Philologisch unverdorben

Harald Weinrichs "Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit" bleibt standorttreu

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heiterkeit, dafür spricht schon der metereologische Kontext, ist bekanntlich ein "Schönwetterwort" und Ausdruck sorgloser Entrücktheit in Götterhimmeln. Harald Weinrichs begriffsgeschichtliche Untersuchung hingegen nährt den Verdacht, dass es mit einer sonnigen Gemütsverfassung oder einem blauäugigen Optimismus bezüglich der Heiterkeit keineswegs sein Bewenden haben muss. Eine wichtige Etappe der Begriffskarriere dieses Wortes ist die Deutsche Klassik, in der Goethe die Liebe und die Literatur als Heiterkeitsspender namhaft machte. Offenbar müssen aber schon der Goehteschen Heiterkeit gegenläufige Momente wie die im "Werther" aufzufindende Melancholie integriert werden, um sie in vollem Umfang fassen zu können. Auch Schillers Heiterkeit, mit der sich Goethe kontrovers auseinandersetzte, indem er im berühmten Vers des Jüngeren ("Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst") den zweiten Indikativ durch den Konjunktiv ersetzte ("heiter sei die Kunst"), erscheint dunkel grundiert. Ausgerechnet im tragischen Stoff des "Wallenstein"-Dramas wird Heiterkeit zum Inbegriff künstlerischer Freiheit.

Spielt in die fröhliche und muntere Befindlichkeit, so muss angesichts dieser Befunde gefragt werden, nicht immer auch Konträres hinhein? Oder, dialektisch gewendet: Sind es nicht die Finsternisse und Nachtseiten der Seele, ist es nicht der mit Wolken verhangene Himmel, den die heitere Stimmung erst aufhellt? Suchen wir Auskunft bei dem Selbstmörder Heinrich von Kleist, der im Jahre 1811 die Pistole gegen die krebskranke Henriette und dann gegen sich selbst zog. Und zwar, wie er seiner Schwester Ulrike im Abschiedsschreiben mitteilte, "zufrieden und heiter", beseelt von "unaussprechlicher Heiterkeit". Oder blicken wir auf Hegel, der die "geistige Heiterkeit" nur zuverlässig daran erkennen kann, dass sie "tief über Tod, Grab, Verlust, Zeitlichkeit hinwegblickt und, eben weil sie tief ist, dies Negative in sich selbst enthält." Obgleich Weinrich sich lediglich an den Positionen der Begriffsgeschichte forthangelt und die Ansätze zu einer anspruchsvollen Theorie der Heiterkeit unausgeführt lässt, ist er doch der Meinung, dass Heiterkeit "den Gradwanderern zwischen Glück und Leid, Freude und Trauer, Witz und Wehmut" zufalle.

Weitere Exponenten der Heiterkeit sind Hölderlin, dem sich die Heiterkeit in der göttlichen Natur offenbart oder als "goldenes Zeitalter" jenseits der großen Menschheitsrevolutionen ankündigt, Knigge, Kant und Seume, die die Heiterkeit in der römischen Männer-Jovialität repräsentiert finden, oder Stifter, der die Heiterkeit in dietätischer Absicht als eine Form der Gesundheit begreift, die man sich durch ein bescheidenes und einfaches Leben zu sichern vermag. Bei Schopenhauer wird die Heiterkeit zu etwas Endlichem, ist sie "real erfüllte Zeit", sein Nachfolger Nietzsche erblickt in ihr den "Vorgenuß" des Todes. Es ist bedauerlich, dass Weinrichs Büchlein abermals an jener Stelle verstummt, wo sich im widerspruchslosen Verständnis der Heiterkeit Brüche abzuzeichnen beginnen. Nachlese aus Nietzsches "Nachgelassenen Fragmenten": "Seines Todes ist man gewiß: warum wollte man nicht heiter sein?" Der Mensch leidet so tief, vermeldet Nietzsche an anderer Stelle, dass er das Lachen erfinden musste. Heiterkeit wäre demnach zu bestimmen als ein gegensinniger Reflex auf Leid- und Verlusterfahrungen: Sinn, die knappste aller Ressourcen, gibt es im Leben nicht - also feiern wir lachend und tanzend den Unsinn.

Das Buch endet mit einem Exkurs zur Heiterkeit im 20. Jahrhundert, aus dem neben Streifzügen durch das Werk Ernst Jüngers, Heinrich Bölls und Günter Eichs zu erfahren ist, wie Thomas Mann den Begriff im geistigen Widerstand gegen den Fanatismus der Diktatoren mobilisiert. Es mehrten sich die Anzeichen, so Weinrich abschließend gegen Theodor W. Adornos "Heiterkeitsverbot" gerichtet, dass die (auch wissenschaftlich praktizierte) Heiterkeit - etwa von Seiten Odo Marquards oder Peter Sloterdijk - eine Rehabilitierung erfährt. Wenn aber Heiterkeit nicht einfach in Opposition zum Lebensernst tritt, sondern immer durch diesen vermittelt ist, wenn sie also die einzige erträgliche Weise ist, dem bleiernen Daseins-Ernst zu begegnen, dann ist in diesem Ausblick eben jener nicht-binäre Heiterkeitsbegriff vorausgesetzt, zu dessen Entfaltung das Buch instruktiver hätte beitragen müssen. Dazu hätte sich sein Autor nur aus den weichen Betten der klassischen Philologie fortstehlen und in den Swinger-Clubs der Philosophie 'fremdgehen' müssen. Der Rezensent, versprochen ist versprochen, drückte beide Augen zu.

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Harald Weinrich: Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
64 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3406471897

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