Inszeniertes Leiden

Die Lust des Schmerzes: Eine Kulturgeschichte des Peitschens

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Alle Lust will Ewigkeit", schreibt Nietzsche im "Zarathustra." So auch die Lust des Schmerzes. In seinem Buch erläutert der in Berkeley Deutsche Literatur und Ideengeschichte des Mittelalters lehrende Niklaus Largier, inwiefern die Flagellation, der Lustgewinn mittels Peitsche, einer Inszenierung gleichkommt. Es geht ihm weniger um eine psychohistorische Erläuterung der Geißelung, also um die Frage, warum überhaupt gepeitscht wird, sondern um die "Formen der Ritualisierung" und vor allem um die "Inszenierung des Körpers".

Sein Ausgangspunkt ist die christliche Praxis der Selbstgeißelung zwecks Repräsentation der Leiden Christi. Der Körper des Geißlers wird zum Spiegel der Passionsgeschichte, er gewinnt ein Stück Unsterblichkeit durch die nacherlebte Verbindung zum unsterblichen Körper des Erlösers. Der Geist soll den Körper beherrschen, die Selbstgeißelung dem Körper die Gebote einschreiben - zu einer Zeit, in der sich in Europa der entscheidende Umbruch von der Oralität zur Schriftlichkeit vollzieht. Mit dieser Verschriftlichung des Körpers ist aber auch dem Denken in Bildern der Weg geöffnet, das seinen Abschluss im reformatorischen Ikonoklasmus findet. Die reformierten Kirchen sind es dann auch, die die Geißlerbewegungen ablehnen und sie als Mittel der Herstellung der Erregung entlarven. So ist denn auch das Bild vom sich Frauen mittels Peitsche gefügig machenden Priester Grundlage der schwülstigen Phantasien des 18., besonders aber des 19. Jahrhunderts.

Soweit die erste Hälfte des Buches; Largier bricht dann geschichtlich ab. Neues hat er nicht hinzuzufügen, dafür listet er ausufernd Nachweise und Zitate auf, die eben jenes Spagat zu vollführen haben, an dem schon andere, ähnlich gelagerte Werke gescheitert sind. Nicht nur durch Texte, sondern auch durch zahlreiche Abbildungen wird aus wissenschaftlicher Beschreibung ein stimulierendes Brevier. Dass die Zitate die im ersten Teil aufgestellte These illustrieren sollen, wird kaum evident. Vor allem bezieht er die in der Moderne geübte Praxis des ironischen Umgangs, des Hinterfragens von Macht, Lust und Schmerz kaum mit ein - "finsteres" Mittelalter also auch noch in der Décadence. Entstanden ist ein literarhistorischer Bilderbogen der Geißelung von Christus über de Sade bis Proust und Pasolini, der spirituelle, medizinische, ethnologische und pornographische Aspekte versammelt, aber kaum je zur Essentia der Geißelung vordringt. Was bleibt, ist graue Theorie, prächtig illustriert.

Titelbild

Niklaus Largier: Lob der Peitsche. Eine Kulturgeschichte der Erregung.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
400 Seiten, 30,10 EUR.
ISBN-10: 3406480934

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