Ein Lehr-, Lust-, Sach- und Fachmann sondergleichen

F. W. Bernstein wird 65

Von Manuel PfürtnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Pfürtner

"Ob ich das zeichnen kann? Ich werde einen Teppich aus Strichwerk weben und nichts weglassen außer dem Wesentlichen. Baumschlag werd ich zaubern und den Rasen aus barocken Himmelsparallelen ausbreiten. Die Figuren am Grunde des grünen Luftozeans schwimmen in eitel Graphik."

Wer hier so poetisch spricht und sein zeichnerisches Können kommentierend begleitet, der kann's, der kann's wirklich. Der sitzt im Göttinger Grünen, sitzt an einem Sommernachmittag unter den Bäumen des Albanifriedhofes und zeichnet. Er ist studierter Zeichenlehrer, und während sein Pseudonym noch an einem großen "Buch der Zeichnerei" arbeitet, ereilt ihn ein Ruf als Professor für Karikatur und Bildgeschichte an die Berliner Hochschule der Künste.

Die Rede ist von Fritz Weigle alias F. W. Bernstein, geboren 1938 in Göppingen, zum Professor berufen 1984 und 65 geworden dieser Tage im März. Der Aphorismus "Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher selber welche" ist wohl sein einprägsamster und auch verbreitetster Zweizeiler, er ist jedoch nur ein kleines Fenster in das große Werk des Autors und Zeichners.

F. W. Bernstein ist Dichter, Zeichner, Karikaturist, Essayist, Lyriker und Kinderbuchautor, als sein Hauptarbeitsgebiet gilt die Kunst der komischen Zeichnung und Dichtung und der komischen Text-Bild-Korrelationen. Sein umfangreiches Werk reicht an seinen Rändern in die Bereiche der Parodie und Satire, zudem ist er als Professor für Karikatur und Bildgeschichte ein sachkundiger Begleiter und Kommentator der 'komischen Schule'. In zahlreichen Ausstellungen, Lesungen und Essays, Zeitschriften- und Buchpublikationen entfaltet er seit den 60er Jahren seine eigene Ästhetik.

Das Lachen, nach Kant "ein Affekt der Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts", lässt sich auf eine Form von Komik beziehen, die beim Betrachter eine gespannte Erwartung erzeugt, um sie dann plötzlich in 'Nichts' aufzulösen. Die Plötzlichkeit der Auflösung wird durch eine unvermutete Änderung der Laufrichtung des Textes oder der Bilderfolge bewirkt. Der Autor gibt eine bestimmte 'Realität' vor, der Leser oder Betrachter folgt ihr und nimmt sie ernst - bis dann überraschend und absurd Neues und Anderes in die dargestellte Welt einbricht. Der komische Effekt ist dabei umso intensiver, je mehr eine bildliche Vorstellung erweckt werden kann. Mit dieser "Fallhöhe" als der komikträchtigen Distanz zwischen erwarteter und tatsächlich eingetretener 'Realität' arbeitet F. W. Bernstein:

Zwerg und Zwiebel

Hoch ragt und steil der Berg da aus der Tiefe.
"Kommt rauf!" Uns ist, als ob der Berg uns riefe.
Er ruft uns zu, der Berg, wir sollen kommen.
Den Ruf des Berges haben wir vernommen.

"Komm du doch runter!" Unser Ruf soll zeigen,
dass wir nicht unbedingt da aufi steigen.
Was sollen wir dort droben auf dem Berg?
Wir - als da sind: die Zwiebel und der Zwerg.

F. W. Bernsteins Gedicht ruft in der ersten Strophe ein geläufiges, fast folkloristisch anmutendes Bild ab (der Berg ruft, man soll da - bairisch - "aufi steigen"), um es in der zweiten ad absurdum zu führen. Und glaubte man eben noch, die Umkehrung der Sprecher-Hörer-Relation könne grotesker nicht ausfallen, wird man durch den letzten Vers eines Besseren belehrt.

Bei einem der bekanntesten Gedichte F. W. Bernsteins ist schon die Ausgangssituation absurd-unglaubwürdig und wird immer weiter verschärft:

Wachtel Weltmacht?

Schaut euch nur die Wachtel an!
Trippelt aus dem dunklen Tann;
tut grad so, als sei sie wer.
Wachtel Wachtel täuscht sich sehr.

