Sichtbar auch im Schatten

Henning Mankells Roman "Tea-Bag"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weder Erfolgsermittler Kurt Wallander noch sein legitimer Nachfolger Stefan Lindman stehen im Mittelpunkt von Henning Mankells neuem Roman. Der schwedische Bestsellerautor hat nun den literarischen Spagat zwischen "Sand und Schnee" - zwischen seinen beiden Wohnorten Schweden und Mosambique, und zwischen den Wallander-Krimis und seinen beiden Afrika-Romanen "Der Chronist der Winde" und "Die rote Antilope" versucht.

Der schwedische Lyriker Jesper Humlin steckt in einer mittelprächtigen Lebenskrise. Seine Freundin will partout ein Kind von ihm, sein Verleger erwartet einen Kriminalroman, seine über 80-jährige Mutter betreibt plötzlich eine Telefonsexagentur, und sein Anlageberater hat sich als Niete erwiesen und sein Vermögen in den Sand gesetzt.

Mit reichlich Humor und Ironie beschreibt Mankell die Probleme des Schriftstellers und entlarvt sie durch die Gegenüberstellung mit anderen Lebensläufen als Marginalien - als Wohlstandsnöte der kapitalistischen Gesellschaft.

Humlin trifft mit drei jungen Frauen zusammen, die aus ihrer Heimat nach Schweden emigrierten und demzufolge mit existenziellen Nöten zu kämpfen haben - die Russin Tanya, die Afrikanerin Tea-Bag und die Iranerin Leyla. Mit der jungen Frau aus dem Sudan beginnt die auf mehreren Erzählebenen alternierende Handlung. Wir begegnen ihr auf einer spanischen Einwanderungsbehörde, wo sie sich beim Anblick eines Teegedecks selbst den ungewöhnlichen Namen verleiht.

Leyla und Tea-Bag leben illegal in Schweden, doch auch die als Asylantin anerkannte Leyla bewegt sich auf einem gefährlichen Grat, denn sie will sich von ihrer, nach strengen islamischen Regeln lebenden, Großfamilie trennen. Biografien so bunt und dramatisch, dass jede für sich genügend Stoff für einen ausgewachsenen Roman hergegeben hätten.

Der Schriftsteller Humlin erteilt den drei jungen Frauen Schreibunterricht. Sie wollen ihre Lebensgeschichten zu Papier bringen und damit Geld verdienen. Das ist ein mindestens ebenso schwieriges Unterfangen, wie Humlins Versuch, das Trio ständig vor der Polizei beschützen zu wollen.

Henning Mankells Sympathie gilt den Immigrantinnen, deren (kursiv in den Text eingefügte) Lebensläufe er mit übertriebenem Pathos zu Märtyrergeschichten stilisiert. "Es gibt mich, obwohl es mich nicht geben darf, ich bin sichtbar, obwohl ich im Schatten lebe", heißt es am Ende aus Tea-Bags Perspektive.

Wie schon in seinem kürzlich in Graz uraufgeführtem Theaterstück "Butterfly Blues" schwebt Mankells pädagogische "Botschaft" wie ein greller Heiligenschein über der Handlung - ganz nach dem Motto: schaut euch um, bevor ihr euch beklagt. Eine durchaus ehrbare Intention, aber kein überzeugendes tragfähiges Motiv für einen opulenten Roman.

Titelbild

Henning Mankell: Tea-Bag. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003.
380 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3552052208

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