Ohne abgespreizten Kleinfinger

Steffen Jacobs Gedichtband "Angebot freundlicher Übernahme"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1968 in Düsseldorf geborene Steffen Jacobs hat nicht nur mit seinen ersten beiden Gedichtbänden "Der Alltag des Abenteurers" und "Geschulte Monade" auf sich aufmerksam gemacht, bekannt und geschätzt wurde vor allem seine "Lyrische Visite", die er unter dem Pseudonym Jakob Stephan veröffentlichte. Darin bewertete er scharfsinnig und gewitzt Neuerscheinungen der Poesie, im Urteil unbestechlich, stets amüsant und lustvoll. Die Kollegenschelte war zuweilen ungerecht, manchmal aber auch ein Dienst am Leser. Durs Grünbeins Sprachvermögen und Beobachtungsgabe etwa seien in "Nach den Satiren" "in Blendwerk verpufft, an Angebereien verschenkt" und über einige Gedichte Raoul Schrotts, der "mit seinem Hang zur Sprachpreziose doch selbst wie ein Epigone Grünbeins" töne, hieß es, "Verse, wie mit abgespreiztem Kleinfinger geschrieben." Nun hat Jacobs selbst wieder gedichtet und sein "Angebot freundlicher Übernahme" vorgelegt, das es zu begutachten gilt. Schade allerdings, dass der inzwischen in Berlin lebende Lyrik-Doktor nicht die eigenen Werke beurteilt.

Vorangestellt sind dem Band Verse W. H. Audens, die das Ziel Jacobs andeuten, das zu einem Paradoxon verkürzt darin liegen könnte, süß und doch gefährlich seinen Gesang anzustimmen, um das zornige Herz zu tadeln und zu entzücken. Wurde durch das Motto in "Geschulte Monade" das augenblickhafte Leben in Versen Johann Christian Günthers gepriesen, stehen nun Tonlage und Zweck der Poesie im Vordergrund. Wie in den vorangegangenen Gedichtbänden ist dies selten ein hoher, bildungsgesättigter Ton, der den Leser beeindrucken und belehren will. Jacobs schlägt vielmehr leisere Töne an, versteigt sich in Absurditäten, bleibt offensichtlich an der Oberfläche, und hat dabei doch längst ein tieferes Areal erreicht, als es der einfache Stil glauben machen will. Was sich scheinbar so leicht erschließt und erklärt, ist meist verspielt und hintergründig angerichtet. Die Alltagsbeobachtung, Erotisches, Poetologisches und gar (Un-)Politisches teilt sich in den Gedichten mit, die in ihren Assonanzen und Reimen originell und vergnüglich über manche Ernsthaftigkeit hinwegtäuschen. Sind Philip Larkin und Charles Simic als Vorbilder Jacobs in Zitaten kenntlich gemacht, schleicht sich der Humor der Neuen Frankfurter Schule um F. W. Bernstein und Robert Gernhardt unauffälliger in seine Verse. So leiht sich Jacobs von Gernhardt das entschiedene "Dreimal nein", das Gernhardt ironisch dem berühmten und oft missverstandenen Adorno'schen Gedichtverbot nach Auschwitz entgegenhielt, und Jacobs dient es in seinem Zyklus "Ready Made" über die "Stiftung Stabreim" - Topographie des Terrors - als Antwort auf die Frage, "darf Bauen am Ort der Täter, / darf Kauen am Tort der Väter, darf Wabern, Rhabarbern, Labern / vielleicht, eventuell sein. // Aber ich dabei?"

Dem Band Jacobs ist zusätzlich eine CD beigelegt, die eine Lesung des Autors präsentiert. Besonders Kabinettstückchen wie "Par Avion", das mit deutsch-französischen Klischees und Ausspracheschwierigkeiten spielt, werden dabei zum Genuss. Und auch dem Freund der lyrischen Visite können CD und Buch das Warten auf eine weitere Ausgabe durch das Gedicht "Bei der Lektüre einer zeitgenössischen Anthologie" verkürzen: "Ist das noch schön? / Schon Prosodie? / Gewißheit tätschelt / sanft dein Knie: / Ist weder noch - / Anthologie." Obszönes paart sich im titelgebenden Gedicht mit der Wirtschaftswelt, Philosophisches im nächsten mit dem vordergründig Banalen, und so überrascht diese Sammlung ein ums andere Mal. Freilich erscheint einem manches wie bereits dagewesen, die Ablehnung der "Ratgeber" als kalter Kaffee, dennoch findet Jacobs oft einen individuellen Ton, der, obgleich gelassen, bescheiden und manchmal tröstlich, aus der Masse der allzu ernsthaften Dichtung angenehm herauszuhören ist. Ein prägnanteres Urteil muss sich der Leser nun bei Jacobs selbst bilden, eingedenk seiner "Schlußbemerkung" in "Dichter, Leser und Gedicht": "Dichter, Leser, Leser, Dichter: / Einer sei des andern Richter, / aber nur in einer Weise: / Dichter dichte, Leser lese, / und vor allem: beide leise!".

Titelbild

Steffen Jacobs: Angebot freundlicher Übernahme. Gedichte.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2002.
127 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3861505053

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch