Eine Vielzahl von Sünden

Neue Erzählungen von Richard Ford

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was erwartet man von dem neuen Buch eines Autors, dessen vorherige Bücher man so genüsslich, mitfühlend und bewundernd gelesen hat? Was kann man davon erwarten? Es möge das fortsetzen, was man kennen und schätzen gelernt hat. Mindestens das! Oder das Bekannte gar noch übertreffen. Solche Haltungen können sich aufbauen bei einem Schriftsteller wie Richard Ford, der in den 80er Jahren mit dem Roman "Der Sportreporter", mit Novellen, wie "Der Frauenheld" und dem Geschichtenband "Rock Springs" erste begeisterte Leser fand. Und der dann in den 90er Jahren für seinen monumentalen Roman "Unabhängigkeitstag" höchstes Lob erhielt und wahre Begeisterung auslöste.

Vier Jahre nach seiner vorerst letzten Veröffentlichung liegen nun zehn Erzählungen unter dem Titel "Eine Vielzahl von Sünden" vor. Erzählungen können nicht mit einem Roman verglichen werden, vor allem dann nicht, wenn sie, wie im neuesten Buch Fords, um ein Thema kreisen. Um das Thema des Ehebruchs, der Untreue, des Fremdgehens. Erfahren, ja abgeklärt schreibt sich Ford an diesen literarischen und psychologischen Topos heran, der immer wieder Gegenstand seiner Bücher war. Doch gerade diese Abgeklärtheit scheint dazu zu führen, dass manche Geschichten eigenartig unscharf bleiben, die Figuren und ihre Gefühle und Handlungen reißbrettartig wirken und den Leser nicht in Bann zu ziehen vermögen. Romanen, zumal sehr umfangreichen, sieht man die eine oder andere langwierige oder weniger mitreißende Passage eher nach, bei der Beurteilung einer Erzählung gelten strengere Kriterien. Deswegen kann ein Erzählungsband auch nicht als Summe seiner Teile bewertet werden. Vielmehr muss das Augenmerk den einzelnen Texten gelten. Und hier kommt dann der Leser durchaus auf seine Kosten, so z. B. bei der Erzählung "Unter dem Radar". Darin erzählt Richard Ford auf bezwingende Weise, wie eine junge Frau ihrem Mann auf der Fahrt zu einem Abendessen bei Bekannten gesteht, mit dem Gastgeber eine Affäre gehabt zu haben. Der Mann hält am Straßenrand an, und die Szene im Wagen wird so beklemmend und bedrohlich, dass sie fast bildlich wird. Von diesen großen Momenten gibt es leider nicht allzu viele in "Eine Vielzahl von Sünden", das Buch wäre möglicherweise besser geworden, hätte man auf den einen oder anderen Text verzichtet.

Richard Ford, dessen Nähe zu Raymond Carver hier einmal mehr deutlich wird und der fraglos einer der wichtigen amerikanischen Gegenwartsautoren ist, hat ein etwas schwächeres Buch vorgelegt, die Erwartungen an das nächste werden dadurch nicht geringer.

Titelbild

Richard Ford: Eine Vielzahl von Sünden. Storys.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Frank Heibert.
Berlin Verlag, Berlin 2002.
381 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3827000645

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