Wär sie hunderttausend Russen,
hätt den Vatikan zerschussen
und vom Papst befreit - ja dann:
Wachtel Wachtel Dschingis-Khan!

Doch die Wachtel ist nur friedlich,
rundlich und unendlich niedlich;
sie erweckt nur Sympathie.
Wachtel Weltmacht wird sie nie!

Das geniale Gedicht "Wachtel Weltmacht?" (aus "Lockruf der Liebe", 1988), das dem wohl nur auf Futtersuche und Fortpflanzung bedachten Vogel Weltmachtambitionen unterstellt, um diese dann zurückzuweisen, ist von Robert Gernhardt in der "Frankfurter Anthologie" bereits eingehend gewürdigt worden. Das Gedicht gehört damit in den Kanon der Hochkomik: Die Wachtel, derart mit Russland als weltlicher und dem Vatikan als geistlicher Macht in hypothetische Verbindung gesetzt, bleibt, was sie im Anfang des Gedichts schon war: niedlich. Aufwand und Resultat stehen in keinem anderen Verhältnis als dem des dichterischen Ertrages - und der lenkt spätestens zu Beginn der zweiten Strophe alle Aufmerksamkeit auf den Sprecher, der sich hier so waghalsiger Bilder bedient, um am Ende in den Sinn und Syntax zertrümmernden Schlachtruf "Wachtel Wachtel Dschingis-Kahn!" auszubrechen. Mit derart absurd-verschärfender Emphase ist selten ein schon eingangs verrücktes Bild weiter verzerrt worden: die Wachtel erst als Russenstreitmacht, sodann der Papst als Zwingherr des Vatikans, schließlich die Großmachtphantasie in Gestalt des grausamen Mongolenführers - und zuletzt die pointierte Rückwendung in die "friedlich-niedliche" Vogelwelt als Rückkehr in eine sujetlose Welt. In der letzten Strophe ist dann sowohl die Syntax als auch die Darstellung der Wachtel wieder im erwartbaren Rahmen, der Richtungswechsel hat den Spannungsbogen ökonomisch-straff zu Ende geführt und die Erwartung optimal kantisch in 'Nichts' verwandelt.

F. W. Bernsteins Nonsens-Schule reicht bis in die 60er Jahre zurück. Seit Dezember 1962 publizierte der Künstler zusammen mit seinem damaligen Studienfreund Robert Gernhardt erste Artikel in "pardon", der "deutschen satirischen monatsschrift" ("Mal herhören, Kinder"). 1964 wurde ihnen zusammen mit F. K. Waechter die Redaktion der "pardon"-Beilage "WimS. Welt im Spiegel. Die unabhängige Zeitung für eine sauberere Welt" übertragen. Als Zeitungsparodie und Zeitschriftenkritik markiert sie den Anfang und das Vorbild einer neuen deutschen Nonsens-Literatur.

"WimS" ist der äußeren Form nach eine kleine Zeitung in der Zeitung, das heißt sie hat Nachrichtenkolumnen, Kunstkritiken, Werbung, Tipps und Tricks, Witz- und Rätselecken, Cartoons, Karikaturen und Sinnsprüche (fast) wie die 'normale' Tagespresse auch, und sie erweckt durch ihren Untertitel "pro bonum - contra malum" den Eindruck, 'seriös' zu arbeiten. Sie macht sich jedoch lustig über die deutsche Presselandschaft von "Welt am Sonntag" (WamS) bis "Frau im Spiegel" (FimS) und prangert die Sprech- und Geisteshaltung der bürgerlichen Massenpresse parodistisch an. "WimS"-Kolumnen wie "Von der Literaturfront", "Am Webstuhl der Zeit" oder "Die Minute der Besinnung" sind illustre Beispiele für den Zeitgeist, der hier getroffen werden soll. Durch ihre spezielle Form komischer Kritik kam "WimS" gerade in der Zeit der Studentenrevolte von 1968 meinungsbildende Funktion zu, wenn auch vorwiegend in ihrer speziellen Leserschaft.

