Die Kultur als Fortsetzung der Natur mit anderen Mitteln

Doris Bischof-Köhler auf der Suche nach der Natur psychischer Geschlechtsunterschiede

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was Machos, Macker, Chauvis und überhaupt Frauenfeinde jeglicher Couleur schon immer wussten, aber seit längerem kaum noch zu sagen wagen, wird nun von einer Frau nicht nur ausgesprochen, sondern als wissenschaftlich fundiert nobilitiert: Frauen sind "von Natur aus anders", sie neigen zur Unterwürfigkeit und beten dominante Männer an, sie sind "eher für das seelische Wohlbefinden zuständig" und erlangen eine "tiefe Befriedigung in der Kinderbetreuung", außerdem sind sie weniger eifersüchtig als Männer. Zudem ist "die von den unterschiedlichen Fortpflanzungsfunktionen der Geschlechter nahegelegte Aufgabenteilung der Familie" von der Natur "vorgezeichnet". Bei Lichte betrachtet entspricht die Vielweiberei der menschlichen Natur immer noch am besten, oder wie die Entwicklungspsychologin Doris Bischof-Köhler weniger provokativ formuliert: "biologisch dem Menschen affiner als die Monogamie dürfte die Polygynie sein".

Das sind pointiert zusammengefasst die von Bischof-Köhler in ihrem Buch über die "Psychologie der Geschlechtsunterschiede" vertretenen Thesen zur Geschlechterdifferenz. Dabei legt sie allerdings Wert auf die Feststellung, dass es sich hierbei nur um deskriptive, keinesfalls jedoch um normative Aussagen handelt, und dass "Naturgegebenheiten" grundsätzlich nicht zur Begründung moralischer Normen dienen können. So ist es den Menschen auch, wie sie ohne weiteres zugesteht, durchaus möglich, der Natur zuwiderzuhandeln. Doch folgt ihre Warnung auf dem Fuß: "Auch wenn die Natur nichts erzwingt, so fordert sie doch ihren Preis", orakelt die Autorin düster, auf dass die von Natur aus ängstlichen Frauen diese Gefahr scheuen mögen. Gleichwohl versäumt sie nicht zu versichern, dass die Befürchtung, "Anlageunterschiede" könnten "missbraucht" werden, um die Diskriminierung von Frauen zu legitimieren, "gar nicht ernst genug genommen" werden könne. So sehr scheint sie diese Gefahr dann allerdings auch wieder nicht zu beunruhigen, belässt sie es doch bei dieser einen beiläufigen Anmerkung und richtet sodann ihre ganze polemische Kraft gegen Feministinnen, DekonstruktivistInnen und Gender Studies betreibende WissenschaftlerInnen - allesamt für die Autorin nicht viel mehr als "Emanzipations-Fundamentalistinnen", und "Weltverbesserer" die stets "rasch bereit" sind, "die Verdammten dieser Erde notfalls auch zu ihrem Glück zu zwingen", und die mittels der "kollektiven Zwangsneurose" Political correctness bereits heute eine "an Meinungsterror grenzende soziale Kontrolle" ausüben, so dass sich "manche Frauen" schon gar nicht mehr trauen zuzugeben, "wieviel Spaß" es ihnen eigentlich macht "'nur' Hausfrau" zu sein.

Ungeachtet ihrer eigenen Polemiken und Anfeindungen klagt Bischof-Köhler wiederholt darüber, dass die Diskussion zwischen "Umwelttheoretikern" und BiologInnen "durch den unbeherrschten Zwang vergiftet" sei, "die Gegenseite zu verteufeln", wobei sie die Schuld allerdings alleine bei den "politisch korrekte[n], aber in bezug auf Tierkenntnis eher ahnungslose[n] Sozialwissenschaftler[n]" ausmacht. Ohne weitere Belege bezichtigt sie Soziologinnen, Germanistinnen und KulturwissenschaftlInnen an einem "antibiologischen Affekt" zu leiden. Auf Seiten der BiologInnen erkennt sie hingegen "keine vergleichbare Voreingenommenheit".

