Amerika erzählt

Franz Links "US-amerikanische Erzählkunst 1990-2000"

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Fortsetzung der dreibändigen Darstellung der amerikanischen Erzählkunst, die Franz Link 1993 mit dem Band "Amerikanische Erzähler seit 1950" vorläufig abschloss, präsentiert uns der emeritierte Professor der Amerikanistik aus Freiburg nun einen Überblick über die amerikanischen Romane und Erzählungen, die in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurden.

Überblicke geben oft vor, repräsentativ zu sein, sind aber in ihrer Auswahl immer auch beschränkt, aber dennoch wertvoll, da jemand sich die Mühe gemacht hat, umfangreiches Material zu sichten und zu bewerten und den Lesern damit Arbeit abgenommen hat. Franz Link bekennt sich zu den Grenzen seiner Auswahl, auch er konnte nur einen Bruchteil dessen lesen und bearbeiten, was in dem Zeitraum erschienen ist. Die Schwemme von Neuerscheinungen hat Link mit Hilfe einer fremden Vorauswahl bewältigt, dazu gehören für ihn Rezensionen, wissenschaftliche Literatur, Bestsellerlisten, Übersetzungen in eine andere Sprache und das Renommee von Zeitschriften, die amerikanische Kurzgeschichten veröffentlichen. Herausgekommen ist eine größtenteils übersichtliche Darstellung, die sowohl die neuen Werke älterer, d. h. klassischer Erzähler - wie Link sie nennt - Autoren, sowie Bücher neuer Erzähler der 90er Jahre bespricht. Gerade in ihrer Aktualität besticht Links "US-amerikanische Erzählkunst 1990-2000". So bespricht er auch Autoren, die seit den 90er Jahren auch in Deutschland ein breiteres Publikum gefunden haben, z. B. Stewart O'Nan, Louis Begley, Richard Ford und nicht zuletzt Paul Auster, dessen letzter Roman "Timbuktu" (1999) allerdings nur mit einem Satz abgehandelt wird.

Interessanterweise trägt Link dem amerikanischen Bedürfnis (und/oder vielleicht dem deutschen Bedürfnis) nach Multikulturalität und "political correctness" Rechnung und fügt hinter das Kapitel "Neue Erzähler der 90er Jahre" drei Kapitel zu Autoren mit ethnischer Herkunft; die jüdischen Erzähler bekommen ein eigenes Kapitel, obwohl doch viele der genannten, wie z. B. Saul Bellow oder Philip Roth, auch ohne weiteres zu den klassischen Erzählern gezählt werden können. Ein weiteres eigenständiges Kapitel beschäftigt sich mit den afro-amerikanischen Autoren und das letzte mit "Erzählern unterschiedlicher ethnischer Herkunft", zu denen dann Native Americans, Chinese-Americans, Hispanics, etc. gehören. In dem Vorgänger-Buch mit dem Titel "Amerikanische Erzähler seit 1950" hat sich Links Besprechung noch auf die Analyse afro-amerikanischer und jüdischer Autoren beschränkt, die Erweiterung ist also durchaus positiv zu beurteilen. Das letzte Kapitel widmet Franz Link dem Detektivroman, wobei dieses in Relation zu den in dem Zeitraum erschienen Werken sehr kurz ausgefallen ist, was aber aufgrund der Formelhaftigkeit der Gattung zu rechtfertigen ist. Leider wird allerdings keiner der vielen ethnischen Varianten des amerikanischen Detektivromans im einzelnen besprochen. Der Aufbau insgesamt orientiert sich sehr an seinem umfangreichem Vorläufer, dessen Untertitel "Themen, Inhalte, Formen" auch für Links neuestes Buch gültig zu sein scheint.

Jegliche Kapitelunterteilung einer Überblicksdarstellung kann wegen ihrer Auswahl genügend kritisiert werden: es findet sich immer etwas zu bemängeln. Warum gibt es z. B. kein eigenes Kapitel zur "Women's Literature", wenn doch schon den jüdischen und afro-amerikanischen Autoren eigene Kapitel gewidmet sind? Vieles, was im literaturwissenschaftlichen Diskurs über Minderheitenliteraturen diskutiert wird, spiegelt sich in Links Studie wieder; vieles vom dem vielleicht nur "ein Streit um Worte", wie der Autor selber sagt.

Die einzelnen Kapitel sind grundsätzlich sehr übersichtlicht gestaltet. Auf eine Kurzbiographie, manchmal wirklich nur drei Zeilen lang, folgen die einzelnen Besprechungen der Werke der Autoren und Autorinnen, die in den 90er Jahren entstanden sind. Nicht immer finden alle in dem Zeitraum veröffentlichten Werke eines Autors beachtung, so wird z. B. Annie Proulx' Roman "Postcards", erschienen 1992, in dem Biographieteil angesprochen, aber länger und genauer beleuchtet wird nur ihr Bestseller "The Shipping News" von 1993, während ihre folgenden Romane "Accordion Crimes" und "Brokeback Mountain" kurz und knapp vorgstellt werden. Wie er es im Vorwort schon transparent macht, bestimmt Link die Wichtigkeit der Werke durch eine Vorauswahl, zu der auch Auszeichnungen wie der Pulitzer-Preis gehören, mit dem "The Shipping News" ausgezeichnet wurde. Links Analysen der Romane sind vor allen Dingen von der Wiedergabe des Inhalts bestimmt. Wer jedoch nach neueren Tendenzen in der amerikanischen Literaturtheorie sucht und diese wohlmöglich noch auf die besprochenen Romane angewendet sehen will, wird nicht fündig werden.

Dennoch ist diese Überblicksdarstellung nützlich für alle, die besonders an der amerikanischen Literatur interessiert sind und im Wirrwar der Neuerscheinungen einen Wegweiser suchen. Links Buch ist also nicht nur dem Fachpublikum zu empfehlen, sondern kann sehr wohl einem breiteren Publikum ans Herz gelegt werden. Mit der Studie "US-amerikanische Erzählkunst 1990-2000" unterstreicht der Grandseigneur der deutschen Amerikanistik, wie ihn die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zu seinem 75. Geburtstag genannt hat, wieder einmal sein umfangreiches Wissen und seine Fähigkeit, amerikanische Literatur verständlich und interessant und dennoch kritisch darzustellen.

Titelbild

Franz Link: US-amerikanische Erzählkunst 1990 - 2000.
Duncker & Humblot, Berlin 2001.
274 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 3428102908

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