Erschaffen nach seinen Bildern

John Vermeulen über Leben und Werk von Hieronymus Bosch

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das dunkle und rätselhafte Werk des Malers Hieronymus Bosch hat schon zu vielen Interpretationen und Spekulationen Anlass gegeben. Die ungewöhnliche Symbolik seiner Bilder ist bis heute nicht vollständig entschlüsselt und wird es wohl auch niemals endgültig werden, doch gerade die unglaubliche Vieldeutigkeit scheint einen Teil der Faszination seiner Gemälde auszumachen, da sie jedem Betrachter die Möglichkeit offenlässt, eine ganz eigene Deutung der Gedanken- und Schaffenswelt des niederländischen Malers zu entwickeln. Boschs Werk ist daher schon von vielen Künstlern als Inspirationsquelle genutzt worden.

In den Reigen der Boschinterpreten hat sich jetzt auch der niederländische Autor John Vermeulen eingereiht. Nachdem er bereits 1992 mit "Die Elster auf dem Galgen" einen Roman über einen niederländischen Maler, Pieter Bruegel, veröffentlicht hat, kehrt er nun mit "Der Garten der Lüste. Roman über Leben und Werk des Hieronymus Bosch" zum Genre des historisch-biographischen Romans zurück. Vermeulen wendet in diesem neuen Roman eine vergleichbare Technik an, wie in "Die Elster auf dem Galgen": Er lässt sich von "der Wirkung des Werkes auf seine Phantasie" leiten, und abstrahiert auf diese Weise sozusagen Seele und Leben des Malers aus dessen Gemälden.

Vermeulens Bosch hat es dabei nicht leicht. Er sieht sich dem ganzen Panorama der üblichen frühneuzeitlichen Widrigkeiten gegenüber: So muss er den Brand seiner Heimatstadt miterleben, wird mehrmals in politische Verstrickungen und kriegerische Aufstände hineingezogen und durch einen fanatischen Inquisitor verfolgt; seine Schwester wird als Hexe zu Tode gefoltert. Dazu kommen weitere komplizierende Umstände, wie die Unterdrückung durch eine böse Stiefmutter in seiner Jugend, das Hin- und Hergerissensein zwischen zwei Frauen (eine davon seine Schwester, zu der er zeitweise eine inzestuöse Beziehung unterhält), Drogenkonsum und Verbindungen zu Geheimbünden und Alchimisten, sowie eine grundsätzlich pessimistische bis depressive Lebenseinstellung, die der Maler seiner stets feindlich erscheinenden Umwelt entgegenbringt.

Dass bei dieser bunten Mischung unterschiedlichster Einflüsse und Themen "Der Garten der Lüste" dennoch ein gelungenes Werk darstellt, liegt an der routinierten Erzählweise Vermeulens, dem es gelingt, mit seinem Hieronymus Bosch eine glaubwürdige und interessante Künstlerpersönlichkeit zu gestalten. Er erzählt dessen Leben in einer lockeren Reihe chronologisch angeordneter Einzelszenen, die immer wieder Bezug auf Details aus Boschs Gemälden nehmen.

Glaubwürdig ist Vermeulens Bosch dabei vor allem in seinen Versuchen, für die gefährliche und unschöne Welt, die ihn umgibt, eine Sprache zu finden. Seine Problematik ist die eines für eine Künstlerbiographie typisch erscheinenden Doppellebens: Bosch leidet unter den restriktiven Umständen einer stark konservativ und abergläubisch-religiösen Umwelt, deren Anerkennung er gleichzeitig anstrebt. Er kann sich nicht offen gegen die Umstände auflehnen, doch findet er in seiner Kunst ein Mittel der Bewältigung und eine Möglichkeit des Ausdrucks von - wenn auch versteckter - Kritik.