"Wo Wissen fehlt, stellen sich leicht Zerrbilder ein, die sich dann unschwer ins Lächerliche ziehen lassen", stellt die Autorin ganz richtig fest, und steht nicht an, einen - wenn auch unfreiwilligen, so doch um so überzeugenderen - Beleg zu liefern, indem sie soziologisch-konstruktivistische Theorien mit denjenigen des diskurstheoretischen Dekonstruktivismus vermengt und letzterem eine Argumentation andichtet, der zufolge, "geeignete 'Dekonstruktionen'" bestehende Verhaltensunterschiede der Geschlechter "ohne weiteres zum Verschwinden" bringen können. Die "postmoderne[n] Regie-Egomanen" seien nämlich der Auffassung "Geschlechterrollen ließen sich ohne Energieaufwand beliebig 'inszenieren'". Das ist ungefähr so zutreffend wie die Behauptung, Bischof-Köhler vertrete ihrerseits die These, Menschen seien nichts weiter als durch ihr Geschlecht vorprogrammierte biologische Maschinen, bar jeder Wahlfreiheit des Verhaltens. Allerdings bedient sich Bischof-Köhler tatsächlich schon mal der Metapher der Programmierung und schreibt, dass "der Mann, der eine gut aussehende jugendliche Frau einer älteren vorzieht", einer "unbewusst wirkende[n] Neigung" folgt, die "uns einprogrammiert" ist. Diese Metapher ist zumindest unglücklich gewählt. Durch den Gebrauch des Personalpronomens "uns" sticht zu dem nicht nur ins Auge, wie sehr sich die Autorin mit dem männlichen Geschlecht identifiziert, sondern auch, dass sie den Mann kurzerhand mit dem Menschen schlechthin gleichsetzt - oder sollte Frauen diese Neigung zu jungen Frauen ebenfalls einprogrammiert sein?

Überdies krankt Bischof-Köhlers Kritik an missliebigen Ansätzen daran, dass sie nicht immer auf der Höhe des aktuellen Diskurses ist, was sich etwa darin niederschlägt, dass sie glaubt, alles, "was heute 'gender studies' heißt" und "den Blick über den engen Zaun der Sozialisationstheorie hinaus auch auf das biologische Umfeld zu richten wagt", durch eine kurze Auseinandersetzung mit einem von Carol Hagemann-White 1984 veröffentlichten Buch erledigen zu können. Schon die implizite Annahme, das eigentliche Betätigungsfeld der Gender Studies sei die Sozialisationstheorie, ruft Verwunderung hervor. Auch scheint Bischof-Köhler Gender Studies betreibende WissenschaftlerInnen aus anderen Disziplinen nicht zu kennen. So sucht man nicht nur vergebens nach einer bloßen Erwähnung der wichtigsten Gender-Theoretikerin des letzten Dezenniums, der Philosophin Judith Butler. Ebenso unbekannt scheinen der Autorin die Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway, die Biologin und Wissenschaftstheoretikerin Evelyn Fox Keller oder die Molekularbiologin Anne Fausto-Sterling zu sein - sie alle betreiben Gender Studies und sind in den letzten Jahren mit relevanten Werken im Gebiet des "biologischen Umfeldes" hervorgetreten. Ungenannt bleibt auch Carmen Gransee - nun tatsächlich einmal eine Sozialwissenschaftlerin - mit ihrer Arbeit "Zum Problem identitätslogischer Konstruktionen von 'Natur' und 'Geschlecht'". Solche Desiderate wiegen umso schwerer, als die Autorin mit dem nicht gerade bescheidenen Anspruch antritt, "alles zusammenzutragen, was man wissen sollte, wenn man eine gerechte Lösung für das Zusammenleben und die Verwirklichung der Geschlechter sucht". (Hervorhebung R. L.) Immerhin wird an einer Stelle positiv auf jüngere Forschungen von Ilse Lenz bezug genommen; dies allerdings ohne den Lesenden zu verraten, dass die - bei Bischof-Köhler als Ethnologin auftretende - Soziologin Gender Studies betreibt.

