Der Geschlechtskörper als Spiegel von Gender

Zwei Sammelbände zu Denkachsen und universitären Perspektiven der Geschlechterforschung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit den "Denkachsen und Perspektiven der Geschlechterforschung" befassten sich die Referentinnen der im Wintersemester 2001/02 an der Universität Salzburg durchgeführten "7. Frauen-Ringvorlesung". Die meisten Wissenschaftlerinnen widmeten sich mit dem aktuellen Stand der Gender Studies in einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen. So sprach Ingrid Bauer etwa über "geschlechtssensible Geschichtswissenschaft", Michaela Moser über die "theologische Bedeutung der Geschlechterdifferenz", Eva Cescutti über "Ansätze mittelalterlicher Gender-Forschung" und Elisabeth Klaus stellte mit dem Gleichheits- und dem Differenzsatz sowie mit dem Konstruktivismus die drei zentralen Ansätze der Geschlechterforschung in der Kommunikationswissenschaft vor. Über solche wissenschaftliche Disziplinen betreffenden Fragen hinaus wurden zudem auch Themen, wie die "Genderforschung in Museen" (Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch) oder die Politik des Gender Mainstreaming (Elisabeth Holzleitner) erörtert.

Politik spielte allerdings nicht nur in dem Vortrag von Holzleitner eine Rolle. Denn der "relationalen" Kategorie Gender wohnt grundsätzlich ein "Neu-Denken des gesellschaftlichen Koordinationssystems" inne, das eine "über die Emanzipation 'der Frau' hinausgehende Strategie der Veränderung" beinhaltet, wie Ingrid Bauer und Julia Neissl als Herausgeberinnen eines Sammelbandes betonen, in dem sich die Salzburger Vorträge nun nachlesen lassen. Dieser politische Impetus sei um so wichtiger als die Kategorie Gender zwar "derzeit in vieler Munde" ist, die deterministische "Denkfigur" der "Unverrückbarkeit" des Gegensatzes männlich/weiblich jedoch zugleich eine "aktuelle, von Neurobiologie, Soziogenetik oder Evolutionspsychologie gespeiste Neuauflage" erfährt.

Der vielfältige Gebrauch des Begriffes Gender in den Wissenschaften, in der Politik und im alltäglichen Leben, so die Herausgeberinnen, bringt es mit sich, dass nicht alle das gleiche mit ihm "meinen und wollen". Doch sei zu beobachten, dass er, unter Vermeidung des "shock value" 'Feminismus', oft "synonym für 'Frauen' und 'Emanzipation'" benutzt werde. Sicher ist nicht ganz unzutreffend, dass verschiedene Gendertheoretikerinnen den Begriff "Feminismus" gerne vermeiden. Doch wird man gerade unter ihnen vergeblich nach einem synonymisierenden Gebrauch von "Gender" und "Frau" Ausschau halten. Die "Denkachse 'Gender'" - da ist den Herausgeberinnen nun wieder uneingeschränkt zuzustimmen - kann ihre Kraft als "effektives Werkzeug der Gesellschaftskritik" jedenfalls nur behalten, wenn sie "Aussagen über Ungleichheit und Macht" transportiert.

Einem kritischen Slogan aus den Anfängen der zweiten Frauenbewegung wendet sich Gisela Riecher zu und verfolgt die "Traditionslinie der Politik und des politischen Denkens", gegen den sich um 1970 die Parole "Das Private ist politisch" richtete, bis auf Aristoteles zurück, der in seiner politischen Theorie den Frauen den Oikos zuwies, jene unfreie Sphäre, "in der die Reproduktion des Lebens stattfindet". Schon zu Beginn der zweiten Frauenbewegung habe die "Kritik an der Trennlinie zwischen privatem und öffentlichem Bereich" im theoretischen Zentrum gestanden. Für die gegenwärtige feministische Theorie der Politik glaubt die Autorin in Habermas' Theorie der kommunikativen Öffentlichkeit, vor allem aber in Michael Walzers Kommunitarismus Anknüpfungspunkte auszumachen. Richtig plausibel machen kann sie das allerdings nicht. Doch für ihr umfassendes Vorhaben, nicht nur den Stellenwert der Gender Studies innerhalb der Politikwissenschaft deutlich zu machen und einen Abriss der feministischen politische Theorie zu liefern, sondern zudem über politisch-theoretische Fragen zu reflektieren, ist der Umfang ihres Textes mit gerade mal elf Seiten wohl auch zu knapp bemessen.

