Schön und häßlich ist das gleiche, ästhetisch gesehen

Ein Band aus der Reihe "Text + Kritik" zu Herta Müller

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Loblied und ein Klaglied gilt es zu singen. Fangen wir also am besten gleich mit der Klage an. Ein altes Lied, ein garstig Lied, ein langweilig Lied, ein zutreffend Lied: "Warum, ach sag warum, schreibt diese Zunft so lustlos?" Über Germanistenprosa zu schimpfen, ich weiß es gar zu gut, gehört - nicht nur unter Germanisten - zum guten Ton. Allein, wer wie wir soviel Anlass gibt, der muss es wohl leiden: "Die Fremdstellung des Textes wiederum erfolgt in der Fluchtlinie ästhetischer Fraktionalisierungen und Fragmentarisierungen." Ein einfacher Satz ist das und doch so vertrackt-bürokratisch-widersinnig. Bei Norbert Otto Eke wird auch "Tableau an Tableau geknüpft" und er bildet seltsame Komparative ("eindeutigere"). Mancherlei könnte an Poetisierung grenzen, wäre es denn beabsichtigt. Stattdessen murmelt wohl nur der Jargon vor sich hin. Es klingt konsistent, konsequent, sogar überzeugend, steckt durchaus voller Beobachtungen, doch sieht man näher hin, reibt man sich verwundert die Augen und zweifelt dann doch ein wenig an der sprachlichen Kompetenz und Sorgfalt derer, die hier Literatur untersuchen. Ralph Köhnen verwechselt "schöpfen" mit "erschaffen", und formuliert: "Augenblicke, Splitter, durch ein Partikular gesehen, sprengen die gewohnte Perspektive und ermöglichen neue Orientierung". Wie sprengen Augenblicke? Und meint er wirklich die Potenzierung der Fragmentierung (Augenblicke würden durch ein Partikular ja noch einmal zerlegt)? Köhnen bildet auch ein Zeugma wie: "Das Material entfaltet dabei ganz eigene Perspektiven und Gesetze". Schon eine Perspektive läßt sich nicht entfalten, wie dann mehrere, wie Gesetze? So etwas lässt sich mit Niveau und doch sprachlich korrekt schreiben: "der Blick vertieft sich in das Partikulare [...] und überschreitet die Grenzen der gewöhnlichen Sicht auf die Dinge." So liest man es bei Philipp Müller. Bei Jürgen Wertheimer und Angelika Overath kommt zur Korrektheit dann noch die Sprachlust dazu, ja eine Könnerschaft, die das Handwerkliche hinter sich lässt. Das zu fordern, hieße zuviel fordern, aber schönere Sätze und vor allem richtige, nicht.

Es gehört zu den undankbaren Pflichten des Redakteurs und der Herausgeber, sich mit solchen Problemen herumzuschlagen. Übrigens auch, unnötige Wiederholungen, wie sie in dem Band aus der Reihe "Text + Kritik" zu Herta Müller häufig begegnen, zu vermeiden und nötige auf ein Mindestmaß zu kürzen. Bei einem - gerade für seinen Umfang - so inhaltsreichen und hilfreichen Band stört das doch etwas.

Es stört auch die Apologetik zum Auftakt. Natürlich muss man Missliches erwähnen, gleichzeitig aber sollte man versuchen, es dadurch nicht zu verstärken. Man denke nur an die vor einigen Jahren geprägte, fürchterlich dumme Formel vom "literarischen Fräuleinwunder", die, so oft sie beklagt wurde, doch immer wieder im Zusammenhang mit Autorinnen aufgeführt wurde, um zu betonen, dass diese nicht dazu gehörten. Im Falle von Herta Müller gibt es in den Feuilletons stereotyp geäußerte Kritik an ihrer Konzentration auf ein Thema. Ernest Wichner sucht nun in seiner Einführung intensiv nach den möglichen - auch psychologischen Gründen - dafür, dass dieser Vorwurf erhoben wird. Dieser oft nachlässig formulierten Kritik sollte besser nicht so viel Raum zur Verfügung gestellt werden, zumal die ins Feld geführte einzigartige Qualität des Müller'schen Werks ganz unnötig in den Kontext einer Apologie gerät.

Und damit ergibt sich ein zwangloser Übergang zum Loblied, denn der Band "Herta Müller" bietet eben auch die gewohnte kompakte, niveauvolle und verlässliche Information zu einer Autorin, die in der deutschen Literatur der Fremdheit ein Bleiberecht erstritten hat.

Friedrich Rückert ernannte Peregrin zu seinem Patron, er könnte es auch für Herta Müller sein. Nur wurde sie - im weitesten Sinn des Wortes - in die Fremde gezwungen, Rückert dagegen empfand sie als sein Schicksal. Herta Müllers Texte krönen den Band denn auch. Da ist der bewundernswerte programmatische Essay "Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm - wenn wir reden, werden wir lächerlich. Kann Literatur Zeugnis ablegen". Ein paar Seiten nur, poetisch dicht und schmerzhaft klar: über das unglaubwürdig Schreckliche, das besser verschwiegen werden sollte, über das Konventionelle des Schweigens, über die kindliche Suche nach richtigen Namen, Bezeichnungen, Begriffen, die auch heute noch erfolglos verlaufen könne, über den Verrat von Pflanzen, über den Charakter von Sprachen und die Ticks und Tricks der Diktatur, über das eigene Schreiben und Schweigen. Dann gibt es noch fünf Collagen von Herta Müller, eine Kunstform, deren Eigenart Jürgen Wertheimer in seinem Aufsatz lust- und einsichtsvoll beschreibt. Angelika Overath analysiert, was die Reporterin Herta Müller mit der Poetin zu tun hat. Josef Zierden erklärt, wie es der Autorin im Kampf gegen die Diktatur des Dorfes darum gegangen sei, dem "Individuum eine Gasse" zu bahnen. Ralph Köhnen und Philipp Müller beschäftigt der "autofiktionale Impuls" im Frühwerk bzw. im Roman "Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet", Friedmar Apel und Norbert Otto Eke untersuchen die Poetik Herta Müllers und ihren Weg zum Gedicht. Die Bibliografie am Ende des Buches zeigt, wie viel Lohnenswertes noch für Literaturwissenschaftler zu tun bleibt. Eine Initialzündung dafür könnte und sollte der "Text + Kritik"-Band sein.

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Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Herta Müller. Text und Kritik, Bd. 155.
edition text & kritik, München 2002.
90 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3883777161

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