Problematische Entlastungsversuche

Dorothee Fuß ist dem "Bedürfnis nach Heil" bei Handke und Strauß gefolgt

Von Oliver van EssenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver van Essenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Handke und Botho Strauß werden gerne in einem Atemzug genannt, wenn romantisierende Tendenzen in der Gegenwartsliteratur zur Diskussion stehen. Dass die Rückwendung der Autoren überaus problematisch bewertet wird, hat die Literaturkritik seit Mitte der achtziger Jahre gezeigt. Eine politisch bedenkliche Aufwertung von Autorität, geschichtlich unhaltbare Verklärungen der Vergangenheit, die mit einer Überhöhung der Literatur zum Religionsersatz einhergeht - all das sind Stichpunkte der Debatte, auf die sich die Auseinandersetzung konzentriert.

Dorothee Fuß greift diese auf in ihrer Studie "Bedürfnis nach Heil" und erörtert sie anhand ausgewählter Textpassagen aus dem besagten Zeitraum. Fuß beschreibt, wie Handke und Strauß die Ideologiekritik aus den siebziger Jahren hinter sich gelassen haben und dazu übergehen, in der Literatur eine sinn- und heilsstiftende Rolle zu suchen. Den Postulaten des poetologisch reflektierten Schreibens steht Fuß zu Recht kritisch gegenüber. Denn spätestens seit den provokonten öffentlichen Auftritten der Autoren, bei Peter Handke mit "Gerechtigkeit für Serbien" und bei Strauß dem "Bocksgesang", ist einmal mehr klar geworden, dass Heilsbedürfnisse in politischen Zusammenhängen populistische Formen annehmen.

Als ein Dreh- und Angelpunkt der Texte arbeitet Fuß die Auseinandersetzung der Autoren mit dem Nationalsozialismus und dessen mentalitätsgeschichtlichen Folgen heraus. Handkes Abkehr vom ideologischen Schlagabtausch wie der Ideologiekritik gleichermaßen führt demnach zu dem fragwürdigen Versuch, die als unheilvoll angesehene Last der Geschichte abzuwerfen. Im Verhältnis zu den Opfer liege überhaupt "der eigentlich wunde Punkt" von Handkes Gegen-Geschichten.

Fuß versäumt dabei zu klären, wer aus der Opfer-Perspektive spricht und wer als Opfer außen vor bleibt. Hier wäre es interessant gewesen, der Frage zu folgen, inwiefern der Autor den Schriftsteller - Handke? - und dessen imaginäre Gefolgschaft - Slowenen? - zu Opfern kriegerischer Machenschaften stilisiert.

Fuß übt trotz aller überzeugenden Detailanalysen voreilig Kritik, sobald größere gesellschaftspolitische Zusammenhänge hineinspielen. Drastisch schlagen sich die vagen Vorbehalte in der Besprechung von "Ithaka" nieder, bei der das Schreiben des Autors und das Handeln historischer Figuren wie Odysseus bzw. Homer umstandslos auf eine Stufe gestellt werden. Davon ausgehend, dass der Autor das Gemetzel an den dekadenten Freiern als verjüngende Läuterung - Opferung statt Ausrottungsversuch - idealisiert, unterstellt sie Strauß im Ergebnis ein präfaschistisches Weltbild.

Von diesem Kardinalfehler der Interpretation abgesehen, ist der Autorin jedoch an vielen Stellen eine informative und plausible Aufarbeitung der Geschichtsproblematik in den seit Mitte der achtziger Jahre entstandenen Texten der umstrittenen Autoren gelungen.

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Dorothee Fuß: Bedürfnis nach Heil. Zu den ästhetischen Projekten von Peter Handke und Botho Strauß.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2001.
254 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3895283150

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