Neben der mangelhaften Kenntnis des Gender-Diskurses im ausgehenden 20. Jahrhundert fällt auch die erkenntnistheoretische Unbedarftheit der Autorin ins Auge, welche die Frage nach der Erkennbarkeit von Natur gar nicht erst aufkommen lässt. Mit solchen erkenntnistheoretischen Mängel gehen fast notwendig bestimmte wissenschaftstheoretische Probleme einher. So fragt es sich etwa, ob eine Theorie, die - wie die Autorin betont - durch ein Gegenbeispiel nicht widerlegt werden kann, dem weithin anerkannten Kriterium Karl Poppers entspricht, dem zufolge eine notwendige Bedingung von wissenschaftlichen Thesen ihre prinzipielle Falsifizierbarkeit ist. Um genau solch eine Theorie handelt es sich aber bei der Annahme einer geschlechtsspezifischen "Veranlagung", die zugesteht, dass es Einzelnen stets möglich ist, gegen diese "Disposition" zu handeln. Denn wenn dem so ist, kann ihr jeder Einzelne entgegen handeln. Und somit können es letztlich alle. Wie groß ihre Anzahl auch immer sein mag, die Theorie der ererbten Disposition kann sich hiervon unbeeinträchtigt fühlen. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass es einer Erklärung bedarf, wenn ein "bestimmtes Muster" geschlechtsspezifischen Verhaltens "auffallend häufig wiederkehrt". Ob die Annahme einer natürlichen Disposition jedoch eine Erklärung ist, die Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit und somit der Wissenschaftlichkeit erfüllt, ist zumindest fraglich.

Bevor die Autorin in den Abschnitten "Die biologische Begründung der Geschlechtsunterschiede und ihre Evidenz" und "Interaktion biologischer und soziokultureller Faktoren" den Versuch einer biologischen Letztbegründung dafür unternimmt, dass Frauen und Männer "von vornherein in ihren Interessen und Motiven, im Stil ihrer Emotionalität und - was noch am unwichtigsten ist - auch auf dem Begabungssektor verschieden angelegt sind", und dass demzufolge die Kultur nur "nachzeichnet und akzentuiert, was die Natur vorgibt", wobei die Sozialisation den natürlichen Dispositionen allenfalls "da und dort noch unterstützend nachhilft", verwirft sie drei "geschlechtsrollenbezogene Sozialisationstheorien" als falsch und unzulänglich. Es ist dies zunächst die psychoanalytische Theorie Freuds, über dessen "Anhängerschaft" die Lesenden nebenbei belehrt werden, dass sie dazu neige, "seine Worte prinzipiell für verbindlich zu halten", sodann lerntheoretische Erklärungsansätze und schließlich die Theorie der Geschlechtsrollenübernahme des kognitivistischen Ansatzes von Lawrence Kohlberg.

Ihre These, dass sich die psychologischen Dispositionen der Geschlechter voneinander unterscheiden, "noch bevor wir darüber nachdenken oder an ihnen herumerziehen", versucht die Autorin zum einen entwicklungspsychologisch zu belegen und zum anderen evolutionsbiologisch zu erklären. Diese geschlechtsspezifischen Dispositionen machten sich vom Tage der Geburt an bemerkbar, ja sogar schon pränatal - schließlich, so die Autorin, strampeln männliche Föten mehr als weibliche. Zum Nachweis des natürlichen Unterschiedes zieht sie überwiegend experimentelle Beobachtungen aus den ersten beiden Lebensjahren von Jungen und Mädchen heran. So kommt sie zu der "Befundlage", dass Jungen bereits in den "ersten Lebenstagen" länger schreien, "reizbarer" und "schlechter zu beruhigen" sind, dass sie darüber hinaus leichter erschrecken, emotional "labiler" sind und überhaupt schneller in einen "Zustand der Übererregtheit und Überdrehtheit" geraten. Bereits im Alter von sechs Monaten gebe es bei Jungen "erste Anzeichen für die Durchsetzungsorientiertheit, die später für das männliche Geschlecht kennzeichnend" sei. Im Alter von sechs Monaten seien die Jungen zudem "weniger ängstlich". (Der Widerspruch zur stärkeren Schreckhaftigkeit der Jungen in den ersten Lebenswochen wird nicht thematisiert.) Mädchen besäßen hingegen "vom ersten Tag an" eine "höhere Kontaktbereitschaft" und signalisierten "größere Nähe". Sie seien also von Geburt an "sensibler" für "Emotionsäußerungen von anderen". Daher sei es falsch anzunehmen, das unterschiedliche Verhalten von Jungen und Mädchen sei auf eine geschlechtsspezifische Erziehung zurückzuführen. Vielmehr würden sie von ihren "Eltern und Erzieher" unterschiedlich behandelten, weil sie es durch ein "unterschiedliches Verhaltensangebot" provozierten. Denn der "Anlagefaktor" sorge dafür, dass das Geschlecht "vom Beginn unseres Lebens an schon Weichen" stelle, "die uns in eine naturgegebene Polarisation gleiten" lassen.

