Zornig, aber zahnlos

Das "Schwarzbuch Globalisierung" bleibt nicht nur den Grundsätzen des Kapitalismus verhaftet

Von Götz WegnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Götz Wegner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das im Riemann Verlag erscheinende "Schwarzbuch Globalisierung" wird nicht zu unrecht als Manifest der Globalisierungskritiker gehandelt, denn viele namhafte Autoren aus dem Umfeld des umwelt- und entwicklungspolitisch orientierten "International Forum of Globalization" (IFG) melden sich darin zu Wort.

Genannt seien hier beispielhaft die beiden Herausgeber, der Präsident des IFG Jerry Mander und der Träger des alternativen Nobelpreises Edward Goldsmith, aber auch andere, wie die Autorin des deutschen Verkaufschlagers "No Logo!" Naomi Klein oder der derzeitige Vorsitzende von Greenpeace Deutschland Wolfgang Sachs, der katholische Schriftsteller Carl Amery und der sozialdemokratische Umwelt- und Entwicklungspolitiker Herrmann Scheer.

In Anbetracht des vielerorts vorzufindenden Bedürfnisses endlich "zu wissen, was es mit den GlobalisierungsgegnerInnen auf sich hat", sollte nicht vergessen werden, dass das IFG und die Autoren des "Schwarzbuches" nur einen bestimmten Ausschnitt jener Bewegung repräsentieren, die in den ökonomischen Globalisierungsprozessen eine Ursache für die katastrophalen Verarmungs- und Verelendungsentwicklungen sowie der voranschreitenden Naturzerstörung sehen, und deshalb das Etikett 'Globalisierungsgegner' erhalten haben. Eine bzw. die Anti-Globalisierungsbewegung existiert schlichtweg nicht - schon allein aufgrund der politischen Vielfalt des "globalisierungskritischen" Spektrums, die von linksradikalen über reformorientierte bis hin zu rechtsextremen und wohlfahrtschauvinistischen Inhalten und Ansätzen reicht.

Im "Schwarzbuch Globalisierung" ist es Jerry Mander, der einführend den Problemhorizont der "globalen Wirtschaft" erläutert und verdeutlicht, worum es in den 27 im Buch festgehaltenen Beiträgen geht: Sie "untersuchen die Instrumente des Globalismus, die ihm zugrunde liegenden Theorien und seine Auswirkungen, aber sie ergründen auch die Alternativen", denn seiner Einschätzung nach handelt es sich hierbei um "die wahrscheinlich fundamentalste Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf unserem Planeten mindestens seit der industriellen Revolution". Dementsprechend folgt das 500-seitige "Schwarzbuch der Globalisierung" einer dreiteiligen Systematik, die in einem ersten Schritt die Bestimmung der Form der "globalen Wirtschaft" und deren "Triebkräfte" in den Blick nimmt und in einem zweiten die Klärung der Frage, "wie sich die rasch voranschreitende Globalisierung vermutlich auf unser Leben auswirken wird" nachgeht und deren Auswirkungen aufzeigt. Der dritte und letzte Teil des Buches ist der Formulierung von alternativen Grundsätzen, den "Schritten zur Umkehr", gewidmet, da die Autoren zu dem Schluss kommen, dass die "Globalisierung aufgehalten und so bald wie möglich rückgängig gemacht werden muss".

Zunächst werden in verschiedenen Beiträgen die "Triebkräfte" der "wirtschaftlichen Globalisierung" unter die Lupe genommen, deren Focus allerdings einem grundlegenden Verständnis der mit der "globalen Wirtschaft im Zusammenhang" stehenden katastrophalen Entwicklungen Schwierigkeiten bereitet. Zwar werden Kolonialismus, Freihandel, das Scheitern des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods, Technologieentwicklungen und die globale Herrschaft der transnationalen Konzerne thematisiert, allerdings ohne den für ein solches Vorhaben zentralen ökonomischen Begriff analytisch angemessen zu verwenden - den des Kapitalismus. Dass dies weitreichende Folgen, nicht nur in Hinblick auf ein Verständnis des ökonomischen Kerns der Entwicklungen, sondern auch auf die Formulierung von Alternativen hat, macht die letztlich pro-kapitalistische Position des "Schwarzbuches" nur allzu deutlich. Hier werden zwar die Instrumente, mithilfe derer die Überakkumulationskrise in den kapitalistischen Metropolenstaaten bewältigt wurde, sowie deren Auswirkungen durchaus treffend aufgezeigt, aber nicht auf deren gemeinsame Ausgangslage bezogen. Diese bildet eine seit den 1970er Jahren anhaltende Periode der Reorganisation kapitalistischer Verwertungsbedingungen, die alle gesellschaftlichen Bereiche mit einbezieht und mittlerweile zu einer nachhaltigen Sanierung und Erhöhung der Profitrate geführt hat.