Für diese Spielart der Komik, die sich in den "WimS"-Beiträgen F. W. Bernsteins manifestiert, ist eine realitätsnahe, pointiert absurde Fiktion kennzeichnend. Als Ausgangspunkte dienen dabei häufig bestimmte Redeformen in den Medien, zum Beispiel gängige Kolumnenstile der damaligen Presselandschaft. Die Fallhöhe entsteht aus der zu paraphrasierenden, meist ernst gemeinten, doch unfreiwillig komischen Vorlage, deren Skandalon durch spielerisch-groteske Zuspitzung weiter verschärft wird. Als Beispiel sei hier "Die Schnuggy-Wortz-Story" genannt, erschienen in einer 'Kunstkolumne' in WimS: "Die Schnuggy-Wortz-Story" porträtiert den fiktiven Jazz-Musiker "Schnuggy Wortz, the nose" und seinen Beitrag zur Entwicklung der Jazz-Musik. Als Folie dient der Jargon der halb akademischen, halb journalistischen Musikkritik mit ihrer Anglomanie. Der Begriff des "twelve-tone-dixie" beispielsweise spielt auf Arnold Schönberg und seine musikologische Nomenklatur an; als Resonanzraum müssen aber auch Theodor W. Adorno und seine Kritik des Jazz mitgelesen werden. Auf diese Weise werden fachbezogene Begriffe in überraschende Umgebungen gestellt, erscheint der "Be-Bop" neben "harmonischen Rückungen" oder "Quintparallelen". Worte wie "epochemachend", "Protagonist" und sogar "Langstreckenraketen" verleihen der Story einen autoritativen Klang und beanspruchen beinahe das Gewicht von Expertenwissen. Unterlaufen wird dieser Anspruch durch die Hyperbel, die Unglaubwürdigkeit und Fragwürdigkeit der semantischen Umgebung sowie die Verwendung zweifelhaft-changierender Namen wie "Pfandhouse" oder "Joe Bedforleger". Durch den ständigen Vorstellungswechsel, dem sich der Leser unterwerfen muss, wenn er den wenig zuverlässigen Ernst- und Unernst-Indikatoren folgt, entsteht Komik.

Natürlich bestimmt auch der Kontext der Publikation - die Satirezeitschrift "pardon" - den Erwartungshorizont der Leser. Insofern ist F. W. Bernsteins Kunst der absurden Klimax unverzichtbar, weil sie, obwohl sich der Text längst als unernst entlarvt hat, auf einen Schelm noch anderthalbe setzt und doch auf den Anspruch der Seriosität nicht verzichtet, der sich nicht zuletzt aus dem handwerklichen Können ergibt. So bleibt die Spannung zwischen der Vorlage und ihrem Kontext (z. B. dem Expertenwissen) in der neuen Umgebung erhalten, und der Text kann immer neu als komisch erfahren werden. Insofern differenziert die Parodie nicht nur ihre Vorlagen, sondern auch damit verbundene Rezeptionshaltungen und Bildungskonventionen.

Ein weiteres Beispiel für diese Verbindung von Nonsens und Parodie ist die fiktive Künstlerbiographie "Die Wahrheit über Arnold Hau" (1966), die F. W. Bernstein zusammen mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter bei Bärmeier & Nikel veröffentlichte. Diese Parodie des deutschen Bildungsromans desavouiert die Genie-Idolatrie der 60er Jahre, die - zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Barbarei - als urdeutsche Bildungshuberei längst wieder Einzug in die Kunst und die Kunstkritik gehalten hatte:

Erzählt wird die fiktive Lebensgeschichte des 1900 geborenen Universalgenies Arnold Hau, dargestellt anhand seiner gesammelten Werke in Gedichten und Zeichnungen und erweitert um den Kommentar des fiktiven Herausgebers Lützel Jeman (id est Robert Gernhardt). Das hier entworfene Leben Arnold Haus stellt im Kern eine Kompilation biographischer Stereotypen schöpferischer Persönlichkeiten - von Adorno bis Nietzsche - dar: frühzeitige kreativ-künstlerische Tätigkeit, Aufbegehren in der Jugend, stetige Auseinandersetzung mit der Kultur- und Weltgeschichte, schließlich Verkennung des eigenen Œuvres durch die Zeitgenossen. Diesem Lebenslaufmodell steht als Kontrast ein sich durch Aphorismen und Geschichten, Zeichnungen und Utopien offenbarender Sonderling gegenüber: "Hau arbeitete damals an Entwürfen für einen Neubau des Kölner Doms".

