Die Dummheit, unendliche Weiten oder Sich sauwohl fühlen ohne Verstand

Erasmus von Rotterdams "Lob der Torheit"

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Albert Einstein einmal nach der Unendlichkeit befragt wurde, antwortete er: "Ich gehe davon aus, dass zwei Dinge unendlich sind, das Weltall und die menschliche Dummheit. Ganz sicher bin ich mir aber nur bei der Letzteren."

So berühmt wie Einstein war im 16. Jahrhundert Erasmus von Rotterdam (1466 oder 1469-1536), der Erzhumanist, Philologe, Theologe, Übersetzer und Satiriker. Beiden gemeinsam ist der Ruf des ebenso genialen wie witzigen Wissenschaftlers und beide erkannten in der Dummheit das herausragende und unveränderliche Merkmal der Menschheit.

Wer um sich schaut, wird an dieser Erkenntnis nichts Überraschendes finden, höchstens hinzufügen, es müsse eher von der Dummdreistigkeit die Rede sein, so unverschämt machten sich die Talentlosen, die Speichellecker und Flachflieger breit. Ohne Skrupel bereichert sich jeder, wie er kann, macht sich lächerlich, um nur ins Fernsehen zu kommen, zahlt Claqueure, um Beifall zu ernten, lässt sich von windigen Finanzberatern übers Ohr hauen - ein immerwährender Jahrmarkt der Eitelkeiten. Da das Publikum, die Wählerschaft und das Volk überhaupt keinen Deut schlauer ist als die Mächtigen, erringt die Dämlichkeit Tag für Tag neue Erfolge.

Natürlich könnte man darüber verzweifeln. Man könnte aber auch der Methode des Erasmus von Rotterdam folgen und sich näher mit dem faszinierenden Phänomen "Dummheit" beschäftigen. Der schrieb 1509 (als erfolgreiche Ablenkung von Nierenschmerzen) sein zeitlos komisches Werk "Das Lob der Torheit" und damit einen Best- und Steadyseller: Seitdem es 1511 das erste Mal im Druck erschien, kam es allein zu Lebzeiten von Erasmus zu 36 weiteren Ausgaben, zu Übersetzungen ins Tschechische, Deutsche, Italienische, Englische, Niederländische, und noch fast fünfhundert Jahre später liest man mit höchstem Vergnügen in dem klarsichtigen Bändchen im praktischen und schönen Vademecum-Format der Manesse-Bibliothek. Erhellende Anmerkungen und ein kluges Nachwort sorgen dafür, die mythologischen, theologischen und zeitgenössischen Anspielungen besser zu verstehen, die zeitgemäße Übersetzung und der aktuelle Inhalt sprechen aber direkt zum heutigen Leser.

Wenn die Tölpel auf den Thronen, die geilen Priester, korrupte Bürger, betrügerische Kaufleute, maßlose Baulöwen kritisiert werden, fehlt es im Jahre 2002 nicht an direkten Entsprechungen; in Köln, Berlin, Rom und anderswo. Wenn die Eitelkeit der Schriftsteller und Künstler insgesamt als Ausfluss der Dummheit geschildert wird, fallen einem sofort passende Beispiele ein: "Je hirnverbrannter etwas ist, desto mehr Bewunderer findet es, wie ja der ärgste Mist immer auf den Beifall fast aller zählen kann, ist doch die große Mehrzahl der Menschen, wie ich schon sagte, der Torheit verfallen. Wenn also das seelische Wohlbefinden und die Bewunderung der Masse mit zunehmender Stümperhaftigkeit steigen, wozu sollte da einer echte Bildung vorziehen, die erstens viel kostet, zweitens recht überspannt und menschenscheu macht und schließlich nicht halb so gut ankommt?"

Mit zwei Kniffen sicherte Erasmus, der sich selbst einreiht in den Kreis der Törichten, seinem Büchlein über die Jahrhunderte die witzige Wirkung: Nicht er kritisiert sie, nein, die personifzierte Dummheit - eine albern gekleidete Frau - lobt sich selbst von der professoralen Lehrkanzel herab. Sie beweist mit allerlei Beispielen, logischen und scheinlogischen Argumenten neben ihrer allumfassende Herrschaft gleichzeitig, und das überzeugt noch heute, wie tröstlich, wie unterhaltsam, wie sozial, ja wie geradezu lebensnotwendig sie wirke. Deshalb sei sie wohl die Lieblingseigenschaft der Menschen: "Es tut halt so sauwohl, keinen Verstand zu haben, daß die Sterblichen um Erlösung von allen möglichen Nöten lieber bitten als um Befreiung von der Torheit." Denn Dumme erschienen sympathisch, machten sich keine Sorgen, folgten ihren Spleens und vergäßen oder übersähen die Mühsal der Welt. Während vernünftige Menschen jede gemütliche Stimmung, jede Freundschaft, jede Liebe durch ihre Mäkelei und ihren Drang, Wahrheiten zu sagen, die niemand wissen wolle, zerstörten, hingegen seien Einfaltspinsel lustige Leute, mit denen gut trinken, spaßen und spielen sei.

Deshalb empfiehlt Frau Dummheit, im Zitat des Predigers Salomo keinen Stoßseufzer, sondern einen Hoffnungsschein wahrzunehmen: "Die Zahl der Toren ist unendlich."

Titelbild

Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit. Mit einem Nachwort von Kurt Steinmann.
Übersetzt aus dem Lateinischen von Kurt Steinmann.
Manesse Verlag, Zürich 2002.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3717519921

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch