Im Anfang war die Suppe

F. K. Waechter erzählt in "Die Schöpfung" von der Verdauung der Welt

Von Alexander Wolfgang MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Wolfgang Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein kleiner weinender Junge (oder mickriger Mann mit spährlichem Haarwuchs) steht barfuß in einem vollen Teller Suppe, hält gesenkt einen Löffel in der linken Hand, wischt sich mit der rechten Tränen aus dem Auge, im Hintergrund dräut als großer roter Fleck das Tohuwabohu, oder die Leere, wer weiß? Mit seiner von einem Knopf auf dem Bauch gehaltenen, schönen weiten Knitterfaltenhose, einer großen Fliege und dem zu breiten altmodischen Zylinderhut erinnert er an die frühen Gussformen für satirische Darstellungen des optimistischen Kapitalisten oder weltgewannten Gentlemans - Max Beerboom und Uncle Sam sind ähnliche Ahnen des Helden von Waechters Genesismär.

Schöpfungsgeschichte ... weniger ist diesmal nicht, denn hat das kleine Männlein erstmal die Suppe ausgelöffelt, ausgeschlürft, bleibt ihm nichts anderes als die Welt zu machen, mittels der Tätigkeiten, zu denen der Mensch sich nicht aufraffen, sondern lediglich gehen lassen muss. Nach so einem ordentlichen Teller Suppe drückt die Blase und so erschafft schiffend das Männlein das Meer. Die Welterrichtung geht munter so enthemmt weiter. Himmelswinde und Land werden ebenfalls durch köpermittiges Fahren- und Fallenlassen kreiert.

Es lässt sich nicht leugnen, dass "Die Schöpfung" ein Bildband - ein kurioser Großformatcomic - ist, der auf schmalem Grad zwischen aufregender Kinderei und schlechtem Geschmack wandelt. Zudem stört das allzu feste Vertrauen auf die Wirkung einer großen Fläche. Schade, denn dadurch wird der Band schnell langweilig. Nicht beim ersten Lesen, aber schon beim zweiten, und das Format verschenkt damit seine buchstäbliche Großartigkeit. Es muss ja nicht gleich wimmeln, wie zum Beispiel auf Waechters Zeichnung vom "Frauenfreigehege Dingolfing" (in: "Es lebe die Freihei", 1981), oder anderen seiner Fitzeldetailarbeiten, aber ein wenig unterbeschäftigt wirkt das Format auf manchen Seiten schon.

Waechters Zeichnungen aber sind perfekt. Er aquarelliert gekonnt, geordnet und anarchisch zugleich, und er versteht zu collagieren. Waechter kann ja alles, von Edelfederschraffur bis Buntstiftgekritzel. Auch die Vielfalt an Collagematerial beeindruckt, so dass der sonst verschenkte Begriff "sinnlich" hier einmal exakt zutrifft, wenn man ein Auge für all die feinen Strukturen hat, die Reis-, Elefanten- und anderes Exotenpapier ausmachen. Die einfallsreiche Kombination von Material, Farben und Formen taugt zur vorbildlichen Betrachtungserziehung, oder auch um die Augen von am Computer durchdesignten Oberflächen und Inhalten zu erholen.

Bis zur Kreierung eines schönen, weiblichen Ebenbildes zeigt sich Waechters Figur überwiegend als cholerischer Zornigel. Erst im Verlauf seiner Begegnung mit der kleinen Zopfschönheit wird das Männlein gelassener und kindlicher. Am Ende macht diese Schöpfungsgeschichte eine überraschend liebevoll-zärtliche Wendung, mit der großen Rätselfrage, was Frau und Mann sich hinter vorgehaltenem Hut zuflüstern. Wie mit dieser Entwicklung einhergehend auch die Komposition und Stimmung der Seiten offener und zugleich gegenständlicher wird, zeigt das große Können und die bewundernswürdige Sicherheit des Zeichners Friedrich Karl Waechter.

Titelbild

Friedrich Karl Waechter: Die Schöpfung.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
56 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3257020767

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