Wie schon in "WimS" kollidieren auch hier zwei Haltungen: Die Annahme des heiligen Ernstes, mit dem Arnold Hau seine Werke verfasst und sein Leben geführt haben soll, und das Triviale, der augenscheinliche Unernst der 'Werke' selbst. Doch diese Spannung hat Methode, wie F. W. Bernsteins Beiträge im "Hau" und seine früheren wie späteren "WimS"-Kolumnen zeigen. In ihnen tritt eine neue Geisteshaltung zutage, deren Strategie es ist, formale und inhaltliche (ideologische) Vorgaben der Kultur- und Geistesgeschichte zu adaptieren, die von den Repräsentanten der gesellschaftlichen Konvention formell als richtig statuiert sein mögen, deren Umwidmung für andere Zwecke aber ebenso richtig ist. So hat zum Beispiel die Ode einen erhabenen Gegenstand und Adressaten und ist in der Tradition für Gott, Religion, Kunst, Wahrheit oder ähnliches reserviert. In der "Ode an einen Hammer" ("Besternte Ernte", 1976) wird ein Alltagsgegenstand zur Ikone der Zeit erhoben:

Ode an einen Hammer

O du Werkzeug,
mit dem man klopft
einschlägt,
zerteppert -,
Du Instrument
des Aufbaus
und des Abbaus,
je
nachdem -,
man kann Dich
zu Kriegszwecken
benutzen,
aber auch
zu Werken des Friedens.
Letzteres will ich loben.
Doch das mit den
Kriegszwecken:
Hammer!
Das
will mir gar nicht gefallen!

Die für die Odenform typische, feierliche, weihevoll-erhabene Ansprache wird beibehalten, aber natürlich müssen der Hammer und die Hammerkritik in dieser 'klassischen' Form komisch wirken - kurz: Diese Ode ist ein Hammer (und treffender als der von Pete Seeger).

Bernsteins Werk repräsentiert in gewisser Hinsicht auch die Literatur der antiautoritären Bewegung, die seit Mitte der 60er Jahre das Überlieferungsbild der jüngsten deutschen Vergangenheit vom Kopf auf die Füße zu stellen suchte und dabei eine Gegen-Kultur entwarf. Die Protagonisten dieser Alternativ-Kultur fühlten sich repräsentiert von der "Dialektik der Aufklärung" und aufgefordert zu einer radikalen Aufarbeitungsform von Geschichte, die vor der Autorität der eigenen Väter nicht Halt machte. Den antiliberalen Kräften des neuen Bundesbürgertums wurde ebenso der Kampf angesagt wie den von ihnen tradierten Werten. Die Hauptvertreter der Frankfurter Schule - Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse - wurden zu neuen Ikonen einer anti-kapitalistischen, anti-imperialistischen Gesellschaftsordnung, die von einer westlich-emanzipatorisch geprägten Variante des Historischen Materialismus untermauert wurde. Die ideologische Prägung jener Jahre thematisiert F. W. Bernstein in seinem - zeitlich zehn Jahre später angesetzten - autobiographischen Erinnerungsbuch "Der Untergang Göttingens in Wrt & Bld" (2000).

Eine Bilderserie gilt dem APEX, einer Göttinger Kneipe, in der allerlei Kunstfiguren, Agenten und Dunkelmänner verkehren: C. F. Gauss, der Meister der Normalverteilung, der Geheimrat Goethe, der Göttinger Mescalero, der 1977 mit einem Flugblatt den Tod Siegfried Bubacks feierte und damit die deutsche Öffentlichkeit empörte. Eine Postkartenserie hat der Künstler der erkrankten Waltraud gewidmet: Sein Blick aus der Lotzestraße 20 führt verschiedene Techniken vor (darunter eine Zeichnung mit der Camera obscura) und zeigt ihr, wie der Frühling einzieht. 1984 kehrte er Göttingen den Rücken und wurde Professor an der Berliner Hochschule der Künste - hier lehrte er bis zum September 1999, und seine Forschungserträge gingen 1989 in "Bernsteins Buch der Zeichnerei" ein.

