Ich bin durch meine Sprache untrennbar an die Deutschen gebunden

Autobiographisches und verstreute Schriften aus dem Nachlass runden die Max Zweig-Ausgabe ab

Von Axel SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Max Zweig, am 22. Juni 1892 im mährischen Proßnitz geboren, hatte bereits als Kind das Ziel, Dramatiker zu werden. Ein vom Vater aufgezwungenes Jurastudium in Wien und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs haben die Verwirklichung dieses Traums nachhaltig verzögert. Als Zweig schließlich 1925 sein erstes Drama "Ragen" einer breiten Öffentlichkeit vorstellte, war es fast schon zu spät. 1933 musste Zweig Deutschland verlassen, 1938 emigrierte er von der Tschechoslowakei aus nach Israel, wo er bis zu seinem Tod am 5. Januar 1992 als Dramatiker in einem oft beklagten sprachlichen Exil lebte. "Ich bin als Jude in die deutschsprachige Kultur geboren worden. In diesen wenigen Worten sind die unabänderlichen Grundlagen meines Lebens bereits festgelegt" - dieses Bekenntnis Zweigs aus dem Essay "Religion und Konfession" ist für das Gesamtwerk des aus Überzeugung deutschsprachig schreibenden Dramatikers grundlegend.

Der abschließende sechste Band der vorzüglich editierten und mit kenntnisreichen und informativen Nachworten versehenen Gesamtausgabe der Werke Zweigs umfasst zahlreiche, bislang unveröffentlichte Texte, die den vergessenen Dramatiker in neuen Facetten zeigen. Der besondere Wert des Bandes liegt vor allem darin, dass er einen Autor, der sich ausschließlich als Dramatiker gesehen hat und auch so von der akademischen Zunft verstanden wissen wollte, auch von einer lyrischen und epischen Seite zeigt. Obwohl Zweig, wie Eva Reichmann in ihrem Nachwort unterstreicht, den literarischen Wert dieser nicht-dramatischen Texte in Gesprächen und in seiner Autobiographie immer wieder selbst herabsetzte, belegen die hier versammelten Texte, dass Zweig, wenn auch nur kurzfristig, auch in anderen literarischen Genres aktiv war und dabei durchaus nennenswerte Ergebnisse erzielte. In einem letzten Teil werden einige wenige Briefe an Zweig veröffentlicht, die nähere Informationen zum Werk des Autors oder zu ihm wichtigen Personen enthalten bzw. die Genese der hier vorliegenden Gesamtausgabe illustrieren. Eine umfassende Briefedition bleibt gleichwohl ein Desiderat.

Zentrum des Bandes ist jedoch die Autobiographie Zweigs, die bereits 1987 unter dem Titel "Lebenserinnerungen" vom Bleicher Verlag in Gerlingen publiziert wurde. Allerdings fehlen in dieser ersten Ausgabe ein entscheidendes Kapitel und mehrere längere Textpassagen. Im fertigen und gedruckten Text dieser Ausgabe hat Zweig weitere Änderungen vorgenommen, die in den vorliegenden Band aufgenommen worden sind. Die Entstehungsbedingungen dieses autobiographischen Textes sind mindestens so vielsagend wie das Bild, das der Dramatiker in seinem Text von sich selbst zeichnet. Im Schlusskapitel schreibt Zweig, dass er eines Tages erwachte und wusste, er habe den Auftrag eine Autobiographie zu schreiben, die von der eindeutigen Absicht getragen sei, der Nachwelt einen "richtigen" Eindruck zu hinterlassen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Text in seinem autobiographischen Ich einen Dramatiker gestaltet, der seine Erfolge auf Bühnen nicht als solche bewertet wissen möchte, sondern als verkannter, unaufgeführter Dramatiker gelten will. Keine ihrem Rang entsprechende Erwähnung finden alle nicht-dramatischen Texte: die Novellen, die Gedichte, vor allem aber auch die Essays "Religion und Konfession" oder "Israel, was nun?", die Zweigs intensive und zum Teil sehr scharfsinnige Auseinandersetzung mit aktuellen Themen in Europa und Israel zeigen und sein feines Gespür für größere Zusammenhänge verraten. Von einigem Interesse sind die Kapitel, die der von Zweig aufmerksam verfolgten Etablierung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in Deutschland gewidmet sind. So glaubte Zweig "bis zum Schluß nicht, daß die Deutschen so hirnverbrannt und gottverlassen sein würden, Hitler zu ihrem Herrn und allgewaltigen Gebieter zu machen. In den schwer bewaffneten Fackelträgern der SA waren seiner Ansicht nach "die primitivsten und pervertiertesten Instinkte bewußt und systematisch entwickelt und ausgebildet worden, damit sie, wenn ihr Tag käme, auf die Menschheit losgelassen würden." "Ich will gestehen, daß es mich sogar reizte, in Berlin zu bleiben und die Szenen aus der Nähe zu beobachten, als ahnte ich, daß hier sich mir ein neues Feld für meine künftigen Dramen eröffnen würde. So fand ich mich auch Unter den Linden ein, als dort im Mai 1933, unter dem Jubel von Zehntausenden, die Bücher unerwünschter Schriftsteller auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden."

