Keine Staatsdichterin

Pia Janke stellt mit StudentInnen einen beieindruckenden Faksimile-Band mit Dokumenten zum von Elfriede Jelinek beschmutzten Nest Österreich zusammen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Menschlich gesehen" bestehe ihr "Gespeibsel" aus "ihrem sauren Achselschweiß und ihrer Pisse", befand Sebastian Leitner in Wiener "Kurier". Ein anderer, Günther Nenning, ließ sich in der "Neuen Kronen Zeitung" offenbar von dem plump-vertraulichen und zugleich infantilisierenden Tonfall inspirieren, den Hans Weigel 1958 in einem offenen Brief gegen Ingeborg Bachmanns politisches Engagement angeschlagen hatte. "Jetzt sag einmal, was ist dir denn da eingefallen", fragt Nenning mit deutlich sichtbarem Kopfschütteln die "liebe Elfriede" in einem Kommentar, um ihr wie ein gut- und langmütiger väterlicher Freund einer unreifen Göre mit einem Rat zur Seite zu stehen: "Jetzt setz dich einmal ruhig hin und denk nach oder fühl nach. Ohne dass dir gleich wieder wer was in die Ohren bläst." Sein Appell ist fast schon ein Ausbund an Kreativität, denn gemeinhin wird die Delinquentin einfallslos als "Nestbeschmutzerin" und "Pornographin" diffamiert oder als Kommunistin geschmäht. Auch die windigen Reimereien, mit denen sie von Wolf Martin in der "Neuen Kronen Zeitung" wiederholt aufs Korn genommen wurde, zeichnen sich nicht gerade durch stilistische Eleganz, geschweige denn durch Ideenreichtum aus.

Die Verbalinjurien und Ehrabschneidungen galten, wie unschwer zu erraten ist, Elfriede Jelinek. Dass die gelegentlich für EMMA schreibende Autorin und langjährige Mitarbeiterin der (bedauerlicherweise längst eingestellten) feministischen Zeit- und Streitschrift "Die schwarze Botin" in den dokumentierten Texten nicht auch als "Emanze" und "Männerhasserin" attackiert wird, ist wohl nur darauf zurückzuführen, dass der Band, dem die Zitate entnommen sind, sich ganz auf das Thema "Jelinek und Österreich" konzentriert.

Pia Janke, hat ihn gemeinsam mit den Studierenden eines Seminars am Institut für Germanistik der Universität Wien zusammengestellt und eine Dokumentation von meist faksimilierten Primärtexten vorgelegt, von der sie zurecht sagt, dass sie den österreichischen Diskurs über Jelinek "hör- und sichtbar" macht und somit "die Verfasstheit der österreichischen Öffentlichkeit, des Niveaus des öffentlichen Diskurses wie der Mentalität des Landes" deutlich werden lässt. Indem das Buch Jelineks politische Texte zu Österreich in deren Kontext dokumentiert macht es zugleich den "grundlegenden sprachkritischen Ansatz" der streitbaren Autorin deutlich, einer Basis ihrer Arbeit, der Sprachanalyse "immer auch als Mittel der Gesellschaftskritik" dient.

Die in dem Band vorgelegten Ergebnisse einer beeindruckenden Rechercheleistung stellen einen nicht zu unterschätzenden Fundus an Quellenmaterial für weitere Forschungen bereit. Doch lädt das Buch auch jenseits jeden wissenschaftlichen Interesses zum Blättern und zu gelegentlicher Lektüre ein. Man kann dann etwa nachlesen, dass Jelinek 1969 per Flugblatt im verquasten Ton der damaligen Zeit zur Zerschlagung des "Twen-Shops" aufgerufen hatte, ihren Ein- und Austritt in die respektive aus der KPÖ mitverfolgen und aus einem Interview, das sie 1987 dem "Arbeiterkampf" gegeben hat, erfahren, dass die 'Nestbeschmutzerin' "gar keine Staatsdichterin" sein möchte, "kein Grass, kein Böll". So möchte sie gar nicht werden.

Titelbild

Pia Janke (Hg.): Die Nestbeschmutzerin. Jelinek & Österreich.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2002.
252 Seiten, 39,50 EUR.
ISBN-10: 3902144416

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