Ein Lehrstück

Sven Daubenmerkls Novelle "Vom Kriege"

Von Walter WagnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Wagner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg ist sein Thema. In der Erzählung "Vaters Land" aus dem Jahr 1993 taucht er bereits auf. Zunächst noch als Andeutung, die signifikant genug erscheint, um zitiert zu werden: "Es fällt dir nicht leicht, das Wort Heimat zu denken. Es ist ein sperriges Wort. Blut klebt daran, das Blut nicht nur eines Krieges." Pünktlich zur Jahrtausendwende erscheint Sven Daubenmerkls Roman "Forscher Geist", in dem der Autor die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft stellt.

Die vorliegende Novelle fügt sich in dieses Paradigma ein, wobei der Titel den Gegenstand vorwegnimmt. "Vom Kriege" nennt Sven Daubenmerkl seinen jüngsten Band, der auf das gleichnamige Werk von Carl von Clausewitz rekurriert. Während der preußische Offizier in einer nüchternen Analyse die Gesetzmäßigkeiten der Kriegsführung zu ergründen sucht, ist es dem Verfasser der Novelle um eine Denunzierung menschlicher Dummheit zu tun. So schließt er denn auch seinen Epilog mit der Bemerkung, dass man sich über den Krieg lustig machen müsse. Ein Weg also, sich mit den blutigen Zusammenstößen zwischen Völkern und Staaten auseinandersetzen und der Irrationalität jener "Politik mit anderen Mitteln", wie Clausewitz ausführt, Ausdruck und Form zu verleihen.

Abermals speist sich die Handlung aus der Historie. Diesmal greift Daubenmerkl ein Ereignis aus der Chronik der bayerischen Stadt Kemnath auf, aus der er stammt und an die er mit diesem Büchlein eine Art Liebeserklärung richtet. Den Rahmen der Handlung bilden die Unruhen des Revolutionsjahres 1848. Eine Gruppe von Studenten der juristischen Fakultät Wien will sich am Aufstand beteiligen. Straßenzüge, ja ganze Viertel der Hauptstadt sind verbarrikadiert. Am nächsten Tag sollen die kaiserlichen Truppen heranrücken. Aber bis zu ihrem Eintreffen bleibt eine ganze Nacht, welche die Hitzköpfe zechend und feiernd verbringen wollen. In einer Schänke machen sie Halt, wo sie Bekanntschaft mit einem Kriegsversehrten schließen, dem der Wirt ein Gnadenbrot gewährt. Der redselige Veteran, den die Jungen zunächst nicht ernst nehmen, gibt nach und nach seine persönlichen Kriegserlebnisse preis. Dabei erfolgt ein Perspektivenwechsel. Der Ich-Erzähler verstummt und überlässt dem Gast das Wort. Seine Reminiszenzen führen zum Kern der Novelle, der so genannten "Schlacht zu Kastl", die sich dem Leser als Geschichte in der Geschichte darbietet. Wir verlassen die Erzählebene des Vormärz und wechseln in den Monat August des Jahres 1796, der in Rückblenden zum Leben erweckt wird.

Ähnlich wie in "Forscher Geist" breitet sich ein Spiel mit Fakten und Chronologien aus, dem naturgemäß sorgfältige Recherchen zugrunde liegen. Um der Erzählung das Kolorit eines historischen Berichts zu verleihen, bedient sich Daubenmerkl einer altertümelnden Sprache, die er bis zuletzt durchhält. Zitate aus dem von Clausewitz verfassten Handbuch zur Kriegsführung werden ohne Hervorhebung in die Fabel eingeflochten und im Anhang ausgewiesen. Dergestalt wird die intertextuelle Verknüpfung mit dem Vorbild und Stichwortgeber unterstrichen. Spiegeln sich also Rahmen- und Kernhandlung in der Novelle, so reflektiert diese die kriegstheoretische Schrift des preußischen Strategen. Ebenso könnte der alte Soldat, der die Studenten über das Kriegshandwerk aufklärt, als ironisches Double von Clausewitz begriffen werden. Mit anderen Worten, in Daubenmerkls Antikriegsnovelle manifestiert sich metafiktionale Narrativik in Reinform.

Es wäre dem kleinen Werk nicht gedient, die Hintergründe sowie den Ausgang der "Schlacht von Kastl" zu enthüllen. So viel sei indessen gesagt: Tags darauf leisten die Studenten den kaiserlichen Angreifern erbitterten Widerstand und werden schließlich besiegt. "Feldmarschall Fürst Windischgrätz hatte den Wunsch des Fürsten Metternich vom März, dass sich der Straßenunfug nicht wiederhole, endgültig erfüllt. Die Revolution war tot." Die Kameraden und Kommilitonen der juristischen Fakultät, die sich im Kampf erproben wollten, kommen vermutlich in dem Gemetzel um. Als Einziger hat der Ich-Erzähler eine Lehre aus der Schilderung des Alten gezogen und noch vor Anbruch des Tages sein Heil in der Flucht gesucht.

Die Parabel von der Torheit des Krieges und seiner Vermeidbarkeit möchte man zunächst einer jüngeren Leserschaft ans Herz legen. Einer, deren Charakter noch zu formen sei, wie es landläufig heißt. Auch möchte man sie Staatsmännern und Politikern anempfehlen, als ließe sich ihre Unbelehrbarkeit erschüttern. Doch Literatur geht mit Katharsis selten eine Ehe ein, und jene, die ihre Weisheiten aufnehmen, bedürfen ihrer in der Regel nicht. So bleibt, klammern wir den wohl gemeinten und wohl ins Leere zielenden Moralismus dieses Lehrstücks aus, der Text, dessen unverfänglicher Realismus einem Publikum gerecht wird, das nicht nach Kopflastigem sucht. "Vom Kriege" ist zeitlos und daher aktuell oder vielmehr: eine freundliche Erinnerung daran.

Titelbild

Sven Daubenmerkl: Vom Kriege. Novelle.
Mandelbaum Verlag, Wien 2002.
94 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3854760701

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