Ähnlich wie in dem Essay "Religion und Konfession" beschreibt Zweig in seinen Erinnerungen mit der Korruption des deutschen Geistes und der 'Zerstörung' der deutschen Sprache einen wesentlichen, sein ganzes weiteres Leben stark beeinflussenden "Schmerz": "Ich bin in die deutsche Kultur geboren worden; es war nicht meine freie Wahl. Ich bin durch die Sprache, welche meine geistige Welt ist, untrennbar an die Deutschen gebunden; das ist, was man auch sagen mag, ein unabänderliches Schicksal. Gewiß, die Geschichte der Deutschen ist seit Mitte des dreizehnten Jahrhunderts unter den großen Nationen Europas die kläglichste und verächtlichste, und sie haben sich durch die Jahrhunderte hunderttausendfach an den Juden versündigt. Aber die Kultur, welche sie schufen, gehört, zumindest in gewissen Epochen, zu den allergroßartigsten, die je ein Volk hervorgebracht hat. [...] Ihre Dramatiker - von Lessing bis Hebbel halte ich, nach den griechischen Tragikern und Shakespeare, für die größten der Weltliteratur; und wenn ich die letzteren mehr bewundere, so liebe ich die deutschen Dramatiker mehr, weil sie die gleichen künstlerischen Ideen und menschlichen Schicksale verkörpern und darstellen, welche auch mein Herz erfüllten. [...] Deshalb erschien es mir unbegreiflich, daß die Deutschen, welche solche Genien höchsten Ranges besaßen, einen Hitler als ein Idol verehren, ja anbeten konnten, und daß 'geistige' Menschen, insbesondere jene, die beruflich mit der Sprache zu schaffen hatten, wie Schriftsteller, Professoren, Richter, Erzieher, Lehrer und andere, nicht den ersten Satz Hitlers, den sie lasen oder hörten, als den genauen Ausdruck des Schäbigsten, Häßlichsten und Allergemeinsten, das in der Menschenseele zu finden sein mag, erkannten und feststellten, daß dieser Mann, der sich als Retter Deutschlands aufwarf, der Verwüster und Zerstörer der deutschen Sprache war. Gerade diese 'Geistigen', welche solche Erkenntnisse haben mußten und sie um irgendeines Vorteils oder Nutzens willen verrieten, scheinen mir die Verwerflichsten unter den Deutschen zu sein, denen ihre Schuld nicht vergeben werden kann."

Nicht nur aufgrund dieser Passagen ist Zweigs Lebensgeschichte nicht nur für die wissenschaftliche Forschung, sondern gerade auch für Leser, die Zweigs literarische Texte nicht kennen, von Interesse. Da dieses Leben fast 100 Jahre überspannte, kann in diesem Text wie auch in seinen Dramen immer auch ein Zeitalter besichtigt werden.

Titelbild

Max Zweig: Werke in Einzelbänden. Band 6. Autobiographisches und verstreute Schriften aus dem Nachlass.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Eva Reichmann.
Igel Verlag, Oldenburg 2002.
456 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3896211552

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