Der Aschgraue und der Unglücksrabe

Eduardo Belgrano Rawson über das Verhältnis zwischen Mensch und Meer

Von Stefan FüllemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Füllemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines der großen Abenteuer in der Schifffahrt war und ist die Umsegelung von Kap Hoorn. Mit diesem Namen wird Vieles verbunden: Abenteuer, Wagemut und Anerkennung, aber auch Verzweiflung, Zerstörung und Tod.

In seinem Roman erzählt Eduardo Belgrano Rawson die Geschichte einer geplanten Umsegelung von Kap Hoorn in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts: Ein alter Schoner bricht im Süden Argentiniens auf, um über das Südmeer eine der schwierigsten Schiffsrouten der Welt zu befahren. Eigentlich gibt es zu diesem Zeitpunkt längst keinen Grund mehr, diese Route um Kap Hoorn mit einem Segelschiff ohne Motor zu umfahren. Dennoch machen sich ein alter wettergegerbter Seebär, den alle nur "den Grauen" nennen, dessen Frau und eine kleine Schiffsbesatzung auf große Fahrt. Schon beim Auslaufen stellt sich die Frage, wer diesen Kampf inmitten von tosenden Wellen und eiskalten Schneestürmen gewinnen wird: Die Natur oder der Mensch?

Obwohl im Roman eher eine beschreibende Perspektive eingenommen wird, berührt das Geschilderte den Leser auf eigentümliche Art. Sei es die Darstellung eines halbverdursteten Passagiers, der schon tagelang in einem kleinen Boot auf dem Meer treibt und verzweifelt, in Albträumen gefangen, mitten im blauen Nichts, auf einen Kanister mit Süßwasser hofft, sei es das Tagebuch des Kapitäns, aus dem die Ratlosigkeit erkennbar ist, die nach sechs Tagen Sturm in Folge herrscht. Während das Schiff immer weiter in Richtung Packeis treibt, trägt die rebellierende Mannschaft die Entscheidungen ihres Kapitäns nicht mehr mit. Orientierungslos treibt das Schiff von Schneestürmen getrieben inmitten von grauen Gischtschleiern und dunklen Wolken irgendwo auf dem offenen Meer vor der Küste Südamerikas. Die Stimmung auf und in dem Schiff wird zunehmend schlechter, es ist, als erlebe der Leser den Tod von Kameraden hautnah mit.

Der Kampf des Menschen gegen die Elemente der Natur und die Furcht, ist das zentrale Thema des Romans. Bei der Umsegelung von Kap Hoorn treten beide, Mensch und Meer, in unmittelbare Interaktion. Seit jeher steht das Meer aber auch für Traum und Sehnsucht, die entstehen, wenn an Bord eines Schiffes bei klarem Himmel und ruhiger See die untergehende Sonne am Horizont betrachtet wird. Doch diese Einstellung wird an Bord des Schoners angesichts der unmenschlichen äußeren Bedingungen und der Hilflosigkeit mit jedem Tag auf eine härtere Probe gestellt.

Letzten Endes überlebt im Spiel von Abenteuer, Gewalt, Verführung und Liebe nur "El Cenizo", der Kapitän. Der Rest der Mannschaft kommt auf See um. Doch "El Cenizo" hat im Spanischen nicht nur die Bedeutung "der Graue", sondern auch "der Unglücksrabe". Vielleicht der Grund, warum das Meer, welchem "der Graue" vieles verdankt, ihm am Ende alles nimmt, die Anerkennung, die Hoffnung und seine Liebe.

Titelbild

Eduardo Belgrano Rawson: Schiffbruch der Sterne. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
215 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3406471250

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