Stumme Zeugen des Schreckens

Magnum-Photographen am 11. September 2001 in New York

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 11. September 2001 hat sich wie eine Radierung in unser Gedächtnis eingeprägt. Kaum jemand wird vergessen haben, wo er sich zum Zeitpunkt der Katastrophe aufgehalten hat. Die Photographen der Agentur Magnum waren ausnahmsweise alle in New York, weil sie tags zuvor eine Gesamtkonferenz abhielten. So ergab sich der zynische Zufall, daß diese auf Kriegs- und Dokumentarphotographie spezialisierten Profis ausgerechnet in dem Moment in der unverwundbar geglaubten Heimat waren, als dort das Undenkbare geschah.

Zum ersten Jahrestag prasselten wieder besonders viele Reportagen in Radio und Fernsehen auf uns ein, die sich mehr oder weniger angemessen mit dem 11. September beschäftigten. US-kritische Journalisten berichten, wie die Pressefreiheit im eigenen Land schamlos beschnitten wird. Die Angst vor neuen Anschlägen rechtfertigt Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte. Plötzlich interessieren sich zahlreiche Menschen für den Islam, in den Vereinigten Staaten sprießt ein heilloser Patriotismus, und George Bush jr. weiß ganz genau die "Achse des Bösen" zu benennen. Die eigentlichen Opfer des Anschlags geraten in diesem lauten Getöse zunehmend in Vergessenheit.

Nun kann man mit dem Magnum-Band die Bilder des Geschehens in New York noch einmal in Ruhe und ohne aufgeregte Reporterstimmen betrachten. Das Buch zeigt Panoramabilder der brennenden und einstürzenden Türme ebenso wie Momentaufnahmen von Ground Zero kurz nach dem Einschlagen der Flugzeuge. Am beeindruckendsten sind sicherlich die Bilder, die die spontanen Reaktionen der Menschen dokumentieren. Da gibt es Leute, die wie versteinert auf die brennenden Hochhäuser starren, panisch flüchtende Massen, orientierungslos in den Schuttbergen suchende Feuerwehrmänner und wildfremde sich umarmende Passanten. Die Photographen dokumentieren die Stadt im Ausnahmezustand, Szenen, die uns die Hilflosigkeit ob dieses unfaßbaren Geschehens zeigen.

Freilich stellt der Bildband eine Gratwanderung zwischen seriöser Dokumentation und Ästhetisierung der Katastrophe dar. Vielleicht ist diese Wahrnehmung jedoch nur die Folge der vielen geschmacklosen Hollywood-Filme, die ein derartiges Szenario in aufwendigen Filmmontagen und Stunts unfreiwillig vorausgedeutet haben. Ein anderes Bild erinnert an mittelalterliche Personifizierungen des Sensemanns: es zeigt eine einzelne Person, die sich, in einen Kapuzenpullover gehüllt, mit einem kleinen Hammer vor der noch rauchenden Kulisse der Ruinen zu schaffen macht.

Begleitet werden die Bilder von Texten der Photographen, die erzählen, wie es ihnen an jenem schwarzen Dienstag inmitten der Stadt erging, und die zum Ausdruck bringen, dass diese Katastrophe ihr berufliches Selbstverständnis auf die Probe stellte. Ärgerlich sind lediglich ein paar allzu patriotische Stimmen, die noch dazu schwerfällig aus dem Amerikanischen übersetzt sind. Der Kraft der Bilder nimmt dies jedoch nichts.

Im hinteren Teil des Bandes finden sich Aufnahmen von Trauernden einige Tage nach dem 11. September, von Menschen, die verzweifelt nach Angehörigen Ausschau halten, die in einer Versammlung um ein Kerzenmeer Trost suchen und sich mit Stars and Stripes eindecken. Das Buch endet mit früheren Bildern der Magnum-Photographen, die den bis dahin archimedischen Punkt von Manhattan nochmals in seiner Widersprüchlichkeit darstellen: Romantische Erinnerungen ebenso wie kalte Architekturbilder, die den kapitalistischen Größenwahn und die Unnahbarkeit dieser symbolbeladenen Türme vermitteln. Bis auf die Begleittexte ein leises Dokument der Zeitgeschichte, in dessen Mittelpunkt die "Menschen von Ground Zero" stehen.

Titelbild

Magnum-Fotografen: New York 11.September.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002.
144 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3421056552

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