Vom Gletscher in die Ägäis

Gerald Schmickls Roman "Zweiter Durchgang"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Wenn man ohne Pause von der ersten bis zur letzten Seite mit atemberaubendem Tempo durch einen Roman jagt, sagt dies schon einiges über den Inhalt aus. Es ist jedoch keine Spannung im herkömmlichen Sinne, sondern das hier dominierende emotionale Chaos nimmt den Leser gefangen.

Autor Gerald Schmickl, im "Hauptberuf" verantwortlicher Redakteur der Wochenend-Feuilletonbeilage bei der Wiener Zeitung, versteht es, pointiert, ausgesprochen humorvoll und fesselnd zu erzählen. Kein verbaler Schnickschnack, keine ausladenden Exkurse - der 41-Jährige hat das oftmals vom Alltagsgeschäft erzwungene journalistische Gebot zur Kürze auch in seinem Roman umgesetzt.

Schmickl beschreibt zwei parallel verlaufende Lebenskrisen, eine zunächst nur noch der Gewohnheit gehorchende Ehe, und wirft bitterböse Blicke in die Welten von Sport, Journalismus und Esoterik.

Hauptfiguren sind der Sportjournalist Henryk Sieber, dessen Ehefrau Esther, die von einer Formkrise geplagte alpine Skirennläuferin Lea Vogl sowie ein guruhafter Mentaltrainer namens Phil Aurora und dessen Assistentin Saskia. Zwischen diesen fünf Personen knüpft Schmickl kunstvoll emotionale Knoten.

Sieber, der Leas sportlichen Fall in den Weltcuprennen journalistisch begleitet hat ("wir sind die Hofnarren und Pausenclowns"), sitzt zu Beginn der Handlung in einem Fußballstadion und avisiert seiner Ehefrau, der Kunsthistorikerin Esther, via Handy freudestrahlend ein freies Wochenende. Doch Esther hat bereits ein Seminar bei Phil gebucht. Unwirsch begleitet Sieber seine Ehefrau. Er hält Phils Vorträge über Leber, Herz- und andere Meridiane, die für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit verantwortlich sein sollen, zunächst für Scharlatanerie und Geldschneiderei.

Als sich jedoch eine deutliche Linderung seiner permanenten Rückenschmerzen einstellt und sie sich beim alten schottischen Whisky auch menschlich näher kommen, verfällt Sieber der folgenreichen Idee, den "Guru" mit der von Erfolglosigkeit heimgesuchten einstigen Vorzeige-Skirennläuferin Lea Vogl bekannt zu machen.

Damit löst der Journalist eine wahre Lawine aus. Seine Ehefrau wird rasend eifersüchtig, Phils Assistentin Saskia versucht die Zusammenarbeit mit der Sportlerin zu boykottieren, und Henryk selbst verliert immer mehr die notwendige kritische Distanz zu der eigenwilligen Sportlerin, die nach harschen verbalen Ausrutschern aus der österreichischen Nationalmannschaft ausgeschlossen wird.

Lea Vogl kehrt zwar mit einer chilenischen Lizenz in den alpinen Zirkus zurück, doch Sieber gerät immer stärker in einen Interessenskonflikt zwischen Beruf und privater Hilfestellung für die Rennläuferin, die von der österreichischen Presse als "Landesverräterin" gegeißelt wird. Einst gefeierter Star - nun weiblicher Prügelknabe der Nation, die Mediengesellschaft verlangt nach skandalträchtigen Schlagzeilen. Als in einem Konkurrenzblatt ein Foto von Sieber an Leas Seite veröffentlicht wird, verliert er seinen mit vielen Reisen verbundenen Job in der Sportredaktion und wird in die vorhäölle des Internetressorts strafversetzt.

Nach anfänglichen Misserfolgen kehrt Lea wieder in die Erfolgsspur zurück. Wie groß Phils Anteil am Comeback war, darüber lässt sich (aus gutem Grund) nur spekulieren. Durch einen folgenschweren Autounfall, bei dem fast die komplette österreichische Konkurrenz außer Gefecht gesetzt wird, erhält Lea Vogl doch wieder die Möglichkeit, bei den Olympischen Spielen für ihr Heimatland zu starten. Sieber reist als Privatmann nach Frankreich und erlebt hautnah den nervenraufreibenden zweiten Durchgang, der die ersehnte Goldmedaille beschert.

Alles fügt sich: der kunterbunte Medienrummel, die burschikose Hemdsärmeligkeit der Sportjournalisten, die wankelmütigen Funktionäre, die Schwärmerei für eine junge Sportlerin, und nicht zuletzt die beinahe unterwürfige Hörigkeit der Esoterik-Jünger.

Am Ende stehen alle wichtigen Figuren vor einem Neuanfang: Phil hat sich als Betreuer der Goldläuferin zurück gezogen und leitet weiter seine Kurse, Esther und Henryk sind geschieden, und Lea beendet auf dem Höhepunkt ihrer Karriere die sportliche Laufbahn. Sie geht zusammen mit Sieber, der seinen Job bei der Zeitung hinschmeißt, nach Griechenland und gibt ihre sportlichen Erfahrungen in einem Ferienpark an fitnessbewusste Touristen weiter. Ein Happy-End für Henryk und Lea? Vielleicht, hätte nicht Autor Gerald Schmickl zum Ende seiner erzählerischen Schussfahrt den jungen Marathonläufer Lars als Beziehungsslalomstange auf der griechischen Insel postiert.