Seit einigen Jahren tritt F. W. Bernstein auch verstärkt als Illustrator auf. Genial sind unter anderem seine Bildideen zum "Urfaust", die er 1999 zum 250. Geburtstag Goethes vorgelegt hat:

In "Goethes Urfaust. Aber mit Zeichnungen von F. W. Bernstein" (1999), wird die tradierte Ikonographie der Teufelsdarstellungen abgerufen, wird zugleich Mephisto mit 'ordinärer' Zeichenlust dargestellt, wie er furzend durch Auerbachs Keller reitet: Sein Ritt auf dem Weinfass bezieht seine Schubkraft vom Höllenfurz. Wenn der Teufel noch entmystifiziert werden kann - hier ist der letzte Federstrich getan, ist die Konvention christlicher Ikonographie aufgekündigt (und zugleich bedient). Gleichwohl ist die ordinäre Menschlichkeit, mit der der Künstler den Teufel ausstattet, ganz und gar goethisch: "Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock", heißt es in der "Walpurgisnacht": "Was duftet aus dem kolossalen Mund! / So wohl kann's nicht im Paradiese riechen, / Und dieser wohlgebaute Schlund / erregt den Wunsch, hineinzukriechen."

Reich und subtil sind die Anspielungen auf die Kunstgeschichte, zwei Illustrationen erinnern auch an die Puppenspiel-Tradition des Fauststoffes. Der Illustrator zeigt uns eine romantische Nacht, ein gotisches Studierzimmer im Stile des Expressionismus, diverse Bildkompositionen, die an die Frühe Moderne und an die Neue Sachlichkeit erinnern, Déjà-vus der Traummalerei Joan Mirós oder der frivolen Rokoko-Bildchen François Bouchers, sowie Bildlösungen, die von Ludwig Meidner, George Grosz oder Lionel Feininger stammen könnten.

F. W. Bernstein hat zuletzt Illustrationen im Stile des Scherenschnitts geschaffen (Porträts von Georg Christoph Lichtenberg, Peter Rühmkorf und Arno Schmidt), hat Ernst Bloch in der Pose Heinrichs VIII (und im Stile Holbeins d. J.) gezeichnet, hat Grabbe illustriert und sein großes Richard-Wagner-Epos (2002) eigenhändig bebildert.

Man sieht an diesen Beispielen, dass die Bild-, Form- und Textvorgaben nicht bloß zu Nonsenszwecken gereichen, sondern dass die Kunstgeschichte mit ihrem Bildergedächtnis und Literaturgeschichte mit ihrem Formengedächtnis (ihren Großformen Lyrik, Dramatik und Epik, ihren Texttypen Ballade, Ode oder Sonett, ihren Genres Schäferdichtung, Minnesang oder Chanson) Orientierungsmuster vorgeben, die kritisch, komisch und damit aufklärerisch gewendet werden können und müssen. Ob Genie, "großer Vogel Wissenschaft" oder andere ehrfurchtgebietende Instanzen, Personen und Gattungen, allem kann dadurch begegnet werden, dass man seine Gestalt analysiert und adaptiert und zum Zwecke der Komik operationalisiert. Je ernster oder reservierter die Vorlage in ihrer Funktion ist, desto komischer der Effekt ihrer Verbindung mit unernstem Spiel, Nonsens, Blödelei oder ordinärem Degout. Es ist eine Auseinandersetzung zum Zwecke intellektueller Heiterkeit, Leichtigkeit und Schnelligkeit, so wie Christian Morgenstern sie bereits 1921 gefordert hat.

Dieser Aspekt berührt, ja kultiviert das im 'Nonsenstext' beinhaltete Spiel mit der Sprache, das Spiel mit formalen Vorgaben. Klaus Stieglitz hat 1989 in einer Monographie über Robert Gernhardt die These aufgestellt, dass sich F. W. Bernstein weitaus enger an die "volkstümliche Reimschmiede" anlehne als sein Teamkollege von der "Titanic". Das ist heute vermutlich schwerer zu entscheiden als damals, doch die Beschäftigung mit den optischen bzw. akustischen Merkmalen des Sprachmaterials (Wortlaut, Lautbild, Buchstabengestalt, Satz- und Textstruktur) steht dabei vor dem Interesse an syntaktischen und semantischen Zusammenhängen.

