Denken als naturalisierender Machteffekt

Hannelore Bublitz führt in Judith Butlers komplexes Theoriegebäude ein

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem in den letzten Jahren eine ganze Reihe in die Gender Studies und die feministische Theorie einführende Texte erschienen sind (vgl. Christine Kanz in literaturkritik.de 8/2000) ist nunmehr auch eine Einführung zu der Theoretikerin erschienen, die wie wohl kaum eine andere den Gender-Diskurs des vergangenen Jahrzehnts geprägt hat. Die Rede ist von Judith Butler, zu deren Werk die Soziologin und Philosophin Hannelore Bublitz eine kenntnisreiche Einführung verfasst hat. Der Text setzt mit einer Darstellung von Butlers sprach- und diskurstheoretischem Programm ein, dem Abschnitte über Butlers feministische und politische Theorie und schließlich ein "kritischen Ausblick" der Autorin folgen, in dem sie kurz die oft "erbittert wirkende" Kritik referiert, die Butler in der Rezeption deutschsprachiger Feministinnen erfährt. Anders als diese Kritik, die "immer wieder um die fehlende Gesellschaftlichkeit und Historizität" kreist, präferiert Bublitz eine Lesart, die Butlers methodisches Vorgehen als "mimetisches, performativ wiederholendes Durchqueren" der von ihr kritisierten Diskurse beschreibt.

Beschlossen wird der Band durch ein Interview, in dem Butler von der Autorin zu ihrem Verhältnis gegenüber dem Poststrukturalismus und dem Unterschied zwischen Subjektivierung und Sozialisation befragt wird. Außerdem erhält Butler Gelegenheit ihre politischen Zieledarzulegen. Es gehe um die Frage, so die Gender-Theoretikerin, wie eine Welt zu schaffen ist, in der Menschen, "die ihr Geschlecht und ihr Begehren als von der Norm abweichend verstehen", ohne Bedrohung leben und sich entfalten können. Das Ziel sei also nicht "neue Geschlechter zu produzieren", sondern eine "lebbare Welt" für die Geschlechter zu gestalten, die es bereits gibt, vor allem für diejenigen, die wegen ihrer Nichtkonformität gegenüber heteronormen Geschlechteridealen "lange Zeit gelitten" haben.

Im Hauptteil vollbringt Bublitz die nicht einfache Leistung, Butlers in mehreren Büchern und zahlreichen Aufsätzen entwickelte Theorie in einem sehr dichten, konzisen Text auf etwa 100 Seiten zusammenzufassen und Butlers "sehr komplexes Theorieprojekt" so zu vermitteln, dass es sich auch ohne "einschlägige Vorkenntnisse" erschließt. Hierbei zeigt die Autorin nachdrücklich, "gegen welche lieb gewordenen Denkgewohnheiten" sich Butler richtet, und "was ihre Rezeption so schwierig und kontrovers macht". Dabei werden die jüngsten Publikationen nicht nur mit berücksichtigt, sondern im abschließenden Kapitel wird sogar auf Butlers 2001 in Deutschland erschienenes Buch "Psyche der Macht" (vgl. literaturkritik.de 4/2002) besonders ausführlich eingegangen.

