Schönheit des Untergangs

Roswitha Schieb untersucht Körper- und Kollektivbilder bei Ernst Jünger, Hans Henny Jahnn und Peter Weiss

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Werk von Ernst Jünger, Hans Henny Jahnn und Peter Weiss könnte unterschiedlicher nicht sein, und dennoch gibt es viel Gemeinsames, das eine vergleichende Betrachtung lohnt. Roswitha Schieb hat sich drei Texte vorgenommen, um ihre "Körperbilder" und die daraus ablesbaren ästhetischen und ideologischen Präsuppositionen darzustellen: "Fluß ohne Ufer" (entstanden zwischen 1934 und 1937 sowie zwischen 1936 und 1945), "Auf den Marmor-Klippen" (entstanden und publiziert 1939) und "Ästhetik des Widerstandes" (entstanden zwischen 1972 und 1981, publiziert 1975, 1978 und 1981).

Eine Gemeinsamkeit betrifft die Darstellung totalitärer Machtstrukturen: Die "Ästhetik des Widerstandes" von Peter Weiss ist explizit auf die Zeit des Nationalsozialismus bezogen, Ernst Jüngers Erzählung "Auf den Marmor-Klippen" wurde als Parabel des "Dritten Reiches gelesen, Hans Henny Jahnns Romantrilogie "Fluß ohne Ufer" gilt als Allegorie des Faschismus, auch wenn die präsentische Zeit ausgespart bleibt.

Im ersten Kapitel rekonstruiert Roswitha Schieb die "Körperideologie" des Nationalsozialismus, indem sie den Zusammenhang von Körperkult und Körpernegation aufzeigt. Der Begriff des Körperkults ist dabei weniger erklärungsbedürftig als der Begriff der Körpernegation. Unter letzterem versteht die Verfasserin die technizistisch-massenhafte Körpervernichtung der Zeit. Die Metapher des "Volkskörpers" wird mit der nationalsozialistischen Politik der Leibes- und Volksgesundheitserziehung korreliert, die von der Ideologie des "reinen Blutes" ausging und Blut und Rasse, Moral und Charakter zu normieren suchte. Ein wichtiger Aspekt nationalsozialistischen Volkskörperideologie ist dabei die Vorstellung, daß der menschliche Körper, ähnlich wie eine Maschine, durch einen Austausch von Organen umgebaut werden kann. Mit dem bekannten Ergebnis: Was den großen Blutkreislauf des Volkskörpers störte, als krank, unhygienisch, jüdisch, als unfunktional oder anormal galt, entsprach nicht der geforderten "Gütequalität" und konnte dementsprechend "ausgetauscht" werden. Hauptziel der Leibes- und Gesundheitserziehung war es, für Hygiene im individuellen und kollektiven (Volks-) Körperbereich zu sorgen, die Körper so abzurichten, dass"kruppstahlharte Menschen" geschaffen werden, die jenseits persönlicher Interessen ihre Pflicht für die Mission des Ganzen tun. Schieb rekonstruiert drei Hauptfunktionen der Körperästhetik im Nationalsozialismus:

1. eine Vermittlerrolle zwischen "anfälligen Individuen" und der "makellosen Produktwelt"

2. die Unterstützung der "Sexualisierung des Staates" und

3. eine Kontrollfunktion in moralischen Fragen und Fragen "Entarteter Kunst".