Exemplarisch für das Spiel mit dem Schriftbild ist "ein klein gedicht, ja?" und "EIN GROSS GEDICHT", wo bereits die Kleinbuchstaben bzw. die Versalien die Opposition von 'klein' und 'groß' explizit visualisieren. F. W. Bernstein integriert auch zeichnerische Komponenten und übertritt sogar die Grenzen der Schrift als Bedeutungsträger hin zur Schrift als Bildzeichen. Neben den Bild-Text-Korrespondenzen, die ein spannungsreiches und sich gegenseitig bedingendes Miteinander von Schrift und Zeichnung ergeben, spielt er so mit der formellen Vorgabe der ur-klassischen Gedichtform - dem Schriftgedicht. "Eigenheimreim" beispielsweise besteht aus vier gezeichneten Häuserreihen, die durch ihre Anordnung dem Schriftbild eines Vierzeilers ähneln. Durch die Abwechslung von Haus und Hecke ist sogar ein Rhythmus dargestellt. Es ist ein Gedicht ohne Worte, in dem ein in der Überschrift angekündigter akustischer "Reim" ein visueller, gezeichneter gegenübersteht. Mit der lautmalerischen Herstellung eines "Knutschflecks" ("Zueignungen"; "Reimwärts", 1981) wird auch der Übergang von der Schrift als Bedeutungs- und Sinnträger zur Schrift als Klangträger geschaffen, indem der Klang eines einzelnen Buchstabens als Spielmaterial verwendet wird. Weiteres akustisch-gedankliches Spiel mit Sprache betrifft den Wortwitz ("Pü Reh" aus "Waldunsinn"; "Reimwärts", 1981), der sicherlich seinen Anfang in den Kalauern der "WimS"-Zeit nimmt. In Namen wie dem aus der "Schnuggy Wortz Story" stammenden "Joe Bedforleger" oder einem Wort wie "Sonatencreme" ("Ballade von der Entstehung der Achten Sinfonie"; "Reimwärts", 1981) findet er jedoch eine Verfeinerung darin, dass ein Grundklang getroffen wird, der parodierend auf eine Vorlage verweist.

Ebenso finden sich Beispiele für die Synthese des akustischen Spiels und der Adaption einer funktionalisierten klassischen Gattung: "Sonett-Sonett" ("Lockruf der Liebe", 1988) ist ein komisches Gedicht, das sich mit seinem eigenen Entstehungsprozess auseinandersetzt. In dem in strenger Metrik von sechshebigen Jamben verfassten Gedicht werden "Form und Inhalt, Sinn und Klang" als notwendige Bestandteile eines gelungenen Sonetts postuliert. Im ersten Quartett beschreibt es die 'Zubereitung' eines Gedichtes nach dem Muster eines Kochrezeptes. Das zweite Quartett setzt sich mit der Diskrepanz der Schönheit von Klang und Bedeutung von Wörtern auseinander ("Ohrwurm" hat einen gewaltigen Klang, ist aber in seiner Bedeutung nicht schön). Schließlich wird mit "jetzt noch ein tiefrer Sinn, dann wird es ein Sonett" das Faktum negiert, es selbst sei ein Sonett. Das komische Gedicht soll nun kein 'gelungenes Sonett' sein, sondern muss mit den vier postulierten Komponenten operieren, um eine Fallhöhe zu erzeugen. Es adaptiert die äußere "Form" der historischen Vorlage, z.B. das Reimschema und die Metrik eines Sonetts. Es wählt kontrastierend einen "Inhalt", der nicht zur inhaltlichen Vorgabe der Gattungsform passt, in diesem Fall das Kochrezept. Es richtet sich nach dem "Klang", der die Ästhetik des spielerischen Aspektes darstellt und verzichtet dabei auf den tieferen Sinn zum Zwecke der Spielerei oder täuscht ihn nur vor, um durch die Auflösung in 'Nichts' Lachen hervorzurufen.

Seit 1984 widmete sich F. W. Bernstein, der über ein scharfes Auge und Können in der satirischen Jagd verfügt und sich eine beachtliche Basis an Dichtungsformen und -techniken sowie Sprachspielen erarbeitet hat, sowohl der Aufgabe, die "Leute ans Zeichenbrett zu bewegen", als auch einer neuen Vorgehensweise: Der des Sammlers.

