerung an seine früh verstorbene Mutter die vielleicht berühmtesten Zeilen zu einem Popsong: "Yesterday, all my troubles seemed so far away".

Das war im Jahr 1965. Die Beatles öffneten dem populären Lied nun auch das Tor zur Aufarbeitung traumatischer Kindheitserfahrungen und stießen mit der bitter-süßen Streicherbegleitung ins Kammermusikalische vor - die Geburt der klassischen Popmusik aus dem Geiste der Melancholie. Noch war nichts zu ahnen von den ungefähr 2200 Coverversionen des Songs, die heute die Schallplatten-Archive füllen. Und noch lange wusste der Zeitgenosse nichts von dem späteren Zerwürfnis mit dem anderen Egomanen der Beatles, John Lennon. Der meinte auf seiner 1971er Solo-Platte "Imagine", mindestens mit einem Hauch von Hochachtung, aber noch immer mit ziemlichem Hass darüber, dass Nebenbuhler Paul und nicht der eigentliche Chef, also Lennon selbst, das Ende der Band verkündet hatte: "The only thing you done was yesterday".

Nun, ganz so war es nicht. Der pausbackige Paul hat einiges ins Rollen gebracht in seinem 45-jährigen Musikerleben, das beste aber tatsächlich in der fabulösen Zeit, als er mit John Lennon eine symbiotische und von gegenseitigem Neid angetriebene Liaison einging. Als diese auseinander gebrochen war, versuchte McCartney zwar, die nicht gerade leichte Bürde des "Ex-Beatle"-Daseins zu tragen und seine längst zum Mythos gewordene Geschichte ein paar Jahre links liegen zu lassen. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn man schon mal auf dem Olymp gethront hat. In den 70er Jahren gründete er mit seiner Frau Linda die Wings, eine zusammengewürfelte Band, deren Platten oft wie der verzweifelte Versuch klingen, es den anderen Beatles so richtig zu zeigen. Die seit den 80er Jahren aufgenommenen Soloplatten schwanken zwischen Nostalgieanfällen, verkannten Meisterstücken und schlimmen Experimenten in Sachen Kitsch. Immer wieder hielt McCartney Ausschau nach einem anspornenden Produktionspartner, aber einen wie Lennon hat er nie mehr gefunden, außer vielleicht in Elvis Costello.

Paul McCartney, so will es die Legende, war der Süßholzraspler in der Lennon-McCartney-Beziehung. Das merkte man aufgrund des den Paulschen Stil immer wieder aufrauenden Einflusses von John Lennon allerdings nicht so deutlich. Lennon gab den Working Class Hero und derben Poeten - durchaus mit einem gewissen Appeal für Hörer mit höherem Bildungsabschluss und rebellischer Ader. Der Romantiker McCartney war der sanftmütige Songwriter und revolutionäre Bassspieler, der mit seinen Melodiebögen die Mädels reihenweise in Ohnmachten stürzte. Aber er war auch viel mehr. Einer, der es in den 50er Jahren in den Kompositions-Fabriken der Tin Pan Alley zu etwas gebracht, aber es im Hintergrund stehend wohl doch nicht ausgehalten hätte. Einer, der sowohl den brüchigen Rocker als auch den smoothen Balladier geben konnte. Von Daddy McCartney, der gerne die Familienfeiern am Klavier begleitete und obendrein die Trompete blies, muss er einiges mitbekommen haben. Leicht deterministisch meint McCartney in der Beatles-Anthology: "Es muss in den Genen liegen." Dass ihn dann der Zufall ausgerechnet bei einem Kirchen-Gemeindefest in Woolton mit dem halbstarken Ted John Lennon zusammenführte, darf als höhere Fügung gefeiert werden. Der 15-jährige Paul stieg bei Johns Skiffle-Band "The Quarry Men" ein, aus denen sich wenig später die Beatles entwickelten. Der Rest ist Geschichte. Zusammen waren John und Paul für ein paar Jahre unschlagbar. Hier hatten sich zwei gefunden, die ihre Energieströme so zusammenschalteten, dass sie damit die ganze Welt unter Strom setzen konnten. Selbst dem großen Brian Wilson schlotterten, gebeutelt von den Geniestreichen der Beatles, die Knie, wenn er zum Komponieren am Klavier Platz nahm und die Beach Boys als amerikanisches Bollwerk gegen die britische Invasion auf die Bühne schicken sollte.

