Gesuchtes Leid

Bernd C. Sucher auf der Suche nach Leidenschaft im Theater

Von Catherine BeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Catherine Beck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jede Textsammlung bedeutet Auswahl - jede Anthologie, jedes Lehrbuch, letztlich jede Literaturgeschichte. Stets kann nur ausschnitthaft präsentiert werden, was dem Leser Aufschluss geben soll, nur exemplarisch lässt sich das zu Zeigende tatsächlich transportieren. Um all dem, das nicht berücksichtigt wurde, Respekt zu zollen, wird von den Verfassern solcher Textsammlungen traditionell im Vorwort auf die Notwendigkeit der Unvollständigkeit hingewiesen. Auch C. Bernd Sucher unterlässt dies nicht - der Hinweis fällt bei ihm allerdings angenehm dezent aus. Keine wortreichen Erklärungen finden sich, die erläutern könnten, weshalb zwar Brecht, nicht aber Dürrenmatt oder Frisch, warum nicht Paul Celan oder Ingeborg Bachmann, wohl aber Thomas Bernhard und Christa Wolf in seinen Porträts berücksichtigt werden. Vielmehr scheint Sucher den Begriff "Leidenschaft" erklärungsbedürftig zu finden, da er ihn für eitel hält - allzu oft, so scheint es, nimmt er in seinen Aufsätzen immer wieder leidenschaftlich Bezug darauf.

Viel eitler als der Titel "Suchers Leidenschaften" mutet indes der Untertitel an: "Was bleibt von der Literatur des 20. Jahrhunderts?" Diese - sicherlich noch längst nicht zu beantwortende - Frage kann durch die zwölf Porträts kaum als weniger offen betrachtet werden. Auch er unterliegt hier der Verführung, am Ende des schnellsten aller Jahrhunderte Bilanz zu ziehen, Wertvolles von weniger Edlem zu trennen, und so ein mehr oder weniger endgültiges Resümee zu ziehen.

Und Suchers Urteile sind mitnichten milde. Mit seiner ersten Leidenschaft, Elfriede Jelinek, geht er hart in Gericht: "Elfriede Jelinek nimmt es mit der Sprache nicht genau, sie verschießt Worte, als besäße sie bis ans Ende ihrer Tage Freikugeln genug". Die gewalttätigen, monströsen Sprachgebilde aus dem Buch "Lust" der Jelinek finden bei Sucher keine Gnade: "Es gibt so viele Verfehlungen in Jelineks Text, so viele manierierte, verunglückte, gestelzte Formulierungen, dass man nicht nach Beispielen suchen muss". Auch Elfriede Jelineks künstlerisch-politisches Engagement während der Unruhen um den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider erscheint Sucher aufgesetzt: "Das Aufführungsverbot - und das sei ohne jede Häme vorgebracht - war für die österreichischen Theater keine übergroße Drohung". Weniges von der Jelinek also hält der Autor für bleibend, dazu zählen die Stücke "Stecken, Stab und Stangl", "Wolken. Heim" und "Ein Sportstück", in dem Krieg und Sport durch die Ähnlichkeit der verwendeten Terminologie gleichgesetzt werden.

Dass C. Bernd Sucher Theaterkritiker ist, wird in seinem Buch über lange Strecken deutlich, nicht nur in seinen Äußerungen zu dramatischen Texten. Bertolt Brecht etwa, den er einen "heiligen Ochsen" nennt, verkörpert für ihn etwas Bleibendes. Dies allerdings vor allem deshalb, weil die Brechtschen "theatertheoretischen und theaterpraktischen Überlegungen noch heute in der Ausbildung von Schauspielern eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen". Als gescheitert betrachtet Sucher aber die Lehrstücke von Brecht: ebenso gescheitert wie den in ihnen propagierten Kommunismus. Haltbar und wertvoll erscheint Sucher vielmehr die Lyrik Brechts und einige, wenige Stücke.

Umso bedingungsloser und wahrhaft leidenschaftlich fällt C. Bernd Suchers Lobrede auf Thomas Bernhard aus. Hier möchte er auch nicht sezieren, aussortieren, trennen: Schlicht dem ganzen Werk Bernhards zollt Sucher seine Bewunderung - der Variation des immer gleichen Themas, das von Ingeborg Bachmann so beschrieben wurde: "Es sind Bücher über die letzten Dinge, über die Misere des Menschen, nicht über das Miserable, sondern die Verstörung, in der sich jeder befindet". Diesem Urteil schließt Sucher sich vehement an und kommt zu dem Ergebnis: "Und deshalb: Thomas Bernhard hat nur ein Werk hinterlassen". Dieses eine Werk sieht er, wenn auch nicht in allen Teilen geglückt, als bleibend an.

Ob Suchers Urteile diesen Anspruch ebenfalls erfüllen können, bleibt fraglich. Zu sehr erscheint er von seinen eigenen Vorlieben eingenommen, um letztlich das leisten zu können, was langfristige Gültigkeit erfordert - intersubjektive Plausibilität. Was also bleibt, ist ein gut lesbares und methodisch sauber erarbeitetes Buch. Stets werden Suchers Aussagen durch großzügig zitierte Textstellen veranschaulicht, nie bleibt dem Leser verborgen, wovon der Autor gerade spricht, so dass es leicht fällt, an Suchers Leidenschaften Teilhaber zu sein.

Titelbild

Bernd C. Sucher: Suchers Leidenschaften. Was bleibt von der Literatur des 20. Jahrhunderts?
Claassen Verlag, München 2001.
408 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-10: 3546002423

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