Ganz anders gehen Christa Gürtler, Eva Hausbacher und Sigrid Schmid-Bortenschläger zu Werke. Die Literaturwissenschaftlerinnen konzentrieren sich auf einen einzigen, kaum eine Seite umfassenden literarischen Text: "Der Kopf" von Hertha Kräftner, an dessen Rezeptionsgeschichte sie die Phasen und Entwicklungen der feministischen Literaturwissenschaft seit den 70er Jahren deutlich machen - und dabei ganz beiläufig das Interesse an Person und Werk dieser "wichtigen Schriftstellerin der Nachkriegszeit" wecken, die 1951 im Alter von 23 Jahren Suizid begangen hat. Die Autorinnen beschränken sich allerdings nicht darauf, die sich wandelnden Paradigmen feministischer Literaturwissenschaft zu verdeutlichen, sondern beziehen selbst Position und insistieren unter Bezugnahme auf Andrea Rinnerts jüngst erschienener Dissertation "Körper, Weiblichkeit, Autorschaft" (2001) gegenüber "früheren", den Körper "weitgehend ausblendenden" literaturwissenschaftlichen Analysen darauf, dass sich in Texte von Frauen und von Männern immer auch "ein Subjekt in seiner Körperlichkeit" einschreibt.

Dass Gender von einigen Feministinnen nicht nur als kritische Kategorie aufgegriffen, sondern als zumindest tendenziell-affirmativ kritisiert wird, zeigt sich in Kornelia Hausers Beitrag. Die Innsbrucker Soziologin moniert, dass die Kategorie auch dazu tauge, in einer "paralysierten (politischen) Situation" überwintern zu können. Überhaupt eigneten sich postmoderne Theorien "ausgezeichnet" dazu, "parallel und keineswegs kritisch zu den herrschaftlichen Verhältnissen geführt" zu werden, da ihnen das "Begreifen von Vergesellschaftungsformen" fehle.

Überzeugender als Hausers Schelte der postmodernen Gendertheorien ist ihre Kritik an der Männlichkeitsforschung, die seit einigen Jahren ebenso boomt, wie die kritisch(-feministische) Auseinandersetzung mit ihr. Dass Hauser die "nur als aufdringlich zu interpretierende Ignoranz" geißelt, die Männlichkeitsforschung "gegenüber dem Gehalt der Begreifensinstrumente der Soziologie" an den Tag lege, mag zwar als Anspruch auf eine führende Rolle des eigenen Faches zu lesen sein. Jedenfalls aber trifft fraglos zu, dass Männlichkeitsforschung oft dazu neigt, "Mann und Männlichkeit noch stärker zu vereinfachen, als sie im Alltag schon erfahrbar sind". Man könnte sogar noch ein gutes Stück weiter gehen und wie Bettina Mathes monieren, dass Männlichkeitsforschung meist "schlicht Männerforschung betreibt", bei der nicht nur die "Gewalt von Männern gegen Frauen aus dem Blick" gerät (vgl. hierzu die Rezension von Mathes' Buch "Verhandlungen mit Faust" in dieser Ausgabe). Relativiert wird der Erkenntniswert von Hausers prinzipiell berechtigter Kritik an der Männlichkeitsforschung allerdings dadurch, dass sie zu ihrer Untermauerung nur das Buch "Männer" aus der Feder des hinlänglich bekannten Misogyn Dietrich Schwanitz` und einen Text von Lothar Böhnisch heranzieht, einem dezidiertem Antifeministen (vgl. zu Böhnisch literaturkritik.de 7/2001), dem, wie Hauser sagt, "Feministinnen zu Täterinnen werden". Zwar ist die Vehemenz, mit der sich die Autorin auf Schwanitz' populistisches und nicht nur für sie "peinigendes" Werk stürzt, ohne weiteres nachvollziehbar, aber eine wissenschaftliche Kritik des Buches lohnt insofern kaum, als es selbst offensichtlich keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, sondern schlicht für die Stapelwarentische der Buchhandlungsketten geschrieben ist. Fruchtbarer wäre sicher eine Auseinandersetzung mit seriösen Männlichkeitsforschern wie Walter Erhart gewesen.

Last but not least sei Sigrid Schmitz' Aufsatz über "Hirnforschung und Geschlecht" erwähnt, der zu den beachtenswertesten Beiträgen des vorliegenden Bandes zählt. Die Biologin beleuchtet nicht nur die "eigenständigen Entwicklungen und Dimensionen" der Genderforschung in den Naturwissenschaften und zeigt deren "spezifische Ansätze und Methoden" sowie Verbindungen und Zusammenhänge mit der gesellschafts- und kulturwissenschaftlichen Genderforschung auf, sondern macht sich zudem für das theoretische Konzept des "Embodyment" stark, das den (Geschlechts-)Körper als "Spiegel von Gender" fasst. Damit sollen "anatomische oder funktionelle Ausprägungen von Geschlecht im Gehirn" nicht etwa negiert werden. Schmitz geht es vielmehr darum, deren "inter- und intra-individuelle Variabilität" und "zeitabhängige Konstituierung" in Hinblick auf die "umweltoffene und dynamische Hirnplastizität" verstehbar zu machen. Auch bei Schmitz erhalten, ähnlich wie bei Gürtler und ihren Mitautorinnen, Körper also wieder mehr Gewicht. Allerdings stellt sich die Frage, warum dann nicht wieder von der altbekannten Dialektik von (geschlechts-)körperlichem Sein und Bewusstsein gesprochen werden sollte - allerdings ohne das marxistische Primat des Seins.

