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Arne Tangherlini langweilt "tief im netz"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den Datenhelm aufgesetzt, in den Ganzkörperanzug mit motion control geschlüpft und ab in den Cyberspace, nach Apeiron, und mal eben schnell mit dem Kampfjet einige Bauern auf ihren Feldern niedermähen. Das ist die Lieblingsbeschäftigung von Leo, der 14-jährigen Protagonistin in Arne Tangherlinis Roman "Tief im Netz". Doch wird ihr Vergnügen bald getrübt, denn die alternative Welt, die vom Internet zehrt, "wie eine Schlingpflanze, die sich um ihren Wirtsbaum windet", wird ihrerseits ausgesaugt. Aus Apeiron verschwinden Daten, Charaktere und überhaupt Informationen jeglicher Art in das Cyberuniversum Dløn wie in ein "elektronische[s] schwarze[s] Loch". Das mag an Michael Endes Jugendbuch "Die unendliche Geschichte" erinnern oder an Paul Austers Endzeitroman "Im Land der letzten Dinge" und könnte Hoffnung auf interessante Bezugnahmen wecken. Solche Erwartungen würden dann allerdings schnell enttäuscht. Zwar quillt das Buch vor Anspielungen auf dies und jenes geradezu über. Doch sind sie samt und sonders ebenso banal, wie das namedropping aus Philosophiegeschichte, Literatur und Popkultur funktionslos ist. So ergibt sich ein Sammelsurium aus allerlei geistlosem Unsinn, der sich als eine "Art metaphysische[s] Rätsel" aufplustert. Garniert ist das Ganze mit einer Reihe von Unappetitlichkeiten, an denen der Autor offenbar seine ganz besondere Freude hat.

Dløn besitzt eine gewisse Ähnlichkeit mit billigen PC-Spielen, bei denen man nach Lösung bestimmter Aufgaben auf eine neue Ebene gelangt, nur dass hier alles auf unterster Ebene angesiedelt ist, auch keine Aufgaben gelöst werden und die Protagonistin auf der Suche nach ihrem - ebenfalls verschwundenen - "Kampfgefährten" nicht einen Schritt voran kommt, sich dafür aber ein ums andere Mal "plötzlich" ganz woanders befindet als in der Zeile zuvor. "Fragt mich nicht, wie ich dort gelandet bin", weiß sie in solchen Situationen nur zu bemerken.

Die Arme scheint aber ganz einfach ein Opfer ihres Autors geworden zu sein, der offenbar mal wieder nicht weiter wusste und sie kurzerhand woanders hin verfrachtet hat. Da wundert es nicht, dass die Reihenfolge der 29 Kapitel weitgehend beliebig ist. Wozu denn auch passt, dass Leo auf Seite 109 "zum ersten Mal" weint, nachdem sie bereits zwanzig Seiten zuvor in Tränen ausbrach, weil sie ein völlig versifftes Klo putzen sollte. Aber was soll's? Heißt es Seite 63 doch, in Dløn mache "bis jetzt gar nichts einen Sinn". Dafür, dass sich hieran auch auf den verbleibenden 171 Seiten nichts ändert, sorgt der Autor nach Kräften. Mag sein, dass die Fangemeinde von Douglas Adams' "Per Anhalter durch die Galaxis" an einem solchen Buch gefallen finden wird. Aber selbst das scheint fraglich.

Titelbild

Arne Tangherlini: tief im netz. leo@fergusrules.com Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz.
dtv Verlag, München 2002.
237 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3423205660

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