Seine beiden opulenten Sammelwerke "Unser Goethe", das zusammen mit Eckhard Henscheid veröffentlichte "Lesebuch" (1987), sowie das von ihm allein verantwortete "Buch der Zeichnerei. Ein Lehr-, Lust-, Sach- und Fachbuch sondergleichen" (1989) sind Ergebnis langjähriger Forschungs- und Synthetisierungsprozesse. Im Goethe-Lesebuch ist unter dem Aspekt der Komik und der Kritik zusammengetragen, was den Herausgebern als Kontrafaktur der 'ernstelnden' Goethe-Rezeption geeignet schien. Das "Buch der Zeichnerei" ist eine Kompilation zur Geschichte und Gegenwart speziell der komischen Zeichnung. Ob Witz, Erzählung, Parodie, Karikatur oder Interpretation, die Beiträge beruhen auf einem respektablen Wissensfundus, der durch das treibende Element des Verständnisses seine Leser an die Bezugstexte führt, ohne sie mit akademischer Schwere zu belasten.

"Bernsteins Buch der Zeichnerei" wird getragen von dem Konzept, die Dignität der Zeichnung und der komischen Graphik zu erweisen. Es umfasst im Prinzip das, was es rund um das Thema in der Geistesgeschichte an Kommentaren gibt, sowie eine Auswahl der Werke, die mit einem innovativen Konzept von Komik verfasst worden sind. Nachvollzogen werden der Weg der Zeichnung durch die Geschichte, das Leben zeichnender Persönlichkeiten und das Handwerk des Zeichners. Techniken und Zeichenmaterialien von der Camera Ludica und Camera obscura bis zum Perspektographen geben Einblick in die Werkstatt. Die komische Figur und die Karrikatur werden analysiert und theoretisch grundiert, dargestellt anhand von sachkundigen Essays, illustriert von Zitaten, Graphiken, Cartoons, Gedichten und Kritiken aus verschiedenen Epochen. Berühmte gezeichnete Gestalten wie "Puh der Bär" (A. A. Milne) oder der "kleine Prinz" (A. de Saint-Exupery) sowie Genre-Autoren von Loriot bis Waechter haben das Wort bzw. Bild. Georg Christoph Lichtenberg wird ebenso gebührend Platz eingeräumt wie Theodor W. Adorno, soweit ihre Überlegungen mit Kunst- und Komikgeschichte in Zusammenhang zu bringen sind. Dabei stellt sich leicht heraus, dass sich Kriterien für die Bewertung von komischer Zeichnung entwickeln lassen, dass Zeichnung nicht als Kindergekritzel abgetan werden kann, sondern eine eigene Ästhetik besitzt. Selbst die oft unernste, spielerische Schreibweise des Herausgebers steht in Wechselwirkung mit seinem kasuistischen Vorgehen: inwieweit und wofür der Einzelfall jeweils repräsentativ ist, wird problematisiert. Seine Kasuistik ist ein kritisches Verfahren. Sein Kontrastprogramm dazu ist die informative Huldigung; Analyse zugleich und Feier sind die Momente seiner Reden über andere Zeichnerinnen und Zeichner.

Der Tierdichter und -bedichter ("Elche, Molche, Ich und Du", 2000) Bernstein ist entdeckt und erst noch zu entdecken: So persifliert er beispielsweise die Schauerballade des 19. Jahrhunderts ("Ballade vom Fisch") und Franz Schuberts Liederzyklus "Winterreise" ("Die Wintermeise"). Animalische Verse zu Camille Saint-Saëns "Le Carnaval des animaux" intonieren einen Wechselgesang von "Kontraschwan" und "Maultierhorde", und im Kapitel "Schriftvieh und Bildtier" sind komische Zeichnungen mit parodistischen Texten korreliert.

Ein Wandel der angewandten Formen bei kontinuierlichem Bezug zur komischen Dichtung, Zeichnung und Zeitgeistbetrachtung, sowie die Referenzen an die Neuen Frankfurter Schule - speziell an die frühen Mitkombattanten - ist das, was als konstantes Merkmal die Werke F. W. Bernsteins durchzieht. Ein letztes Beispiel gefällig?

Horch - ein Schrank geht durch die Nacht,
voll mit nassen Hemden...
den hab ich mir ausgedacht,
um Euch zu befremden.