Der Reformierung der Universität aus der Sicht der feministischen Theorie und der Gender Studies widmet sich der von Gabriele Moser, Brigitta Keintzel, Barbara Schiest und Michaela Hafner im Auftrag der Universität Wien herausgegebene Sammelband "Quo vadis Universität?". Anlass für den Band war eine Tagung die Ende 2001 vom Projektzentrum Genderforschung der Wiener Universität ausgerichtet wurde. Im Zentrum der Beiträge, die den "Faktor" Geschlecht "auf allen universitären Ebenen" hinterfragen, stehen Forschung und Lehre sowie aktuelle wissenschafts- und vor allem hochschulpolitische Entwicklungen. Hierzu werden neben "unterschiedlichen Modellen und Ansätzen" zur "Verankerung" der Gender Studies in den acht Fakultäten der Universität Wien Graduiertenkonferenzen und -kollegs sowie im Aufbau befindliche curriculare Modellen vorgestellt.

Bevor sich die meist nur wenige Seiten umfassenden Beiträge konkreten Fragen der Forschung und Lehre sowie der Hochschul- und Wissenschaftspolitik zuwenden, erörtern drei einführende Texte allgemeine und übergreifende Probleme und zeigen Aussichten möglicher Entwicklungen auf. Doris Ingrisch und Brigitte Lichtenberger-Fenz liefern einen historischen und interdisziplinären Abriss "Zum Geschlechterverhältnis in den Wissenschaften", der zwar einen guten Überblick verschafft, aber seine Zitate - so etwa im Falle Aristoteles - nicht immer ausweist. Waltraud Ernst stellt in einem leider allzu knappen Beitrag die Aufgabe der "feministischen Ethik in den Naturwissenschaften" dar. Die Wiener Philosophin, die unlängst mit einer beeindruckenden Dissertation über feministische Erkenntnisprozesse hervortrat (vgl. literaturkritik.de 7/2000), sieht diese zunächst in der "rigorosen Selbstreflexion" technowissenschaftlicher Forschung, wobei die Forderungen der technowissenschaftlichen KonstrukteurInnen einer "permanenten feministischen Analyse" zu unterziehen seien. Außerdem gelte es, die Interpretationen wissenschaftshistorischer Gegebenheiten kritisch zu analysieren, die "Normen der soziopolitischen Regulierung gegenwärtiger Wirklichkeiten" zu dekonstruieren und die "utopischen und dystopischen Elementen wissenschaftlich-sozialer Potentiale" zu klären.

Regina Becker-Schmidt, erörtert die Perspektiven einer künftigen Bedeutung des Geschlechterverhältnisses in den Wissenschaften. Die Psychologin stellt nachdrücklich in Frage, dass Frauen- und Geschlechterforschung als feministische Wissenschaft nur in den Sozial- und Geisteswissenschaften Sinn macht, und erläutert, worin sich Frauen- von Geschlechterforschung unterscheidet und warum beide eines interdisziplinären Zuschnitts bedürfen. Der Begriff "feministisch", moniert sie, werde oft als "Markenzeichen einer nicht-objektiven, sondern in Parteilichkeit befangenen Gesinnung" missverstanden. Tatsächlich sei er aber ein Synonym für "kritisch", wie sie vage definiert. Feminismus sei also keine "Weltanschauung", sondern frage nach den "subjektiven und objektiven Bedingungen" der "Wissensgenese" und stelle somit eine "Option für die Abschaffung von Machtgefällen und Herrschaftswissen zugunsten einer demokratischen, kosmopolitischen Wissensgesellschaft" dar. Dass dahinter letztlich doch eine 'Weltanschauung' steckt, nämlich eine, die eine demokratische Wissensgesellschaft einer solchen, die auf Herrschaftswissen baut, vorzieht, scheint ihr allerdings entgangen zu sein.

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Ingrid Bauer / Julia Neissl (Hg.): Gender Studies. Denkachsen und Perspektiven der Geschlechterforschung.
Studien Verlag, Innsbruck 2002.
189 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3706516225
ISBN-13: 9783706516228

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Titelbild

Quo Vadis Universität? Perspektiven aus der Sicht feministischer Theorie und Gender Studies.
Studien Verlag, Innsbruck 2002.
396 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3706517167
ISBN-13: 9783706517164

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