McCartney ist jedoch nicht nur der smarte Entertainer und geniale Songschreiber. Der Journalist Harald Martin beschreibt ihn in seiner gerade erschienenen Biografie "Paul McCartney" ganz im Gegensatz zum öffentlichen Bild als einen komplexen, fast schizophrenen Charakter: Seine Stimmungen können rasch wechselnd die verschiedensten Färbungen annehmen; mit Arbeitskollegen geht er nicht immer sehr warmherzig um, aber sobald es der Job verlangt, wird er zum galanten und charmanten boy next door mit der wundersam einfühlsamen Stimme. Dann ist er klein Paule, der ein ziemlich weit gefächertes Publikum rühren kann. Bei seinen Konzerten blickt er so Mona-Lisa-haft geheimnisvoll und gefällig ins Publikum, dass jede, ja wirklich jede, ob vorn oder hinten stehend, ob rechts oder links, ob Friseuse oder Königin am Ende schwören würde, Sir Paul habe nur sie angelächelt.

Wenn es der Herrgott besonders gut meint, dann lässt er seine Lieblingskinder nicht nur ein paar Instrumente spielen, ein paar hundert mehr oder minder "Silly love songs" schreiben, den Pinsel auf Anregung von Willem de Kooning schwingen, sich an die klassische Musikwelt anpirschen und der Königin zum Thronjubiläum aufspielen, sondern folgerichtig auch Milliarden scheffeln. Seine finanziellen Interessen wusste McCartney schon früh zu wahren. Das hat ihn unter seinen Beatles-Kollegen nicht gerade beliebt gemacht; aber zum reichsten und einflussreichsten Popmusiker Englands. Und mit den Beatles lässt sich auch mehr als 30 Jahre nach ihrem Ende noch gehörig Geld machen. Wie muss es den König des Pop da geschmerzt haben, als ihm sein Thronfolger in den 80er Jahren ein Schnippchen schlug: Michael Jackson kaufte die Rechte an den Songs der Beatles, und eine kurzzeitige Koalition der beiden Helden, die einige Lieder abgeworfen hatte, war damit auch Geschichte.

Man kann nicht gerade behaupten, dass McCartney in den letzten drei Jahrzehnten riesige künstlerische Entwicklungen durchgemacht hätte. Und es gibt auch nur wenige, die das von ihm erwarten würden. Wer sich schon so früh historisch geworden ist, muss nicht mehr an den Schalthebeln der ständig unter Aktualitätsdruck rotierenden Beschleunigungsmaschine Pop sitzen. Die Figur McCartney ist längst ein Klassiker: bedeutsam, aber halt auch berechenbar. Es geht nicht mehr darum, was er macht, sondern dass er den Beatle McCartney gibt. Seine Ausflüge in den Bereich der "ernsten Musik", die so als ein Versuch der Persönlichkeitserweiterung lesbar werden, sind zugleich Ausrutscher eines Geltungssüchtigen. Immer wieder kehrt er dann doch zu dem zurück, was er seit den 50er Jahren liebt und wie kaum ein zweiter beherrscht: zum Rock'n'Roll und zum großen, pathetischen, immer auch melancholie-beschatteten Popsong. Da glaubt einer ganz fest ans Gestern. Nach dem Tod seiner Frau Linda schlug sich das in den Alben "Run Devil Run" und "Driving Rain" nieder. Und höre da: In lichten Momenten schafft es McCartney, seinen musikalisch oft biederen Britpop-Erben was vorzuspielen.

Der kleine Liverpooler Junge kann die Fältchen um die Augenwinkel zwar nicht mehr verbergen, aber seine Stimme klingt noch immer so, als würde die Zeit stehen geblieben sein. Wenn er sich nicht gerade als Spendensammler für die Feuerwehrmänner vom 11. September betätigt, den heiligen Paul spielt und dabei kein Klischee auslässt, dann blitzt noch manchmal etwas auf von dieser fast naiven Kreativität. Seine Lieder - die meisten davon führen längst ein Eigenleben im kollektiven Gedächtnis - sind Ausdruck einer sisyphushaften Suche nach reiner Schönheit. Die Songtexte und Gedichte gibt es mittlerweile auch in Buchform zum Nachlesen. Was von einer etwas verqueren Selbsteinschätzung McCartneys als Poet zeugt - und letztlich überflüssig ist, denn den Worten fehlt das Wesentliche: die Musik.

Vor ein paar Tagen, am 18. Juni, wurde der frisch verheiratete Herr McCartney 60 Jahre alt, unfassbar. Dass aber das Altern auch Göttern nicht erspart bleibt, hat etwas Tröstliches. Also, all together now: "They say it's your birthday. So happy birthday to you." Und ja, wir und der Rest der Welt werden ihn wohl auch noch lieb haben, wenn er 64 ist.

Titelbild

Paul McCartney: Blackbird Singing. Gedichte und Songs 1965-1999.
Übersetzt aus dem Englischen von Kristian Lutze und Werner Schmitz.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001.
256 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3462030337

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Titelbild

Harald Martin: Paul McCartney.
dtv Verlag, München 2002.
260 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3423243171

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