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Thomas Klings Gedichtband "Sondagen"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Kling erhielt 2001 den ersten Ernst-Jandl-Preis und war Laudator Friederike Mayröckers anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises. Mit dem unvergleichlichen H. C. Artmann und Friederike Mayröcker haben in den letzten Jahren zwei österreichische Dichter diese bedeutende Auszeichnung entgegenehmen dürfen, deren Einfluss auf Thomas Klings Schaffen sicherlich nicht gering eingeschätzt werden darf. Thomas Klings eigene Gedichte gelten gemeinhin als schwierig, als selbstverliebt, teils auch als "Maschinengehabe" mit viel "Selbstbeweihräucherung", wie ein Literaturwissenschaftler in einem eigens dem Autor gewidmeten Band festhielt. Sein neuer Gedichtband mit dem Titel "Sondagen" bietet nun wiederum die Gelegenheit, mit Skepsis der Spur zu folgen oder sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

Eingeleitet wird der Band mit der Fortschreibung eines Zyklus', den Kling in seinem 1996 erschienenen Werk "morsch" begonnen hat: "Manhattan Mundraum Zwei". Der erste Zyklus entwarf ein sprach- und naturgeschichtliches Panorama eines "poeta en nueva york", das Stadt und Text parallelisierte. Er lauschte dem Klang der Stadt, dem polylingualen, fauchenden Seewind, dem O-Ton der Subway oder den keuchenden Heizkörpern, mit Reminiszenzen an Majakowskij, Lorca und Toller, der sich im "stylitnhotel" erhängte, und blieb doch stets auf der Suche nach einem Quell der Sprache und Poesie, der auch im sprudelnden Hydranten zu entdecken ist. Der "stylitnwald" ist in "Manhattan Mundraum Zwei" geblieben, doch weht nun ein "leiser algorithmen-wind" über die Stadt. Die "unglücklichen augen" treten diesmal in den Vordergrund, auch wenn sie eine "augn-zerrschrift" gebrauchen, um das "septemberdatum", im Lateinischen "das gegebene", "die signatur / von der geschichte", schließlich in einer Zahlenreihe "DAS GESCHICHTSBILD MANHATTANS TO- / TER TRAKT" auszugsweise festzuhalten. Dabei verbinden sich Beobachtungen von Details und bildliche Deutungen des erschütternden Geschehens wie "schwert aus licht / rache-psalm-partikel / lichtsure niedrig" mit der hintergründigen Reflexion der medialen Inszenierung eines "loopende[n] auge[s]", das zum Zeugen wird und "alles aus / alles so gut wie aus // erster aus geloopter hand" vermittelt.

Die titelgebende Abteilung "Sondagen" schließt sich daran an, Erkundungen wiederum der Sprach- und Menschheitsgeschichte. Die berühmten Knochenfunde des Gymnasiallehrers Fuhlrott im Neanderthal, die Broca, etwas spöttisch auf das nach ihm benannte Zentrum verwiesen, für Überreste einer alten Affenart hielt, werden dabei ins Blickfeld gerückt. Wiederum interessieren Einzelheiten wie eine Geweihmaske, die zeitgeschichtlichen künstlerischen wie technischen Entwicklungen, und abermals die Präsentationen von Geschichte, wie sie sich etwa in "Archäologischer Park" manifestiert: eine Ausstellungssituation, ein penibler Beobachter und die ironisierte leibhaftige Historia, die auf den Museumsshop hinweist. Die Lesung Klings, die auf einer CD diesem Gedichtband beigegeben ist, verdeutlicht die Parodie, der plötzliche und gekonnte Wechsel von Ton und Stimmlage akzentuiert die lebhafte Szene. Doch auch durch die alleinige Lektüre lassen sich Anspielungsreichtum, Witz und Originalität in den vielschichtigen Texten zuhauf ausmachen. Immer wieder ist es die Historie, die allenthalben durchschimmert und ihren Einfluss geltend macht, sind es Stoffe des Barock, wie Kling sie seit langem beschäftigen, bildende Kunst und Hexenglaube, Alchemie und Beowulf, die griechische Antike, und nicht zuletzt ist es die eigene Umgebung, die zur Hombroich-Elegie anregt, insbesondere ihre Landschaft, durchs Insektenauge wahrgenommen. Dabei wird das Hier und Jetzt nie verleugnet, es bleibt in modernen Aufnahme- und Montagetechniken, aber auch im Umgangssprachlichen, im flapsigen Jargon, im Gedicht direkt oder indirekt aufgehoben, so dass dem Leser keine Zeitreise in Vergangenheit oder Zukunft vorgegaukelt wird. Vielmehr ergeben sich Verbindungen zwischen den Zeitebenen assoziativ, im Wortspiel oder im aufgefundenen Fachterminus eines Überbleibsels der Geschichte, der den flüchtigen Blick verharren lässt. Vielleicht ist das eine Methode Klings, das in seiner Lobrede für Friederike Mayröcker postulierte "Abscannen von Gesichtsdaten der Welt" in einer zeitgemäßen Form fortzusetzen. Sie ermöglicht gar Augenblicke der Schönheit, die von Glätte und Kitsch stets weit genug entfernt sind, zwischen plötzlichem Zeilenbruch und stockendem Rhythmus, zwischen Wespenbanner und Sommeraas. Maschinengehabe? Fortschritt? Avantgarde oder Selbstbeweihräucherung? Herrje, lesen Sie es, und zwar möglichst laut!

Titelbild

Thomas Kling: Sondagen. Gedichte.
DuMont Buchverlag, Köln 2002.
137 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3832178139

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