Zur Erklärung dieses Befundes nimmt Bischof-Köhler die "'biologische' Perspektive" ein und betrachtet die Organismen, "unter Einschluss aller ihrer Lebensäußerung", auf ihre "Eignung" hin, "über den Zeitpunkt des Todes hinaus in künftige Generationen Kopien ihres Bauplans zu hinterlassen". Denn die "ultima ratio jedes Lebewesens" sei , "in möglichst vielen und möglichst überlebenstauglichen Nachkommen weiter zu existieren". Zweifellos ein Tunnelblick. Betreibt sie hier ihrerseits doch gerade eine monokausale Erklärungsstrategie, deren Form sie zuvor bei GeisteswissenschaftlerInnen moniert hat.

Die geschlechtsspezifischen Verhaltensdispositionen wurden, so die Sichtweise aus biologischer Perspektive, "in einer halben Jahrmilliarde" durch die "asymmetrische parentale Investition" "herangezüchtet", die sich wiederum aus den unterschiedlichen biologischen Funktionen von Männern und Frauen bei der Fortpflanzung erklären lasse. Die Prima causa aller Geschlechtsunterschiede findet die Autorin schließlich darin, dass sich die Keimzellen im Laufe der Evolution in zwei unterschiedliche "Varianten" ausdifferenziert haben: eine "extrem mobile von kurzer Vitalität" und eine "energiereiche, die ihre Beweglichkeit geopfert hat". Da die Individuen einer Spezies "nur je eine Sorte" dieser Keimzellen produzieren können, müssen sich diese unterschiedlichen "Morphen" nicht nur "in anderen anatomischen Merkmalen" sondern auch in all den geschilderten "Verhaltensbereitschaften" unterscheiden.

Ihre "anthropogenetische Argumentation", so gesteht die Autorin zu, bleibt "notgedrungen hypothetisch". Daher geht es ihr lediglich um die Frage, ob "evolutionsbiologisch begründete Merkmalsausstattungen" "abgezüchtet" worden sein könnten. Die "verfügbare Evidenz", so Bischof-Köhler, genügt jedoch, "um dies als unwahrscheinlich erkennen zu lassen".

Berücksichtige man die vorgelegten Befunde, so gelange man zu der Einsicht, dass "die traditionelle weibliche Rolle" eine "echte Alternative" zu allen verfehlten Emanzipationsbestrebungen sei und zumindest einem Teil der Frauen "wirkliche Zufriedenheit und Erfüllung" geben könne. Sprächen die "phylogenetische[n] Argumente" doch eindeutig für eine "stärkere fürsorgliche Disposition" von Frauen. Daher schenke ihnen gerade ihre "Fürsorglichkeit", die "Pflege persönlicher Beziehungen" und vor allem die "Verantwortung für das Wohlergehen und die seelische Verfassung anderer" ein "gesundes Selbstbewusstsein". Eine Terminologie, deren Konnotationen entgegen aller Beteuerungen, präskriptiv, nicht jedoch normativ argumentieren zu wollen, eindeutige Wertungen enthalten.

Auch verrät Bischof-Köhler den Leserinnen, die bis zum Schluss durchhalten, dann doch noch einen Preis, den emanzipationswillige Frauen, der Natur zu entrichten haben, wenn sie es wagen, gegen deren Stachel löcken: Es geht auf Kosten ihrer sexuellen Befriedigung. Denn Männer, die mit "energischen und recht dominanten" Frauen zusammenleben, seien oft impotent. "Wenn wir also unbedingt die Herrschaft der Männer abschaffen wollen", so warnt sie mit erhobenem Zeigefinger, "dann schadet es nichts, auch einmal zu fragen, ob wir 'Schlaffis' eigentlich erotisch attraktiver fänden".


Titelbild

Doris Bischof-Köhler: Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2002.
432 Seiten, 27,00 EUR.
ISBN-10: 3170167499

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