Der Autor stellt Bosch als einen ständig Suchenden dar, der, dem Mythos des einsamen Genies entsprechend, seinen Platz in der Gesellschaft nicht finden kann. Er steht außerhalb seiner Zeit und ist gerade darum in der Lage, Dinge sichtbar zu machen, Zusammenhänge zu erkennen und in seinen Bildern die Realität zu spiegeln. Für diese Fähigkeit wird er von seinen Zeitgenossen bewundert und gefürchtet. Auch hier folgt Vermeulen den Vorgaben des Geniemythos: Bosch selbst leidet unter seiner Hellsicht und seinem Talent mehr als es durch Ruhm und Ehren kompensiert werden könnte. Er findet nur wenig Gleichgesinnte und meistens werden ihm diese durch das Schicksal oder die Gewalt der Obrigkeit sofort wieder entrissen: So wird der paradiesische Zufluchtsort Ecce Homo, von einem Geheimbund versteckt im Wald gegründet, von der Inquisition zerstört, der Alchimist Clavuceel wird aus seinem Heim von eben dieser Institution vertrieben, und Boschs Gefährte Jasper kommt ebenso wie seine Schwester in den Kerkern des fanatischen Inquisitors Jakob Sprenger zu Tode.

Der Roman erzählt die Geschichte davon, wie Bosch einen Weg zwischen Anpassung und Rebellion sucht, einerseits getrieben von dem Wunsch nach Ruhe und Normalität, andererseits wegen seiner künstlerischen Hellsicht abgestoßen von der Gesellschaft, in die er sich zu integrieren sucht, immer jedoch durch die Bedrohung seines persönlichen Glücks und seiner Freunde am friedlichen Dahinleben gehindert.

Am Ende dieses Prozesses steht scheinbar die Resignation: "Von nun an wird die Meute nur süße Wahrheiten hören, mag ich auch noch so laut fluchen". Doch handelt es sich bei dieser resignativen Einsicht weniger um ein Aufgeben der eigenen Position - offenes Aufbegehren und missionarischer Eifer waren nie die Sache des vermeulenschen Boschs- als vielmehr um einen Akt des Friedenschließens mit sich selbst. Bosch erkennt, dass er mit seiner Kunst genug tut - alles Weitere ist, nachdem er die persönliche Rache an seinem Erzfeind Jakob Sprenger vollzogen hat, nicht mehr seine Aufgabe.

Der Roman stellt insofern die Abhandlung einer überzeitlichen Frage dar: Wie kann derjenige leben, der für die Gesellschaft seiner Zeit zu klug, zu hellsichtig, zu fortschrittlich ist? Ist eine Intergration des Nichtintegrativen, des Genies möglich? Boschs persönliche Tragödie in diesem Roman ist die, dass er auf seine Andersartigkeit nicht stolz sein kann, da sie ihn an der Erfüllung seiner persönlichen, zutiefst menschlichen Bedürfnisse nach Liebe, nach Ruhe und nach Gemeinschaft mit anderen hindert.

Vermeulens Versuch über diese Frage liest sich interessant und kurzweilig - der frühneuzeitliche Rahmen, den er seinem Roman gibt, stellt dabei wenig mehr dar als eine dünne Oberfläche, so dass kleinere historische Unrichtigkeiten, von denen sich einige in dem Werk finden, nicht wirklich ins Gewicht fallen. Vermeulens Bosch ist - das kann auch für die meisten anderen der Figuren gelten - keine genuin frühneuzeitliche Persönlichkeit, ebensowenig wie "Der Garten der Lüste" keine wirkliche Biographie eines frühneuzeitlichen Lebens ist; es handelt sich vielmehr um eine Erörterung der immer höchst aktuellen Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft.

Ob Vermeulen dem historischen Bosch mit dieser Auslegung seiner Gemälde gerecht wird, muss der Leser selbst entscheiden - einen gelungenen Künstlerroman hat er in jedem Fall verfasst.

Titelbild

John Vermeulen: Der Garten der Lüste. Roman über Leben und Werk des Hieronymus Bosch.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
590 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 325706330X

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