Ihren Anspruch, "über das Nachzeichnen der Konturen, der grundlegenden Begriffe und Argumentationslinien der Theorie Butlers hinaus ihre Eigenwilligkeit und darin eben auch ihre Ausschließungen sichtbar zu machen", hat Bublitz im Allgemeinen glänzend eingelöst. Insbesondere ihrer Darstellung der in "Psyche der Macht" entwickelten Subjekttheorie gilt es Beifall zu zollen. Nur auf sprachphilosophischem und diskurstheoretischem Gebiet bewegt sie sich nicht immer ganz sicher. Auch verschwimmen ihr die Grenzbereiche der Bedeutungen von Begriffen wie "Tatsache", "Wirklichkeit", "Materialität" und "Sachverhalt" gelegentlich. Daher ist Bublitz nicht immer vor Uneindeutigkeiten gefeit. Wenn sie etwa referiert, dass Butler zufolge "die Produktivität diskursiver und sprachlicher Macht das fundamentale Konstruktionsprinzip von Wirklichkeit" sei und "der Körper nicht unabhängig von seiner kulturellen Form" existiere, so wird suggeriert, dass beides das gleiche bedeute. Dabei gilt es doch nicht zuletzt, den Unterschied zwischen beiden Aussagen herauszuarbeiten. Auch an anderer entscheidender Stelle bleibt Bublitz interpretierbar: Eine These Butlers besagt in den Worten Bublitz', "dass bereits der biologische Körper diskursiv entsteht, also mithilfe kultureller Machtpraktiken ver- und entschlüsselt wird". Es ist nicht zuletzt diese These gewesen, die "so viel Aufsehen erregt" und "kontroverse Debatten ausgelöst" hat. Umso bedauerlicher ist die Uneindeutigkeit, mit der Bublitz hier referiert: Meint die Konjunktion "also" ein logisch schließendes "folglich" oder meint sie ein erläuterndes "d. h."? Wird ein Schluss gezogen oder eine erläuternde Parenthese formuliert? Offen bleibt auch, ob das Dass, das Dasein des biologischen Körpers, mithilfe kultureller Machpraktiken erzeugt wird (hierauf deutet das Verb "entsteht"), oder ob besagte Praktiken 'nur' dessen "Was-Sein" bestimmen (eine Interpretation, die durch die Verben "ver- und entschlüsselt" nahegelegt wird) oder, dritte Variante, ob beides untrennbar miteinander verwoben ist, worauf wiederum das "also" hindeutet. Kurz: Wird die kulturelle Bestimmtheit der Entität oder der Quidditas des materiellen Körpers behauptet? Solche Unschärfen sind umso gravierender, als sich der Streit um Butlers Thesen gerade an diesen Fragen entzündet. Hiermit korrespondiert, dass Bublitz ganz ähnlich zwischen der harten Feststellungen, dass der "physische Körper" als Bezugspunkt für soziale Prozesse infrage gestellt wird, und der weichen, der zufolge er "in Übereinstimmung mit einem Naturbegriff gebracht" wird, der selber "kulturell entworfen" ist, jedoch als Natur erscheine, changiert. Ein Hinweis, ob diese Ambivalenz bereits in Butlers Werk selbst angelegt ist, erfolgt nicht. Erst an späterer Stelle wird deutlich, dass Butler den Vorgang der Materialisierung als "Formierung körperlicher Materialität" definiert, dass also nicht die Entität des Körpers gemeint ist, sondern seine Quidditas. Wobei Butler sich allerdings gegen die Dichotomie wendet, deren eine Position den Körper als unhintergehbar vorgegeben begreift und die andere ihn als bloße Oberfläche versteht, "in die sich kulturelle Ein- und Zuschreibungen eingravieren". Die "Infragestellung des Körpers als unhistorische, physische Größe" beinhaltet Butler zufolge "das Ende der Gewissheit", dass es einen von "soziokulturellen Körperkonzepten und -bildern" unabhängigen Körper gibt. Vielmehr sei die Sprache insofern "hervorbringend", als sie das, was sie benennt, mit dem Akt der Bezeichnung auch erzeugt. Das heißt, Sprache schafft nicht etwa den 'Körper an sich', sondern den bezeichneten Körper. Denn den 'Körper an sich' gibt es nicht - er ist immer schon ein bezeichneter. Weder gibt es eine "von der symbolischen Ordnung unberührte körperliche Materialität" noch ist ein Zugriff auf einen Körper möglich, ohne dass er immer schon "kulturell interpretiert" ist.

Wichtig, weil Butler in diesem Punkt oft verkannt wird, ist Bublitz' Hinweis, dass das Konzept der Materialisierung nicht etwa einem metaphysisch begründeten Idealismus huldigt, sondern sich mit der Infragestellung einer "vordiskursiven und vorsymbolischen Materialität des Körpers" und der "Rekonstruktion seiner normativen Herstellung" ganz im Gegenteil gegen ein "metaphysische[s] Ursprungsdenken" wendet, das sich "in Wesens- und Seinskategorien artikuliert". Wenn Bublitz allerdings schreibt, dass Butlers Ablehnung der "'Metaphysik der Substanz' eines natürlichen Geschlechtskörpers", und ihre Einsicht, "dass Natur immer schon Ergebnis - und nicht Voraussetzung - kultureller Ereignisse ist", ein "unüberwindbares Hindernis" für eine positive Rezeption Butler sei, so ist das sicher allzu pessimistisch. Gemeint ist aber vielleicht bloß, dass die Rezeption dieses Hindernis bishernoch nicht überwunden hat.

