Tabor Süden und der Straßenbahntrinker

Friedrich Ani ermittelt wieder

Von Andrea EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1.426 Menschen wurden im letzten Jahr in München als vermisst gemeldet. Das ist keine geringe Zahl, wenn man bedenkt, dass die bayerische Metropole etwa 1,6 Million Einwohner hat, davon aber fast vier pro Tag spurlos verschwinden. Die hohe Zahl der Vermissten erstaunt dabei ebenso wie die gute Bilanz der Polizei: In 1.404 Fällen konnte der Aufenthaltsort der gesuchten Personen ermittelt werden. Das ergibt eine Aufklärungsquote von über 98 Prozent und lässt die Münchner Polizei in einem erstaunlich positiven Licht erscheinen.

Ein guter Grund für den Münchner Autor Friedrich Ani einen neuen Band der Tabor-Süden-Reihe vorzulegen, die bereits mit "Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels" seinen Anfang nahm: Tabor Süden, sympathischer Einzelgänger mit Kultcharakter, arbeitet im Dezernat 11, der Vermisstenstelle der Münchner Polizei. Gerade hat er seinen wohlverdienten Urlaub angetreten, als ein Mann die Dienststelle in Aufregung versetzt. Er behauptet vor vier Jahren plötzlich verschwunden zu sein und fordert die Kollegen auf, die Suche einzustellen und die Akte zu vernichten. Aber Jeremias Holzapfel, ein ehemaliger Schauspieler und Radiosprecher, ist nie vermisst gemeldet worden. Tabor Süden nimmt sich - trotz Urlaub - der mysteriösen Sache an. Warum kennt der verwirrte Holzapfel seine eigene Adresse nicht? Und warum hat seine Ehefrau ihn niemals suchen lassen? Als in Holzapfels vermeintlicher Wohnung dann tatsächlich eine Leiche gefunden wird, hat Tabor Süden einen neuen Fall.

Wie schon in seinen zahlreichen anderen Romanen und Jugendbüchern gelingt Friedrich Ani auch hier der Spagat zwischen psychologischer Studie und spannender Unterhaltung. "Süden und der Straßenbahntrinker" ist das Ergebnis einer fundierten Recherche, in der der Ich-Erzähler nicht nur den Münchner Leser kundig durch die Straßen "seiner" Stadt führt. Ob wilde Verfolgungsjagden oder philosophische Straßenbahnfahrten, der Leser bewegt sich stets an der Seite des Anti-Helden und löst schließlich gemeinsam mit Tabor Süden das Geheimnis in Holzapfels Vergangenheit. Die Kollegen des Dezernat 11 sind dabei nicht bloße Staffage, sondern klar gezeichnete Figuren mit Vergangenheit: einsame Helden, liebende Ehemänner oder einfach nur nette Mitarbeiterinnen.

Friedrich Ani ist mit dem neuen Fall von Tabor Süden ein Kriminalroman mit psychologischer Tiefe gelungen, bei dem auch der erfahrene Krimi-Leser erst auf der letzten Seite das Rätsel des Straßenbahntrinkers lösen kann. Dass diese Lösung dann nicht ganz so spektakulär ist wie man am Anfang vielleicht noch vermutet hat, macht das Buch am Ende nur noch glaubhafter. Doch ein Geheimnis bleibt zu lüften: Wann erscheint ein neuer Fall von Tabor Süden? Wir warten.

Titelbild

Friedrich Ani: Süden und der Straßenbahntrinker. Roman.
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2002.
206 Seiten, 8,10 EUR.
ISBN-10: 3426620685

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