Schöne Oberfläche, böse Realität

Friedrich Anis Roman "Abknallen"

Von Judith WitzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Witzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der altbekannte 'Kommissar Zufall' ist es, der die entscheidenden Hinweise liefert. Der erste Zugriff scheitert, selbstverständlich kann "die Bestie" zunächst entkommen, was wäre auch ein Krimi ohne dramatisches Finale? Deshalb muss der Täter vorbereitet sein auf seine Ergreifung, die Polizei kann nicht einfach vorbeikommen und ihn festnehmen - ein bekanntes Mittel zur Spannungserzeugung.

Man erwartet so einiges, greift man zu einem Roman eines Autors, der mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde. Die Erwartung steigert sich noch, erfährt man, dass ein Kriminalroman eben jenes Autors zu den zehn besten der neunziger Jahre gezählt wird. Friedrich Ani ist ein solch 'ausgezeichneter' Autor, "Abknallen" sein neuer Roman, auch ein Kriminalroman.

Doch der Traum, die Hoffnung auf etwas Un- und Außergewöhnliches zerplatzt schnell, Ani liefert einen Roman ab, der ist, wie alle anderen Krimis auch. Es geht um einen Mord, um mehrere sogar, und die Entführung einer jungen Frau. Natürlich dauert es lange, bis die Polizei dem Täter auf die Spur kommt, der Leser ist ihr weit voraus.

Auch die psychologische Komponente fehlt nicht, das Wesen des Täters, seine Vorgeschichte und Motivation sind bedeutsamer als die Taten an sich, rechtfertigen sie beinahe. Die Klischeehaftigkeit der Figurenschilderung ist anstrengend, nahezu alle standardisierten Vorstellungen werden bedient. Selbstverständlich ist der Täter einer, der von der Gesellschaft mehr als schlecht behandelt wurde, seine schwere Kindheit macht ihn zu einem abgestumpften Wesen, das nicht mehr fähig ist, zu empfinden. Um sich zu befreien, muss er sich rächen. Auch rein äußerlich entspricht er dem typischen Verbrecherbild, "der Bart [...], lauter Stoppeln, sehr ungepflegt, und die Haare [...] länger und ganz glatt, so ölig, schmierig", "die Augen [...] ganz schwarz, total finster und kalt". Doch nicht nur sein Bild bedient die bekannten Stereotypen, der Staatssekretär, Vater der entführten Frau, ist das Paradebeispiel eines zweifelhaften, sich anbiedernden Politikers. Ständig um seine öffentliche Wirkung bedacht, finden emotionale Ausbrüche nur im Privaten statt. Dort selbstverständlich radikal übersteigert, wie nicht nur das extreme Ausleben seiner sadomasochistischen Neigungen zeigt. Unter der offiziellen, schönen Oberfläche offenbart sich die dunkle, böse Realität.

Friedrich Ani geht es offensichtlich nicht um die Darstellung eines Verbrechens und seiner Aufklärung, zumindest nicht allein, sonst hätte er wohl nicht all diese Kriminalroman-Standards herangezogen, die Spannung doch eher ausschließen. Deren Absenz auszugleichen gelingt auch nicht mehr durch eine Wendung des Geschehens kurz vor Schluss. Die ausführliche Schilderung des Täters, die seitenlange Wiedergabe seiner monologischen Äußerungen gegenüber dem Opfer, legt vielmehr die Vermutung nahe, dass dem Innenleben des Verbrechers und der daraus abgeleiteten Gesellschaftskritik das Hauptaugenmerk des Autors gilt. Ani expliziert seine Anklage derart deutlich, dass sie an Wirkung verliert. Der Höhepunkt der moralischen Überladung und damit die Grenze des Erträglichen ist erreicht, als sich Täter und Opfer einander annähern, indem auch das Opfer zum Rächer, und damit zum Täter wird; zu offensichtlich der mahnend erhobene Zeigefinger.

Eines jedoch ist ungewöhnlich, hebt Anis Roman von anderen ab. Er schafft es, den Leser zu schockieren, wirklich zu schockieren. Der Autor versucht nicht eine Wirkung beim Leser zu erzielen, indem er - wie in anderen Kriminalromanen oft genug praktiziert - zunächst eine heile Welt präsentiert, in die das Verbrechen mit zerstörerischer Kraft einfällt. Ani verzichtet auf die Konstruktion der anfänglichen Idylle, der Leser weiß von Beginn an, dass sie in der Familie des Staatssekretärs nicht existiert. Das parallel zu der Ermittlung dargestellte Geschehen um die Ehefrau des Politikers verdeutlicht dies. Sie entflieht der Familie, irrt durch die Stadt, um sich mit imaginären Freundinnen zu treffen. Obwohl als Psychose ärztlich diagnostiziert, stellt dieser geistige Rückzug in die Kindheit ihren Versuch dar, aus der entsetzlichen Familienrealität auszubrechen. Friedrich Ani sucht deshalb einen anderen Weg, seinen Leser zu erschüttern. Und er findet ihn: mit der überaus drastischen Darstellung nackter Gewalt. Ohne Regung werden brutalste Misshandlungen geschildert, detailliert Sexualpraktiken beschrieben, von deren Existenz man zwar weiß, aber darüber hinaus nicht mehr wissen möchte. Also ist Anis Roman im Hinblick auf diese Rohheit und Brutalität doch anders, doch auch ungewöhnlich. Ungewöhnlich unangenehm - das eignet sich angesichts derartiger Gewaltschilderungen vielleicht eher.

Titelbild

Friedrich Ani: Abknallen. Roman.
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2002.
288 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3426618575

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