Im zweiten Kapitel wird Ernst Jüngers Erzählung "Auf den Marmor-Klippen" untersucht. Die wichtigste Ordungsinstanz der Parabel sei das Linnésche System, anhand dessen die dargestellte Welt katalogisiert und geometrisiert werde. Es geht darum, Zivilisationsformen (zum Beispiel Architektur) auf Naturformen zurückzuführen und selbst den Tod durch ein Odnungssystem zu nobilitieren. Obwohl die Verfasserin die literarische als konstruierte Realität darzustellen weiß, passieren ihr doch immer wieder kapitale Interpretationsfehler, etwa wenn sie Romanzitate mit Tagebuchzitaten abgleicht und von "Realitätsverzerrungen" des geometrisierenden Blicks auf die Welt spricht. Die dargestellte Welt, so ist ihr entgegenzuhalten, ist eben eine fiktive Welt, zwar nach dem Modell der Wirklichkeit gestaltet, doch diese weder abbildend noch wiederholend. Im übrigen gilt das für Jüngers Tagebücher auch, so wie Literatur generell als ein sekundäres modellbildendes System konstruiert ist.

Wo Roswitha Schieb diesen Aspekt implizit leugnet, fällt sie hinter den Stand der Forschung zurück. Besonders deutlich wird dies in der Interpretation von Hans Henny Jahnns Trilogie "Fluß ohne Ufer", die von der Verfasserin ebenfalls als Parabel gelesen wird. Dort nämlich, wo es um Jahnns biologisches Forschungsinteresse geht, bezieht sie die pseudowissenschaftlichen Erkenntnisse des Autors auf das ideologisch präformierte Erkenntnisinteresse der NS-Biologie und der NS-Medizin. Beides darf jedoch in der Weise keine Anwendung auf die Romanfigur Frode Faltin finden, der als Hormonforscher durchaus im Rahmen der dargestellten Wissenschaftlichkeit verbleibt und im Prinzip Korrelationen jeglicher Art zwischen persönlichen Neigungen der Figuren einerseits und ihrem hormonellen Haushalt andererseits herstellen darf, soweit sie durch den Realitätsbegriff der Trilogie gedeckt sind. Genau dieser Aspekt aber bleibt ausgespart.

Die bisweilen kurzschlüssige Analyse der Autorpsyche durch die Verfasserin führt prompt zur Interpretation des literarischen Werkes als eines Geständniszwangs "normverletztender Neigungen". Damit sind der Spekulation Tür und Tor geöffnet, und die Symbolsprache des Romans zielt plötzlich auf die Homosexualität des Autors. Wo die Autorin textnah arbeitet und in der Textwelt verbleibt, passieren ihr solche Kurzschlüsse nicht, doch hat das wieder den Nachteil, daß dadurch das Verhältnis von literarischer und außerliterarischer Wirklichkeit unterbelichtet bleibt. Gerade weil es hier um metaphorische und allegorische Lesarten textinterner Realität geht, wäre zu fragen, welche Angebote zur 'Übertragung' die Texte dem Leser machen - und damit auch dem Leser von Dissertationen. Sinn wird operativ produziert und reproduziert, er ist das Medium, das mit der Differenz von Aktualität und Potentialität arbeitet, ihn jedoch aus den "Wunschtopographien" der Texte zu abstrahieren, fällt zumindest dem Rezipienten dieser Arbeit schwer, zumal eine Gesamtschau ihrer drei Hauptbezugstexte am Ende unterbleibt.

Das Buch von Roswitha Schieb endet mit der Darstellung der "Ästhetik des Widerstandes". Hier geht es der Verfasserin vornehmlich darum, die erkenntnisleitende Funktion der Kunstbetrachtungen herauszuarbeiten, welche die "Ästhetik" einleiten, aber auch später noch, im Spanienkapitel des zweiten Teils des ersten Bandes, eine große Rolle spielen, etwa die Deutung der "Sagrada Familia" von Antoni Gaudí, die als Darstellung eines "kosmisch-universalen Weltmodells" gedeutet wird. Eine Betrachtung des Pergamonaltars führt zu einer selektiven und "engagiert-parteiischen Auslegung", der auch "Benennungsfehler" unterlaufen.

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Roswitha Schieb: Das teilbare Individuum. Körperbilder bei Ernst Jünger, Hans Henny Jahnn und Peter Weiss.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1997.
437 Seiten,
ISBN-10: 3476451720

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