Was Philosophen über Frauen wirklich denken

Eine Anthologie mit philosophischen Geschlechtertheorien von der Antike bis zu Judith Butler

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Zeit zu Zeit erscheinen immer mal wieder zusammengestoppelte Zitatsammlungen, die sich rühmen, in ihnen sei zu lesen, was Philosophen über Frauen denken. In der Regel präsentieren sie allerdings nur misogyne Sentenzen aus beliebigen - nicht notwendig philosophischen - Texten von Philosophen, ohne sich darum zu scheren, ob und inwiefern die dargereichten Sprüche repräsentativ für die Geschlechter-Philosophie der Zitierten sind. Hauptsache die Peitsche knallt!

Sabine Doyé, Marion Heinz und Friederike Kuster haben mit der Anthologie "Philosophische Geschlechtertheorien" nun ein Buch vorgelegt, das sich wohltuend von derartigen Zitaten-Konglomeraten abhebt, denn sie haben ausschließlich längere systematisch argumentierende Textpassagen aufgenommen, in denen die Geschlechterordnung "im Kontext der praktisch-politischen Philosophie" der jeweiligen PhilosophInnen thematisiert wird. Zu den Autoren und Autorinnen zählen natürlich Platon, Aristoteles, Rousseau, Kant, und jüngeren Datums dann auch Frauen wie Simone de Beauvoir und Judith Butler.

Zwar gilt den Herausgeberinnen überraschenderweise das "programmatische Interesse" von Autoren "an der politischen Emanzipation der Frauen" als Kriterium dafür, einen Text nicht in die Sammlung aufzunehmen, doch zeigen die genannten Philosophinnen, dass Doyè und ihre Mitherausgeberinnen dieses Kriterium nicht wirklich durchhalten - erfreulicherweise, wie man hinzufügen muss. Auch die Beschränkung auf Philosophen wird gelegentlich durchbrochen - etwa mit Sigmund Freud Vorlesung "Die Weiblichkeit" und mit Friedrich Engels' "historisch-materialistische[r] Untersuchung" über den "Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates", die bekanntermaßen gelegentlich ins Historisch-Phantasmagorische abgleitet.

Den - meist auszugsweise - dokumentierten Texten sind jeweils kürzere Erläuterungen vorangestellt, die den Ausführungen in der ebenso umfangreichen wie informativen Einleitung nicht immer Neues hinzuzufügen haben, in der die Herausgeberinnen auch ihr Verständnis der Kategorie Geschlecht explizieren, dem gemäß die Kategorie zwar "vermeintlich ontologischen Zuschnitts" ist, "in Wahrheit" jedoch "als ideologisches Konstrukt" fungiert; und sie liefern einen Überblick über die Geschichte philosophischer Geschlechtertheorien in Europa, der zwar - abgesehen von den Schlaglichtern auf die präsentierten Texte - etwas allgemeine Züge trägt, aber insgesamt für den Zweck einer einführenden Einleitung hinreichend ist. Allerdings stört gelegentlich das marxistische Vokabular des Herausgeberinnentrios, so etwa wenn von "spätkapitalistischer Herrschaft" die Rede ist, wie es in den 70er Jahren üblich war, als die proletarische Revolution unmittelbar bevorzustehen schien.

Editorisch ist der Band nicht in jeder Hinsicht überzeugend. So scheint es fraglich, ob die Orthographie älterer Texte wirklich modernisiert werden musste, wobei die Herausgeberinnen auch noch auf halbem Wege stehen blieben und die Schreibeweisen Kants und Hegels der alten Rechtschreibung anglichen. Schwerer allerdings wiegt eine Sünde, die sie wider Platons "Staat" begangen haben. Sie präsentieren den Dialog in der von Gunther Eigner bearbeiteten Fassung der Übersetzung Schleiermachers. Eigner hatte allerdings seinerzeit Platons Text um Zwischenüberschriften bereichert, die die bessere Orientierung innerhalb des Textes gewährleisten sollten. Diese Überschriften wurden stillschweigend übernommen, so dass der Anschein erweckt wird, Platon selbst habe sie gesetzt.

Titelbild

Sabine Doyé / Marion Heinz / Friederike Kuster (Hg.): Philosophische Geschlechtertheorien.
Reclam Verlag, Stuttgart 2002.
496 Seiten, 11,10 EUR.
ISBN-10: 3150181909

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