Wortbestand und Wortgeschichte

Hermann Pauls "Deutsches Wörterbuch" in der 10. Auflage

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hermann Pauls "Deutsches Wörterbuch" gehört seit seiner ersten Ausgabe (Halle 1897) zu den wichtigsten Wörterbüchern, die wir haben, unentbehrliches Handswerkzeug für jeden Literaturwissenschaftler. Es ist das kompakteste Wörterbuch zur deutschen Literatursprache und bietet eine ebenso übersichtliche wie systematische Darstellung der Bedeutungsgeschichte. Darin auch unterscheidet es sich von anderen Wörterbüchern, die sich zwar auch "Deutsches Wörterbuch" nennen, aber den beduetungsgeschichtlichen Aspekt vernachlässigen.

Pauls "Deutsches Wörterbuch" dokumentiert die Erstbelege und verweist auf die großen historischen Wörterbücher und damit auf eine seiner Quellen. Die anderen sind literarischer Art und im Anhang alphabetisch aufgeführt, soweit ihnen mindestens drei Belege entnommen worden sind. Theodor W. Adornos Buch "Minima Moralia" (1951) führt die alphabetische Liste an, Arnold Zweig ("Der Elfenbeinfächer", 1953) schließt sie ab. Neuere Referenztexte sind etwa der Roman "Irre" von Rainald Goetz (1983) "Der Platz der Gehenkten" (1989) von Hubert Fichte oder "Schlußchor" (1991) von Botho Strauß. Unerlässlich sind darüber hinaus so genannte "Hilfsmittel", also wissenschaftliche Arbeiten und Lexika.

Die drei Bearbeiter, Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel, haben auch schon die 9. Auflage herausgegeben (Tübingen 1992) und handeln nach den Vorgaben des Begründers: "Das Werk ist einbändig und wählt insofern aus. Es stellt, von literarischen Belegen getragen, den semantischen Wandel des Wortschatzes dar und ist somit ein historisches Bedeutungs- und Belegwörterbuch. Es wendet sich an alle, die hinter der Sprache deren Geschichte und literarischen Gebrauch suchen; mithin auch an diejenigen, welche professionell mit Sprache befaßt sind, vor allem an Lehrer des Deutschen und insbesondere an Gymnasiallehrer, die Sprachgeschichte und sprachhistorische Reflexion zu ihren Aufgaben rechnen."

Eine wichtige Zielgruppe bilden Studierende und Lehrende, insoweit sie mit historischen Texten arbeiten und den schnellen Zugriff auf eine kompakte Semantik dem ausgiebigen Studieren und zeitraubenden Schwelgen im "Deutschen Wörterbuch" von Jacob und Wilhelm Grimm oder dem achtbändigen Duden vorziehen. Das erweiterte Sachregister hilft ihnen dabei, "inhaltliche Schneisen" in das Bedeutungsdickicht des Wortbestandes zu schlagen.

Ganz aktuell finden sich hier Neubildungen oder neue Verwendungsweisen verzeichnet, zum Beispiel die Wörter und "Unwörter" des Jahres, soweit sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache ermittelt werden: "die neuen Bundesländer" beispielsweise (Wort des Jahres 1990), "Besserwessi" (Wort des Jahres 1991) und "rot-grün" (Wort des Jahres 1998). Sie ergeben, so aneinandergereiht, eine kurze Geschichte der Berliner Republik in Schlagworten.

Die Systematik der einzelnen Lemmata sieht vor, neben dem Einzelwort und seinen Bedeutungen auch die Wortfamilie und die Wortbedeutungsstruktur zu zeigen. Durch Querverweise wird der Wortschatz vernetzt, bilden sich Wortfelder, die im Sachregister zu "epochal wirksamen Wortschatzbereichen" zusammengestellt werden.

Der hohe Nutzwert des Werkes ist seit Jahrzehnten unbestritten, zumal die knappen Einträge aus "Praxis und Autopsie" gewonnen sind und auf eine reiche Wörterbuchtradition zurückgehen: "Wir haben die Arbeit der Lexikographen gebührend zur Kenntnis genommen", heißt es in der Einführung, "auch indem wir gelungene Paraphrasen übernehmen und als Zitat kennzeichnen". Auch hier unterscheidet sich das Wörterbuch wohltuend von der geläufigen lexikographischen Praxis, indem versucht wird, jeweils die besten der Paraphrasen, gleich welcher Provenienz, zusammenzuführen.

Titelbild

Helmut Henne / Heidrun Kämper / Georg Objartel: Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete und erweiterte Auflage.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2002.
1244 Seiten, 56,00 EUR.
ISBN-10: 3484730579

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