Wege zum Film

Benedikt Descourvières hat eine spannende kleine Einführung in die Analyse von Kriegsfilmen verfasst

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Meisterwerke der Filmgeschichte sind zweifellos Stanley Kubricks "Wege zum Ruhm" und "Full Metal Jacket". Roland Emmerichs "Independence Day" hingegen gilt als klug kalkulierter Kassenschlager. Gemeinsam haben die Filme ihr Thema - den Krieg. Entscheidend für die Bewertung der Filme ist, wie Benedekt Descourvières überzeugend darzulegen weiß, die Behandlung des Themas, und es zählt zu den überraschenden Ergebnissen der kleinen Studie, dass Emmerich dabei besser wegkommt als man vermuten würde.

Vor die Analyse hat der Autor eine kleine, aber feine, d. h. kenntnisreiche Einführung in die Filmanalyse gesetzt. Die "Stationen der Filmtheorie" gehen ins Detail und zeigen (unter anderem unter Rückgriff auf die Theatersemiotik Erika Fischer-Lichtes) auf, welche komplexen Prozesse dazu gehören, das "Superzeichen" Film zu produzieren. In Anlehnung an Theoreme Louis Althussers und Jurij M. Lotmans entwickelt Descourvières verschiedene Beschreibungsmodelle, die nicht nur den Weg zum Superzeichen, sondern auch seine Rezeption berücksichtigen.

Wenn das Genre Kriegsfilm als Unterrichtsgegenstand in den Blick genommen wird, dann in erster Linie um Möglichkeiten aufzuzeigen, Rezipienten für das kritische Potenzial der Filme zu sensibilisieren. Descourvières legt die Techniken Kubricks offen und weist nach, dass es dem Kultregisseur in erster Linie darum geht, sich verselbständigende, in Dehumanisierung mündende Machstrukturen in der als paradigmatisch 'lesbaren' US-amerikanischen Armee transparent zu machen. In den Worten des Autors am Beispiel des Klassikers "Wege zum Ruhm" von 1957 mit Kirk Douglas in der Hauptrolle: "Als inneren Feind entlarven Kubricks Filme nicht nur einzelne Generäle oder Vorgesetzte, sondern die gesamte militärische Logik, deren Problemlösungskompetenz auf der intendierten Eleminierung der vermeintlichen Problemverursacher basiert." Ein entsprechend diskurskritisches Potenzial entwickelt sogar - bei aller Unvergleichbarkeit - Emmerichs Reißer, indem er nicht den US-amerikanischen Präsidenten, sondern einige in der Gesellschaft gescheiterte Figuren die Welt vor den Aliens retten lässt.

Zuzustimmen ist Descourvières nicht nur auf die Schule bezogen, sondern ganz generell, dass das diskurskritische Potenzial von Filmen einerseits ganz offen zutage tritt, andererseits kaum bemerkt wird - weil der geschulte Blick dafür fehlt. An der Vermittlung von Lesetechniken literarischer Texte arbeiten täglich Lehrer wie Wissenschaftler, dabei ist der Film als Leitmedium den Schülern und Studierenden viel näher. Außerdem sind die Film- und die Literatursprache (wenngleich verschieden strukturiert) ähnlich komplex und es sollte möglich sein, dass von der Schulung filmischer 'Lesekompetenz' auch die Literatur profitiert, deren Vermittlung dann vielleicht weniger als Zwang erscheinen würde.

Titelbild

Benedikt Descourvières: Kriegs-Schnitte. "Wege zum Ruhm", "Full Metal Jacket" und "Independence Day" im Deutschunterricht.
Gardez Verlag, St. Augustin 2002.
100 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3897960788

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