Ein Tusch für Robert Gernhardt

Die Neue Frankfurter Schule feierte mit 800 Gästen den Jubilar

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

"Um den Dichter Max Gutmann zu ehren, las das Publikum ihm neulich aus seinen Werken vor." Hans Traxlers Cartoon einer "interaktiven Dichterlesung" (aus "Das fromme Krokodil", 2001) zeigt Dichter Gutmann, gelassen-konzentriert auf einer Bühne sitzend, vor ihm seine Gemeinde, im Chor seine Werke skandierend. Am 5. Dezember 2002 ließ sich Traxler, 'Elder Artsman' der Neuen Frankfurter Schule, zu der schönen Idee inspirieren, seinen Cartoon auf Robert Gernhardt anzuwenden: Auf der Bühne also saß Gernhardt, im Publikum 800 Fans, und gemeinsam lasen sie ihm sein berühmtes "Gebet" vor, im Kanon sogar:

"Lieber Gott, nimm es hin,
dass ich was Besondres bin.
Und gibt ruhig einmal zu,
dass ich klüger bin als du.
Preise künftig meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas. Amen."

Das hatte was, wie es überhaupt ein Abend der ungewöhnlichen Art wurde. Doch der Reihe nach: Heiner Boehncke, Literaturredakteur des Hessischen Rundfunks und im Bandenwesen erfahren, führte die NFS durch das kurzweilige Zwei-Stunden-Programm. Ein "Dehn- und Dauertusch" voller Höhenflüge und Kapriolen sollte es werden, musikalisch geerdet vom Neuen Frankfurter Schulorchester um Anne Bärenz (Klavier) und Frank Wolff (Cello). Markus Neumeyer mimte Patrick Lindner ("Ich freu' mich") und intonierte zu Beginn mit glockenheller Stimme und hinreißender Theatralik Gernhardts Liedfragment "Zum Muttertag". Ali Neander zupfte und schlug dazu die Gitarre.

Sodann kam Bernd Eilert mit einer Steilvorlage, die noch einmal deutlich machte, wofür die Neue Frankfurter Schule steht: Sein Beitrag sprach von der Korrespondenz, die der junge und noch unbekannte G mit den großen Lyrikern der deutschen Literaturgeschichte geführt habe, mit Benn, Brecht, Celan, Rühmkorf, Bachmann, Heine, Trakl, Hofmannsthal, Gryphius, Eichendorff, Hölderlin, Platen und Goethe, und ließ - formal vollendet - alle Geschmacksbarrieren hinter sich. Sodann trug Peter Knorr kunstvoll frankfurtisch "Erna, der Baum nadelt" vor, ein Minidrama, das vor 30 Jahren in Gernhardts Privatwohnung in der Telemannstraße 15 entstand und sich, vor fünf Jahren erst wiederentdeckt, mittlerweile einen festen Platz auf den vorweihnachtlich sortierten Büchertischen der Buchhandlungen erobert hat. Uli Stein, Winzer und häufiger Gastgeber der NFS in Haus "Waldfrieden" im Moselland, präsentierte einen Rekord-Riesling "mit Etikett", gestaltet von Gernhardt. F. K. Waechter erinnerte sich im melancholischen Falsett an die Aufbruchsjahre Anfang der 60er, als der harte Kern um Waechter, Weigle und Gernhardt weißes Papier besudelte: "Ihm verdanke ich so etwas wie einen Kulturschock [...]. denn er und Fritz Weigle haben mein Leben geändert, mich zu einer Kurskorrektur von 180 Grad bewogen. Bis dahin hatte mich der anständige, langweilige, brave, ernste und verlogene Nachkriegsgeist dermaßen untergebuttert, dass nichts mehr von mir übrig war. Dort aber, in den Wagner- und Wielandecks, in der Sportzentrale Nordend, im Mentz, Rotlind-Café oder Koselstübchen, ist wieder Leben aufgekeimt, unanständig, aufregend, frech, unernst und wahr." Das Jahr 1964 habe sein Leben verändert, und noch heute spüre er, welche Kraft im Geist von Arnold Hau stecke, dem ersten Gemeinschaftsbuch von Gernhardt, Waechter und Weigle.

Der Hessische Rundfunk trug Kostproben aus 30 Jahren Kooperation mit Gernhardt bei, darunter Hörschnipsel aus "Dr. Seltsams Sonntagssortiment", einer Funkserie aus dem Jahre 1971. Die Tonkonserven präsentierten einen jugendlichen Gernhardt mit "Südpol-Mädchen", "Was bietet uns Weihnachten", "Ein Sprung in die Falle" und "Nichttrinklied". Der anarchische Witz der frühen "WimS"-Jahre kam auch in den beiden Bearbeitungen durch das Neue Frankfurter Schulorchester zum Ausdruck: "'Niemals!', schrie der zweite Baß" sowie "Monolog des Prinzen von Hamburg".

Hans Traxler verband seine Hommage à Gernhardt mit der Entstehungsgeschichte seines Gutmann-Cartoons, ehe F. W. Bernstein dem "Gebet" eine Predigt folgen ließ. Außerdem übermittelte Bernstein alias Fritz Weigle einen fernen Gruß des verhinderten Harry Rowohlt aus der Eppendorfer Landstraße:

"Ich bin ein später Gast,
und wenn euch das nicht paßt,
macht euch auf was gefaßt."

Oliver Maria Schmitt, ein junges Gemüse aus dem NFS-Nachwuchskader "Titanic", verlas Gernhardts frühen autobiographischen Text "Ich über mich" von 1972, ein Stück Memoirenliteratur "vom Wunderkind zum Spätentwickler", gefolgt wiederum vom Frankfurter Schulorchester, das Gernhardts Wilhelm-Busch-Paraphrase "Das Attentat oder Ein Streich von Pat und Doris" musikalisch aufführte.

Abschließend gab es für Gernhardt Gelegenheit zum Dank, Dank für diese "ungemein fettfreie Feier". Der so Geehrte erinnerte an die Feierlichkeiten zu Detlev von Liliencrons 60. Geburtstag im Jahre 1904, welche Züge eines Volksfestes annahmen und sich über Tage und Wochen erstreckten. Der Gernhardt-Abend blieb unter den Liliencron-Rekorden, obwohl der Autor in diesen Tagen nicht nur seinen 65. Geburtstag, sondern auch sein 40jähriges Publikationsjubiläum feiert. Die ersten Beiträge aus der "Pardon" von 1962, damalige Vorschläge für ein zeitgemäßes Lesebuch für die zweite Klasse, kamen hier erneut zur Geltung, taufrisch wie eh und je.