Haben sich in die Darstellung von Butlers sprach- und diskurstheoretischen Auffassungen gelegentlich einige Unschärfen eingeschlichen, so bewegt sich Bublitz mit schlafwandlerischer Sicherheit auf dem Gebiet von Butlers feministischer und politischer Theorie. Überzeugend rekonstruiert sie, wie die Differenz sowohl von biologischem und sozialem als auch von männlichem und weiblichem Geschlecht durch Butlers "kategoriale Analyse [...] bis zu dem Punkt vorangetrieben" wird, "an dem sich die feministische Kritik in den Aporien einer biologisch fundierten Geschlechterdifferenz verfing". Wie Bublitz darlegt, geht Butler auf die an ihrer konstruktivistischen Perspektive geübte feministische Kritik ein, "indem sie die Grundannahmen dieser Kritik deutlich macht und dekonstruiert".

Auf dem Gebiet der feministischen Theorie setzt auch Bublitz' Kritik an den "Ausschließungen" von Butler ein. So moniert sie etwa, dass, die geschichtliche Genese der "binären Wahrnehmung" von "Körpern als Geschlechtskörpern" ebenso wie die der "binär strukturierten Geschlechterordnung" bei Butler "im Dunkeln" bleiben. Das mag zwar zutreffen, ist aber angesichts der bereits von Laqueur geleisteten Untersuchungen entschuldbar.

Butlers Theorie der Macht stellt in gewisser Weise eine der Schnittstellen der an sich schon nicht streng geschiedenen Gebiete ihrer feministischen (Meta-)Theorie und ihrer politischen Theorie dar und besagt, dass "Widersetzung" der Macht nicht etwa "von außen" entgegengesetzt sondern ihr "immanent" ist. So beinhaltet etwa die Performanz des Geschlechtes eo ipso die "Verschiebung" oder "Verfehlung" der Norm. Sie ist "sozusagen in die Normen selbst eingebaut". Kenner des "Kapitals" mögen sich vielleicht an das entscheidende Moment von Marxens ökonomischer Zusammenbruchstheorie erinnert fühlen, an das berühmte, dem Kapitalismus eingebaute "Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate", dem zufolge der Kapitalismus einer inneren ökonomischen Gesetzmäßigkeit folgend notwendig zugrunde geht und über sich hinaus zum Kommunismus - respektive zur Barbarei - treibt. Die formale Ähnlichkeit beider Theoreme liegt auf der Hand. Ebenso sind aber auch die Unterschiede offenbar: so kennt Butler etwa kein Telos. Marx' Kommunismus (resp. die Barbarei) bleibt bei ihr eine Leerstelle. Auch wohnt Butlers 'Verfehlung' keine bestimmte (revolutionäre) Tendenz inne, und sie treibt die Herrschaftsverhältnisse nicht notwendig über sich hinaus. Näher als Marx liegt natürlich dann auch Foucault, auf den sich Butler wiederholt und an prominenter Stelle bezieht. Auch Bublitz weist darauf hin, dass sich Butler "im Kern der foucaultschen Machttheorie" bewegt, der zufolge "Macht selbst Widerstand und Abweichung erzeugt". Aber auch auf eine weitere, nicht ganz so offensichtliche philosophische Filiation weist Bublitz hin: In der Kontroverse zwischen Benhabibs kritisch-normativem und Butlers poststrukturalistischem Feminismus entdeckt sie eine Auseinandersetzung zwischen einem "versteckten Hegelianismus und Kantianismus". Das ist angesichts von Butlers zahlreichen Bezugnahmen auf Hegel bei fast vollständiger Absenz des Namen Kant in ihren Werken ein überraschender Befund, dem näher nachzugehen wäre, denn Bublitz selbst belässt es bei dem vagen Hinweis, Butlers Annahme, "dass es keine Materialität und Wirklichkeit - des Subjekts wie auch des Objekts - jenseits der Macht und ihrer Bezeichnungspraxen" gebe, sei "durch Kant inspiriert".

Titelbild

Hannelore Bublitz: Judith Butler zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2002.
155 Seiten, 13,50 EUR.
ISBN-10: 388506359X
ISBN-13: 9783885063599

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