Braunes Hemd oder weiße Weste?

Gerald D. Feldman über die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft im "Dritten Reich"

Von Stefan FüllemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Füllemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im September 2001 erschien nach vier Jahren Forschung das Buch des amerikanischen Historikers Gerald D. Feldmann "Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft1933-1945." Der Vorstand der Allianz selbst gab im Frühjahr 1997 den Auftrag, eine Geschichte des Unternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus zu schreiben. Grund hierfür waren insbesondere die eingereichten Sammelklagen vor US-amerikanischen Gerichten. Es musste u. a. rekonstruiert werden, was mit den Lebensversicherungspolicen der jüdischen Versicherungsnehmer passiert war und welche Wiedergutmachungsmaßnahmen in der Nachkriegszeit unternommen worden waren.

Das Buch untersucht somit ein wichtiges Kapital der deutschen Versicherungswirtschaft, aber auch der deutschen Wirtschaft an sich. Im Mittelpunkt steht - wie bereits erwähnt - die Entwicklung der Allianz während der Spätphase der Weimarer Republik und der Zeit des "Dritten Reiches" bis zur frühen Bundesrepublik. Auch wird auf die Verflechtungen des größten deutschen Versicherungsunternehmens mit dem NS-Staat eingegangen.

Demnach hat die Versicherungswirtschaft, wie auch das gesamte deutsche Unternehmertum, bei der Verteidigung der zivilisatorischen Werte versagt und sich oftmals sogar aktiv an ihrer Zerstörung beteiligt. So erwiesen sich Allianz-Manager wie Schmitt und Hilgard als "aktive Förderer" des NS-Regimes. Dieses Verhalten ist mehr als kritisch zu sehen, da es die Richtung für den Allianz-Konzern und somit auch für die gesamte deutsche Versicherungsbranche vorgab. Da die Versicherungsbranche bereits damals eine aktive und sehr bedeutsame Rolle im deutschen Unternehmertum spielte, hatte dieses Verhalten ebenso Auswirkungen auf das Verhalten der Wirtschaft im allgemeinen. Exemplarisch sei hier die Übernahme des Amts des Reichwirtschaftsministers durch Schmitt angeführt, die national wie international den Anschein erweckte, die Wirtschaft könne und werde mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiten.

Die Direktoren der Allianz waren im Allgemeinen zwar keine "rabiaten Antisemiten", aber sie stimmten den frühen Maßnahmen der Nationalsozialisten zu und leisteten später bei deren Verschärfung wenig Widerstand. Der Antisemitismus war somit ein integraler Bestandteil der Politik geworden, an der sich auch die Allianz beteiligte. Nach dem Novemberpogrom 1938 fehlte jegliche Moral und Ethik im Umgang mit den Juden. Somit war der Weg zur aktiven Teilnahme an der Ausplünderung der Juden geebnet.

Aber insbesondere in politisch schweren Zeiten haben private Unternehmen und deren Führungskräfte jedoch eine besondere Aufgabe in demokratischen Gesellschaften. Dass dies in der Zeit des dritten Reiches nicht einfach, aber möglich war, zeigen die Fälle von Hans Heß und Johannes Tiedke, die eine gewisse Grenze beim Umgang mit dem NS-Regime nicht überschritten und teilweise den Juden auch aktiv Hilfe leisteten. Jedoch wäre damals nicht nur eine Distanzierung, sondern auch eine Verteidigung der demokratische Werte - als Aufgabe der Unternehmen - notwendig gewesen.

Mit diesem Buch zeichnet Feldman ein gelungenes Bild des deutschen Unternehmertums in den Zeiten der Diktatur. Der Autor bewahrt sich eine kritische Distanz gegenüber seinem Auftraggeber und der Wirtschaftsbranche, was insbesondere in den Ergebnissen der historischen Recherchen erkennbar ist, die keinesfalls den Ruhm des Unternehmens mehren.

Die Darstellung der Ergebnisse der historischen Recherche ist detailliert, sachlich und sehr umfangreich. Somit stellt dieses Buch einen wichtigen Baustein auch zur Zeitgeschichte dar und belegt, dass alle, auch das Unternehmertum, für die Demokratie einzutreten haben, um solche Regime und Barbareien zu verhindern.

Titelbild

Gerald D. Feldman: Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945.
Übersetzt aus dem Englischen von Karl H. Silber.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
731 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3406482554

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