Folge ist, dass das Übel nur unvollständig begriffen wird: Die transnationalen Konzerne und die Staatsregierungen der G8 hätten der Welt ihre neoliberalen Ordnungsvorstellungen von Freihandel, Deregulierung und Privatisierung aufgezwungen und sich entsprechende supranationale Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (WTO) geschaffen, die nicht mehr den "allgemeinen Interessen der Bevölkerungen" untergeordnet seien. Folgerichtig werden die transnationalen Konzerne, der IWF samt seiner berüchtigten Strukturanpassungsprogramme usw. als institutionalisierte Formen einer neoliberalen Ideenwelt auf die Anklagebank gestellt und in ihrem finsteren kapitalistischen Tun entlarvt und kritisiert, weder aber die dem Kapitalismus inhärente Dynamik noch deren grundsätzliche staatliche Einbettung problematisiert.

Stattdessen wird vielmehr betont, dass das Problem nicht der "Markt per se" sei, sondern nur der Machtverlust der Nationalstaaten in punkto eigenständiger Politik. Angestrebt wird in dieser Hinsicht eine Art 'Markt-Staat-Gleichgewichtskapitalismus', der die Grundlage für die im dritten Teil des "Schwarzbuches" vorgestellten Vorschläge zu einer Kehrtwende hin zu einem ökologisch-nachhaltigen, lokalen Wirtschaften abgeben soll. Der Staat wird zum Dreh- und Angelpunkt aller Hoffnungen; so schreibt David Korten: "Damit die Regierungen die Aufgabe erfüllen können, die Interessen von Markt und Gemeinschaft im Gleichgewicht zu halten, muss der Staat genauso viel Macht haben wie der Markt."

An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Was in der Analyse nur am Rande erwähnt wird - der Kapitalismus und der Staat -, bleibt auch im Gegenentwurf unangefasst.

Dass die Nationalstaaten maßgeblich für die eigene Entmachtung gesorgt haben und dies weiterhin tun, wird zwar bemerkt, führt aber leider nicht zum Hinterfragen des eigentlichen Zusammenhanges zwischen Nationalstaat und "wirtschaftlicher Globalisierung". Markt und Staat können deshalb nicht als zusammengehörige Momente der kapitalistischen Produktionsweise begriffen werden, deren Einheit u.a. auf dem Umstand beruht, dass der Staat sich nur durch die Besteuerung des produzierten Mehrwertes und der Löhne seine materielle Grundlage zur Politik aneignen kann und deshalb eben auch die Grundlagen zur erfolgreichen Kapitalakkumulation garantiert. Insofern beinhalten die überwiegend am Maßstab einer nachhaltigen Entwicklung orientierten Analysen zu den Auswirkungen der "wirtschaftlichen Globalisierung" nicht nur einen unkritischen Bezug auf die kapitalistische Produktions- und Vergesellschaftungsweise, sondern auch auf den Nationalstaat. Staatliche Kontrolle und Herrschaft, die sich infolge kapitalistischer Restrukturierung in den letzten Jahrzehnten ausgeweitet und intensiviert hat, gerät in diesem Spektrum der Globalisierungsgegner völlig aus dem Blickfeld. Ein solches Analyseraster blendet die jeweiligen Herrschaftsformen aus und verharmlost diese entsprechend.

Festzuhalten ist zudem, dass sich daraus weitere blinde Flecken ergeben. Die grundsätzliche, systemimmanente Krisenhaftigkeit einer jeglichen kapitalistischen Entwicklung wird ebenso wenig wahrgenommen und problematisiert wie deren Grundlage: die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft.

Zu guter Letzt wird eine historisch einmalige Bedingungskonstellation - nämlich die der prosperierenden sozialstaatlichen Wohlfahrtsregime der Nachkriegszeit - zum konkreten politischen Fixpunkt. Leider werden deren historischen Voraussetzungen und Problemhorizonte ebenso wenig thematisiert wie ihre praktischen und theoretischen Implikationen. Insofern handelt es sich bei der angestrebten Lokalisierung der Ökonomie allein um den Versuch, den Kapitalismus mit seinen sozialen und ökologischen Grenzen zu versöhnen. Dass dies mit einer Internalisierung der ökologischen (Folge-)Kosten der Produktion und Zirkulation erreicht werden kann, ist höchst zweifelhaft, denn die, im "Schwarzbuch" durchaus treffend beschriebenen und der ihnen zugrunde liegenden Machtkonstellationen stehen einer solchen Lösung weiterhin ungefragt entegegen

Titelbild

Jerry Mander / Edward Goldsmith (Hg.): Schwarzbuch Globalisierung.
Übersetzt aus dem Englischen von Helmut Dierlamm u. Ursula Schäfer.
Riemann Verlag, München 2002.
523 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 357050025X

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